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Wer wird "stärker aus
der Krise herauskommen"?

Notizen zur Klassenkampfsituation in der BRD

Die anhaltende Wirtschaftskrise hat wieder ans Licht geholt, was lange Zeit von vielen Seiten geleugnet wurde: In Deutschland wird Klassenkampf geführt. Aber was heißt das für das politische Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital? Im Folgenden soll versucht werden, diese Frage zu beantworten, denn hieraus ergibt sich auch, wie wir als Teil der revolutionären Linken agieren können. Da einige Teile dieser Analyse in der revolutionären Linken umstritten sind (v.a. in Bezug auf die Linkspartei im zweiten Teil), freuen wir uns wie immer auf Kommentare und Kritik.

Teil 1: Die schwarz-gelbe Regierung

Teil 2: Die parlamentarische Opposition

Teil 3: Die Krisenpolitik der Regierung

Teil 4: Eine Krise der Klassenherrschaft?


Teil 3: Die Krisenpolitik der Regierung

Verschiedene Maßnahmen der Bundesregierung konnten die Auswirkungen der Wirtschaftskrise etwas mildern. So konnte das Kurzarbeitergeld die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, die eigentlich während der Krise hätte kommen müssen, zumindest verschieben. Dieses sehr teure Instrument wurde bereits zweimal verlängert, soll jedoch Mitte 2012 auslaufen. Die Massenentlassungen und die Massenproteste dagegen, die Frankreich im Jahr 2009 erschütterten, blieben in der BRD größtenteils aus [1].

Bei Kurzarbeit arbeiten die Beschäftigten über einen gewissen Zeitraum weniger oder sogar überhaupt nicht. Der dadurch entstehende Verdienstausfall wird zum Teil durch den Staat ausgeglichen. Am Ende ist es die ArbeiterInnenklasse selbst, die dieses Geld in Form von Steuern zurück bezahlen soll, und nicht die KapitalistInnen. Letztere können den zu erwartenden Mehrwert in ihrem Interesse weiter investieren und müssen kaum etwas an den Staat zurück bezahlen.

Das Kurzarbeitergeld war also letztendlich kein Zugeständnis an die deutsche ArbeiterInnenbewegung, sondern eine Subvention zugunsten des deutschen Kapitals, das seine Produktionsmittel dadurch "retten" konnte. So besitzt es jetzt gegenüber Kapitalfraktionen in Ländern, in denen viele Produktionsmittel im Laufe der Krise vernichtet wurde, einen klaren Vorteil. Das leichte Wirtschaftswachstum in der BRD durch Exporte in die sogenannten “Schwellenländer” läuft vor allem auf Kosten von KonkurrentInnen aus anderen imperialistischen Ländern.

Weiterhin hat die Regierung am 7. Juni ein sehr umfangreiches Sparpaket vorgestellt [2]. Demnach soll der Haushalt in den nächsten zehn Jahren um 80 Milliarden Euro erleichtert werden. Es sollen 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden und Gehaltserhöhungen für alle anderen Beschäftigten in diesem Sektor sollen für einige Jahre ausbleiben. Aber in erster Linie werden Arbeitslose angegriffen: Auf ihre Kosten gehen rund ein Drittel der Kürzungen. Die Zuschläge, die zwei Jahre lang beim Übergang von ALG I zu ALG II gezahlt wurden, sollen jetzt entfallen. Dazu kommt die Streichung des Elterngeldes und des Heizkostenzuschusses für WohngeldempfängerInnen. Außerdem wird der aus Steuergeldern finanzierte Rentenversicherungsbeitrag gestrichen, was letztlich über höhere Beiträge für andere BeitragszahlerInnen wieder ausgeglichen werden muss. Das belastet auch die Kommunen, die für RentnerInnen stärker werden aufkommen müssen. Insgesamt werden die Einsparungen bei den Arbeitslosen vor allem dadurch geregelt, dass Leistungen, die vorher Pflicht waren (wie Umschulungen und Weiterbildungen), jetzt dem Ermessen der örtlichen Arbeitsämter obliegen. Insgesamt sollen im ersten Jahr zwei Milliarden Euro eingespart werden – bis 2014 soll die Einsparung auf sechs Milliarden Euro jährlich steigen.

Arbeitslose sind eine der Gruppen, die sich besonders wenig gegen solche Einschnitte wehren können, und gegen die besonders gerne medial vorgegangen wird. Das war z.B. an der Diskussion zu erkennen, die Guido Westerwelle (FDP) durch seine Äußerungen angestoßen hat: Hartz-IV-BezieherInnen würden in "spätrömischer Dekadenz" leben und somit gewissermaßen schuld am Niedergang der Zivilisation sein.

