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Besetzungen statt Entlassungen!

Eine praktische Antwort auf die Folgen der Krise

Die Krise ist längst nicht mehr eine Finanzkrise, deren Auswirkungen sich auf Hochhäuser an der Wall Street in New York oder in der Innenstadt von Frankfurt am Main beschränken. Millionen ArbeiterInnen rund um die Welt verlieren ihre Arbeitsplätze und damit ihre Existenzgrundlage.

Was können wir gegen diese Entwicklungen tun? Die GewerkschaftsführerInnen, aber auch viele einfache ArbeiterInnen, haben sich auf eine Logik des Verzichts eingelassen.

„Wir müssen den Gürtel enger schnallen“ sagen uns die die KapitalistInnen, ihre PolitikerInnen und ihre Medien. Dabei sind die Gürtel von ArbeiterInnen und KapitalistInnen, wie wir wissen, unterschiedlich groß. Bill Hicks hat schon vor 20 Jahren die passende Antwort auf diese Parole gefunden: „Es würde mir wesentlich leichter fallen, den Gürtel enger zu schnallen, wenn ich ihn um ihre Hälse herum enger schnallen könnte.“

Welche Antwort?

Die Wut gegen die ProfiteurInnen der globalen Wirtschaftskrise ist enorm. Beim Skandal um die Bonuszahlungen beim weltweit größten Versicherungskonzern AIG – der seinen ManagerInnen Millionen zahlte, nachdem der Staat ihn mit Milliarden vor dem Kollaps retten musste – gingen zahlreiche Morddrohungen bei den ManagerInnen ein. Der CEO von Royal Bank of Scotland, Fred Goodwinn – der ebenfalls eine millionenschwere Rente bekam, nachdem seine Bank gerettet werden musste – bekam die Fensterscheiben seines Hauses eingeschlagen.

Solche Aktionen sind gut, um Frust über die Folgen der Krise abzulassen. Doch sie werden kaum dazu dienen, Arbeitsplätze zu retten. Die Krise ist eben nicht durch einzelne, besonders verantwortungslose oder gierige BankerInnen verursacht worden, sondern durch die Widersprüche des Systems selbst. Wutausbrüche gegen einzelne KapitalistInnen bringen entsprechend wenig: tausende weitere warten nur darauf, die Plätze der Ausgeschiedenen zu übernehmen.

Besetzungen

Was können also ArbeiterInnen tun, um sich gegen Entlassungen zu wehren? In der letzten Ausgabe dieser Zeitung hatten wir schon eine Karte mit Fabrikbesetzungen quer durch Europa – in der Zwischenzeit sind Dutzende weitere Besetzungen dazu gekommen.

Die Besetzung der Visteon-Fabrik in London

Meistens geht es bei solchen Protesten darum, Druck zu machen, etwa gegen Entlassungen oder zumindest um Auszahlungen für die Entlassenen. Somit handelt es sich in den meisten Fällen um eine radikale Arbeitskampfmaßnahme, die mit der Erzwingung von Zugeständnissen dann beendet wird.

Doch diese Kampfform geht über einen einfachen Lohnkampf hinaus. Denn die Inbesitznahme von Fabrikanlagen durch die ArbeiterInnen bedeutet eine Infragestellung – vielleicht auch unbewusst – des kapitalistischen Privateigentums. Dieses sagt, dass ein/e Kapitalist/in mit seinen/ihren Produktionsmitteln machen kann, was er/sie will. Bei einer Besetzung heißt es dagegen, dass die ArbeiterInnen diese Produktionsmittel – zumindest eine Zeit lang – kontrollieren.

Weitergehen!

Besetzungen können auch viel weiter gehen als die Fälle, die wir in den letzten Monaten gesehen haben. Denn eine besetzte Fabrik, die Rohstoffe, Maschinen und ArbeiterInnen hat, hat eigentlich alles, was sie braucht – fehlen die ManagerInnen oder BesitzerInnen, können die Räder trotzdem weiterlaufen.

