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Haben wir eine Wahl?

Aufruf zu den Bundestagswahlen am 27. September

Am 27. September 2009 wählt die BRD wieder ihren Bundestag. Dieser Urnengang könnte als die langweiligste Abstimmung der deutschen Geschichte in die Annalen eingehen.Trotz Weltwirtschaftskrise und Eskalation im Afghanistankrieg gibt es unter den beiden großen „Volksparteien“ in Deutschland wenige wirklich kontroverse Themen. Die einzige Frage, die noch am Wahlabend geklärt werden muss, ist, ob Angela Merkels CDU mit der FDP regieren kann oder ob sie wieder eine große Koalition mit der SPD schmieden muss.

Wenn sich die politische Großwetterlage in Deutschland im nächsten Monat nicht massiv verändert, steht eben jener SPD der deftigste Stimmenverlust einer Partei, seitdem es Bundestagswahlen gibt, bevor. Dieser Niedergang der etablierten Sozialdemokratie ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. In allen europäischen Ländern, in denen die Sozialdemokratie seit dem Ende des Kalten Krieges längere Zeit die Regierung innehatte, sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. Die Hauptursache für diese Entwicklung ist die stark vorangeschrittene Entfremdung der Parteibasis, die hauptsächlich aus lohnabhängig Beschäftigten und Arbeitslosen besteht, von ihrer Parteiführung, die offen pro-bürgerlich ist.

Die Sozialdemokratie trägt für viele Gesetze die Verantwortung, die ArbeiterInnenrechte zerstören, um den verschärften kapitalistischen Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt Rechnung zu tragen. In Deutschland gilt die „Agenda 2010“ mit ihren „Hartz-Gesetzen“ – geschrieben vom aktuellen SPD Kanzlerkandidaten und Außenminister Frank-Walter Steinmeier – mittlerweile als Synonym für die anti-soziale Politik der SPD.

Doch nicht nur soziale Rechte wurden in den letzten vier Jahren systematisch von den Regierenden abgebaut. Mit „Onlineüberwachung“ und Zensurgesetzen fallen auch Privatsphäre und Datenschutz dem Staatsapparat zum Opfer. Als Reaktion darauf gründeten NetzaktivistInnen die „Piratenpartei“, eine BürgerInneninitiative mit Parteienstatus, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Recht auf informelle Selbstbestimmung wiederherzustellen. Die Partei bleibt dabei jedoch programmatisch ausschließlich auf ihr Lieblingsthemengebiet beschränkt; Eine politische Perspektive für die VerliererInnen der Krise kann sie nicht bieten. Dabei sind die Reallöhne dramatisch gesunken, Arbeitsplatzvernichtung, Mehrarbeit und Prekarisierung haben massiv zugenommen und Ausbildungsplätze schwinden weiter.

Für die Zeit nach der Bundestagswahl stehen uns weitere weitgehende Angriffe der Herrschenden ins Haus. Zur Finanzierung der Bankenrettungspakete wird wahrscheinlich die Mehrwertsteuer angehoben und im Bildungsbereich gekürzt werden. Das staatliche Kurzarbeitergeld läuft genauso wie die Abwrackprämie zum Jahresende hin aus. Damit wurde die massive Entlassungswelle auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Die offizielle (und stark geschönte) Arbeitslosenzahl wird voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres die Grenze von fünf Millionen überschreiten.

Diese und andere Angriffe werden kommen, egal wie die Wahl am 27. September ausgeht. Deshalb haben wir nur die Wahl, die Verschlechterungen zu akzeptieren oder uns zu organisieren und dagegen zu wehren.

//REVOLUTION Nr. 36

 

Eine linke Hoffnung?

Die Linkspartei betreibt gerade Opposition, aber sie will auch in die Regierung

Die Linkspartei ist die einzige relevante Partei in Deutschland, die für eine Rücknahme der „Hartz-Gesetze“ und für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan eintritt. Gleichzeitig wirbt sie im aktuellen Wahlkampf mit Losungen wie „Reichtum für alle!“ (aber gleichzeitig auch „Reichtum besteuern!“) und „Mindestlohn – gerade jetzt“. Das sind Forderungen, die sich nicht nur optisch vom rhetorischen Einheitsbrei à la „Wir haben die Kraft“ oder „Anpacken für unser Land“ der anderen Parteien abheben.