Der Angriff auf die Arbeitslosen ist ein erster Schritt eines umfassenderen Sozialabbaus. Über den Druck auf die Arbeitslosen wird zusätzlicher Druck auf Beschäftigte ausgeübt, was sich in den anstehenden Tarifrunden bei den Löhnen und Arbeitszeiten bemerkbar machen wird. Diese befinden sich ohnehin in einer gefährdeten Position durch die Gesetze, mit denen die rechtliche Basis für prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit gelegt wurde, und die Rente mit 67. Damit soll die ArbeiterInnenklasse Betrieb für Betrieb angegriffen werden, um einen gemeinsamen Widerstand der gesamten Klasse möglichst zu verhindern – und die Gewerkschaftsbürokratie spielt dieses Spiel gern mit.

Aber es kommen auch einzelne Angriffe auf alle: Es ist schon eine Gesundheitsreform in Arbeit, die die Gesundheitsversorgung der unteren Lohngruppen stark verschlechtern wird. Auch die Renten werden derzeit eingefroren, um demnächst gekürzt zu werden.

Mangelnde Opposition

Die Stabilität der Regierung ist vor allem deshalb nicht aus den Fugen geraten, weil die Opposition gegen sie kaum existiert. Auf der parlamentarischen Ebene finden sich mit Ausnahme der am Boden liegenden FDP ausschließlich sozialpartnerschaftliche Ansätze. Aber auch außerhalb des Parlaments sind Ansätze für wirkliche Opposition schwer zu finden.

Die Gewerkschaften haben das Sparpaket stark kritisiert, aber sie vermeiden die Konfrontation mit der Regierung. Ihre Proteste sind erst im Herbst 2010 geplant – anstatt im Juni, als das Sparprogramm im Kabinett gebilligt wurde. Ihr Handeln beschränkt sich weiterhin auf Standortlogik: Dass die Gewerkschaften bereit sind, Einschnitte zum Wohl des “Standortes Deutschland” hinzunehmen, haben sie schon bei den Hartz-Reformen bewiesen, als sie selbst in der Kommission saßen und bei den Protesten eine zurückhaltende Rolle gespielt haben. Dass Gewerkschaften diese Rolle übernehmen, ist nicht neu und auch nicht auf Deutschland beschränkt. Dafür ist vor allem die Existenz eines riesigen bürokratischen Apparats mit einer großen Anzahl fest angestellter GewerkschaftsfunktionärInnen verantwortlich. Diese bürokratische Kaste hat ein materielles Interesse daran, sich selbst und in der Folge auch das kapitalistische System, von dem sie lebt, aufrecht zu erhalten [3].

Am 29. September gibt es einen europäischen Aktionstag, der in seinem Niveau hinter die bisherigen Krisenproteste zurückfallen wird. Anstatt, dass in allen europäischen Städten demonstriert und gestreikt wird, soll es eine einzige Demo in Brüssel geben, zu der der DGB ein paar Busse schicken wird [4]. Die darüber hinaus geplanten Demonstrationen, z.B. in Berlin, finden nur dank der Organisation durch linksradikale Gruppen statt, deren Anstrengungen die Gewerkschaftsbürokratie so gut wie möglich zu bremsen versucht. Die GewerkschaftsbürokratInnen greifen zu ihren Lieblingsmitteln wie Lobbying und reduzieren sich damit auf eine einfache Interessenvertretung neben vielen anderen. Sie verweigern, so weit wie möglich, den politischen Einsatz von Streiks oder gar Generalstreiks, was historisch gesehen eigentlich die Stärke der Gewerkschaften ausmacht.

Der DGB geht auch intern gegen weniger sozialpartnerschaftliche oder gar klassenkämpferische Ansätze vor. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Gruppe "Alternative" beim Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde, deren Mitglieder zugleich IG Metall-Mitglieder sind. Sie hat bei den letzten Betriebsratswahlen eine eigene Liste aufgestellt und dabei 25% der Stimmen bekommen [5]. Die Mitglieder der Alternative sollten aus der IG Metall ausgeschlossen werden, aufgrund von ”gewerkschaftsschädigendem Verhalten” [6]. Die Aufstellung einer eigenen Liste war jedoch für die “Alternative” nötig, da sie nicht zur Kandidatur auf der IG Metall-Liste zugelassen wurden, und nur so eine politische Alternative zum sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftskurs aufgezeigt werden konnte.