Genau das passiert in der argentinischen Keramikfabrik ZANON, die vor neun Jahren im Rahmen eines Arbeitskampfes gegen Entlassungen von der Belegschaft besetzt wurde. Seit 2002 produzieren die fast 500 ArbeiterInnen Fliesen und andere Keramikprodukte ohne Chefs. Alle Entscheidungen werden in der wöchentlichen Belegschaftsversammlung getroffen, und alle ArbeiterInnen besitzen das gleiche Stimmrecht und bekommen den gleichen Lohn. Der Spruch der Zanon-ArbeiterInnen lautet: „Eine Fabrik ohne ArbeiterInnen funktioniert nicht. Aber eine Fabrik ohne Chefs funktioniert sehr wohl.“

Selbst in Deutschland gab es schon mal solche Erfahrungen, als im Oktober 2007 die Belegschaft einer Fahrradfabrik im thüringischen Nordhausen für mehrere Wochen Fahrräder unter ArbeiterInnenkontrolle herstellte (sie hießen passend „Strike Bikes“). Diese Aktion wurde nach einigen Wochen wieder eingestellt, aber sie zeigte ebenfalls, dass eine Fabrik ohne Chefs funktionieren kann.

Eine Fabrik unter ArbeiterInnenkontrolle kann allerdings nicht wie eine sozialistische Insel im kapitalistischen Meer problemlos laufen. Dieses Modell, um wirklich längerfristig funktionieren zu können, muss auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet werden.

Selbst bei diesen Erfahrungen auf der Ebene einer einzigen Fabrik sieht mensch die Keime einer Planwirtschaft: Belegschaften produzieren nicht für die Profite eines/r Kapitalisten/in, sondern nach einem demokratischen Plan für die Bedürfnisse der Gemeinschaft. Eine Planwirtschaft nach diesem Modell hat wenig mit der bürokratischen Planwirtschaft zu tun, die im „real existierenden Sozialismus“ vorherrschend war. Eine wirkliche Planwirtschaft müsste durch demokratische Räte der gesamten ArbeiterInnenklasse kontrolliert werden. Und das zeigt einen Weg aus der Krise.

Programm gegen die Krise

Betriebsbesetzungen und Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle sind nur Teil eines sozialistischen Programms gegen die Krise. Weitere Forderungen, die verhindern sollen, dass wir die Krise des Kapitalismus bezahlen müssen, sind:

Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnkürzung: statt Kurzarbeit für weniger Geld zu akzeptieren, muss die vorhandene Arbeit auf alle Schultern verteilt werden, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

automatische Anpassung der Löhne, Renten und Sozialleistungen: bei jeder Preissteigerung muss das Einkommen der arbeitenden Bevölkerung automatisch erhöht werden, und zwar unter Kontrolle der Arbeitenden selbst.

Kontrolle der Geschäftsbücher: wenn ein Unternehmen Einschnitte aufgrund der angeblich schlechten Lage anordnet, muss die Belegschaft überprüfen, wie die finanzielle Situation des Unternehmens wirklich aussieht.

Kontrolle der Produktion: die ArbeiterInnen müssen demokratisch entscheiden, was und wie und für wen sie produzieren. So könnte die verheerende Überproduktionskrise in der Autoindustrie dadurch gelöst werden, dass die ArbeiterInnen auf ökologisch sinnvolle Produkte umsteigen.

Verstaatlichung der Unternehmen, die mit Entlassungen drohen: statt die Zerstörung von Arbeitsplätzen zu akzeptieren, muss der Staat gezwungen werden, die Haftung zu übernehmen. Jedoch sollte nicht eine staatliche Bürokratie, sondern die Belegschaften selbst die Produktion kontrollieren.

Um dieses Programm umzusetzen:

eine Basisbewegung in den Gewerkschaften: da die Gewerkschaftsführungen das kapitalistische System mitgestalten (und dadurch erhebliche Privilegien bekommen), müssen die Betroffenen an der Gewerkschaftsbasis sich selbständig organisieren.

eine revolutionäre Organisation: die „SozialistInnen“ von SPD oder Linkspartei beteiligen sich an kapitalistischen Regierungen und spielen damit nur Arzt/Ärztin am Krankenbett des Kapitalismus. Es bedarf einer Organisation der ArbeiterInnen, die die Kämpfe gegen die Folgen der Krise systematisch zum Sturz des Kapitalismus zusammenführt.

eine ArbeiterInnenregierung, die sich auf demokratische Räte stützt: denn eine bürgerliche Regierung, die sich auf den bürgerlichen Staat stützt, kann nie im Interesse der ArbeiterInnen handeln. Notwendig ist der Sturz dieses Staates und seine Ersetzung durch die Selbstverwaltung der ArbeiterInnenklasse.

//von Wladek, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 35

Artikel zur Besetzung bei Visteon in London

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