Lafontaine und Gysi von der Linken wollen auch mitspielen

Wie in vielen anderen Ländern auch ist in Deutschland durch die Krise der „klassischen“ Sozialdemokratie mittlerweile Platz für eine zweite Partei mit dem Anspruch, soziale Gerechtigkeit zu schaffen, im Parteiensystem entstanden. Mit „Die Linke“ gibt es seit 2007 ein Fusionsprodukt aus der SPD-Abspaltung WASG und der aus der ehemaligen DDR-Staatspartei SED hervorgegangenen PDS.

„Die Linke“ steht in der öffentlichen Wahrnehmung im Moment relativ unterschiedlich da. Während die bürgerlichen Massenmedien die Partei verteufeln und die PolitikerInnen der anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Bundesebene wegen ihres angeblichen „Populismus“ ausschließen, mischt die Partei auf Landes- und Kommunalebene bereits in vollem Umfang im bürgerlichen Politikbetrieb mit. Sie schickt sich an, nach den Landtagswahlen vom 30. August so manches Regierungsamt gemeinsam mit der SPD zu übernehmen.

Die Unterstützung

Bei der letzten Bundestagswahl 2005 unterstützten wir von der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION „Die Linke“ kritisch. Die Wahlunterstützung war eine taktische Maßnahme: Ziel war es, den Menschen, die aus Ablehnung der damaligen Schröder-Regierung Hoffnungen in die entstehende Linkspartei hatten, Gelegenheit zu geben, ihre Hoffnungen in der Realität zu überprüfen. Wir wiesen schon damals darauf hin, dass „Die Linke“ aufgrund ihres bürgerlichen – das heißt nur auf Veränderungen im bestehenden kapitalistischen Systems setzenden – Programms und ihrer sozialdemokratischen Führung die Hoffnungen der Menschen enttäuschen würde.

Obwohl die Partei bis heute keine Regierungsverantwortung auf Bundesebene übernehmen konnte, ist bei ihr mittlerweile ein ähnlicher Abnutzungsprozess zu beobachten wie bei der SPD. Die Partei wird in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr so sehr als Stimme des Protestes wahrgenommen. Sie war als Regierungspartei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern selbst jahrelang für Sozialabbau und staatliche Repression auf Länderebene verantwortlich. Bei der Bundestagswahl im September kann sie, wenn die Prognosen recht behalten, nur mit einem sehr geringem Stimmenzuwachs rechnen. Die Verluste der SPD landen nur noch zu einem kleinen Teil bei „Die Linke“.

Die Hoffnungen

Es gibt aber immer noch Menschen, die Hoffnungen in die Linkspartei haben (insbesondere in den Teilen Westdeutschlands, in denen die Partei noch nicht so stark in das herrschende Parteienspektrum eingebaut ist wie in Ostdeutschland). Diese Menschen hoffen, in „Die Linke“ endlich eine politische Kraft gefunden zu haben, die aktiv gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan oder gegen das dreigliedrige Schulsystem ankämpft.

Doch auch fast acht Jahre „linke“ kapitalistische Regierungspolitik in Berlin haben sich als nicht sozial gerechter herausgestellt als offen bürgerliche. Uns ist klar, dass sich viele Mitglieder der Linkspartei in Opposition zur Politik der „RegierungssozialistInnen“ (z.B. in Berlin) befinden. Wir als revolutionäre Gruppe werden auch weiterhin mit Gliederungen der Linkspartei (wie dem Studierendenverband Linke.SDS und der Jugendorganisation Linksjugend-Solid) zusammenarbeiten, etwa beim bundesweiten Bildungsstreik.

Aber wir halten es nicht für möglich, dass die Linkspartei sich kurz- oder längerfristig von einer reformistischen in eine revolutionäre Partei verwandeln lässt. Notwendig ist eine vom Staat unabhängige, marxistische ArbeiterInnenpartei.

//von Carsten, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 36

 

* Marionetten von John Heartfield

Die Grafik mit den Marionetten ist eine Anspielung auf John Heartfield, den kommunistischen Fotomontagekünstler, der schon mal Hitler als Spielzeug in den Händen des Großindustriellen Fritz Thyssen darstellte. Es ist klar, dass die Politik in Deutschland nicht von einem einzelnen Kapitalisten diktiert wird sondern von der KapitalistInnenklasse in ihrer Gesamtheit und von den in ihrem Dienst stehenden Institutionen des Staates. Deswegen sind die zwölf größten Konzerne der BRD auf den Händen oben verzeichnet als Ausdruck der Herrschaft des Kapitals über diese Gesellschaft.

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