Im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Sozialpartnerschaft kann auch das Aufbegehren des DGBs gegen die Aufhebung der Tarifeinheit durch das Bundesarbeitsgericht gesehen werden. Damit eng verbunden ist das Modell der Einheitsgewerkschaft, wonach es nicht nur in einem Betrieb, sondern in einer Branche nur einen Tarifvertrag und eine Gewerkschaft geben sollte. Diese Tarifeinheit ist in den letzten Jahren durch das Wachstum von Spartengewerkschaften wie Cockpit (PilotInnen) und GDL (LokführerInnen) in der Praxis aufgehoben worden – nun wurde auch die Rechtsprechung dazu entsprechend geändert. Nachdem der DGB durch permanenten Verzicht die Gründung der Spartengewerkschaften begünstigt hatte, will er seine Monopolstellung per Gesetz sichern – und das gemeinsam mit dem Unternehmerverband BDA, der auf die gemäßigte Politik des DGBs vertrauen kann.

Der DGB und der BDA haben als Reaktion auf das Arbeitsgerichtsurteil eine Initiative zur "Wiederherstellung der Tarifeinheit" begonnen. Laut ihrer Vorstellung soll ausschließlich der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft des jeweiligen Betriebes gelten. Gleichzeitig wären andere Gewerkschaften für die Dauer des Tarifvertrages an die Friedenspflicht gebunden. Vor dem Hintergrund dieser Initiative kam es jedoch auch zu ersten Spannungen innerhalb der DGB-Gewerkschaften. Insbesondere die Gruppen des DGB, welche keine Mehrheit vor Ort haben, begehren auf. Sie kritisieren, das der Dachverband diese "Kollateralschäden" billigend in Kauf nehmen würde. Grundsätzlich würde das Streikrecht und die Koalitionsfreiheit durch ein solches Gesetz ernsthaft bedroht werden [7].

Die Aufhebung der Tarifeinheit wird die Gründung von Nicht-DGB-Gewerkschaften begünstigen. Auf der einen Seite wird die Gründung von gelben Gewerkschaften, also bloßen Scheingewerkschaften, die durch die Unternehmen gesteuert werden, beschleunigt. Auf der anderen Seite könnten auch linke und kämpferische Gewerkschaften entstehen. Solche Neugründungen machen allerdings nur dann Sinn, wenn ein relevanter Teil der ArbeiterInnenklasse die Einsicht gewinnt, dass die DGB-BürokratInnen ein nicht zu überwindendes Hindernis für die Verwirklichung ihrer Interessen sind. Die Proklamation von “linken” oder “revolutionären” Gewerkschaften ohne eine nennenswerte Basis in den Betrieben ist reiner (Selbst-)Betrug und würde zur Isolierung von der ArbeiterInnenklasse führen – stattdessen fängt der Kampf für linke und kämpferische Gewerkschaften innerhalb der DGB-Gewerkschaften an. Die Frage, ob es zu neuen linken oder neuen gelben Gewerkschaften kommt, wird vor allem davon abhängen, ob sich der Klassenkampf zuspitzt und die Selbstorganisierung der ArbeiterInnen in den Betrieben zunimmt. Denn durch eine Zersplitterung könnte der DGB unter Druck geraten, kämpferischer aufzutreten – oder genauso gut die allgemeine Passivität verstärken. RevolutionärInnen müssen beim Eintreten für die Einheit der ArbeiterInnenbewegung auf solche Neugründungen äußerst flexibel regieren [8].

//von Alex Lehmann, RIO, Berlin //27. September 2010
//Teil 4 erscheint in den nächsten Tagen


Fußnoten

1. Vor der Bundestagswahl schrieben wir: “Das staatliche Kurzarbeitergeld läuft genauso wie die Abwrackprämie zum Jahresende hin aus. Damit wurde die massive Entlassungswelle auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben.” (RIO: Haben wir eine Wahl? Aufruf zu den Bundestagswahlen am 27. September.) Doch dieses Instrument wurde nach der Bundestagswahl tatsächlich mehrmals verlängert.

2. Bundesregierung: “Grundpfeiler unserer Zukunft stärken”.

3. RIO: Thesen zur Gewerkschaftsarbeit. Abschnitt 1a: Bürokratie.

4. RIO: Für einen europäischen Generalstreik!

5. Trend: Betriebsratswahlen 2010: Klassenkämpferische KandidatInnen - erste Ergebnisse.

6. Solikomitee: Gegen Ausgrenzung und Ausschlüsse aus der IG Metall!

7. Daniel Beruhzi. “Konflikt um Einheit”. Junge Welt. 16. August 2010.

8. RIO: Thesen zur Gewerkschaftsarbeit. Abschnitt 2e: Einheit.

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