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Pulverfass Venezuela

Mord an einen Staatsanwalt ist neuste Tat der Opposition

Im November 2004 wurde Staatsanwalt Danilo Anderson in der venezolanischen Hauptstadt Caracas getötet. Was sind die Hintergründe?

2002 gab es einen Militärputsch der rechten, proimperialistischen Opposition gegen die links-populistische Regierung von Hugo Chavez. Dieser konnte innerhalb von zwei Tagen durch Aufstände der armen SlumbewohnerInnen gestoppt werden.

Anderson hatte Anklage gegen die Putschisten erhoben, u.a. Kommandenten der hauptstädtischen von der Opposition beherrschten Polizei, die während des Putsches mehrere Menschen getötet hatte. Außerdem verklagte Anderson Radonsky, den Bürgermeister eines reichen Bezirkes von Caracas, weil dieser den Sturm auf die kubanische Botschaft geleitet hatte.

Ende September gab Anderson bekannt, dass er Morddrohungen erhalten habe, weil er gegen „die in Venezuela existierende Gesellschaft der Unberührbaren“ kämpfe. Es sieht so aus, als ob Anderson durch einen ferngezündeten Sprengsatz, der sich unter seinem Vordersitz im Auto befand, getötet wurde.

mörderische Opposition

In den letzten Jahren wurden etwa 130 AktivistInnen, überwiegend Bauernführer, durch Killer ermordet. In diesem neuen Mordfall verlangte der venezolanische Informationsminister Andrés Izarra von den USA, dass sie über alle Gruppierungen Informationen freigeben sollten, die sich in den Vereinigten Staaten offen zu Terroranschlägen in Venezuela bekennen.

Tausende versammelten sich nach dem Attentat vor der Staatsanwaltschaft und forderten in Sprechchören die Säuberung der Justiz, die in Venezuela von Rechten dominiert wird. Präsident Hugo Chavéz sagte im Fernsehen: „Der Mord an Danilo Anderson ist der Versuch, diesen Prozess zu ermorden, den Traum und die Hoffnung der Mehrheit der Venezolaner zu ermorden“.

Während Chavez sehr diplomatisch reagierte, forderten DemonstrantInnen – die hinter dem Mord an Danilo die blutige Hand der CIA sehen – die Vehaftung aller Putschunterstützer und die Bewaffnung des Volkes.

In dieser Szene widerspiegeln sich die Gegensätze der „bolivarianischen Revolution“ (wie Chavez seine Regierungszeit nennt). Er und seine Regierung wollen die „Einheit des Volkes“ – konkret heißt das, dass er bei jedem Schritt einen Kompromiss mit der Wirtschafts-Oligarchie sucht. Doch die Kapitalisten, die seit Jahrzehnten das Öl-Einkommen des Landes für sich nehmen, wollen von den sozialen Programmen zugunsten der Armen, die Chavez gestartet hat nichts hören – die kosten ja Geld! In der ersten Hälfte von 2004 gingen rund zwei Mrd. US-Dollar in soziale Programme.

Deshalb versuchen sie, ihn zu stürzen: durch den Militärputsch, durch einen „Generalstreik“ (organisiert vom Unternehmerverband!) und durch ein Referendum, das Chavez aber mit 60% für sich entscheiden konnte.

Doch der Eindruck, Chavez stünde ganz auf Seite der Armen und Unterdrückten, trügt. Zwar redet er vom „Sozialismus“, doch hält er wenig von der Idee, die Industrie in Venezuela zu enteignen. Selbst die großen Medienfirmen, die den Putsch bejubelten und zum Teil organisierten, bleiben in privater Hand – obwohl deren Besitzer aufgrund ihrer Teilnahme am Putsch schon aus dem Lande geflohen sind!

Bolivarianische Revolution?

Die Regierung Chavez hat einige Fortschritte für die Armen gebracht (und 80% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze!). Zehntausende Schulen wurden gebaut; Durch ein Abkommen mit Kuba sind 10.000 Ärzte nach Venezuela gekommen, um kostenlose Kliniken aufzubauen.

Deshalb ist Chavez unter den Armen beliebt. Doch viele von ihnen haben schon erkannt, dass sein Projekt, die Lage der Armen zu verbessern, ohne die Privilegien der Reichen anzutasten, auf Dauer nicht funktionieren kann.

Der Versuch, einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu finden, ist auch nicht neu. In den 70er Jahren versuchte in Chile der Sozialist Salvador Allende durch Verstaatlichungen und soziale Programme, die Armut seines Landes zu beseitigen. Dieses Projekt endete am 11. September 1973 in einem von der CIA organisierten Putsch, in dem chilenische Faschisten und das Militär die Macht übernahmen. Damals zeigte sich, dass es unmöglich ist, tiefgreifende Reformen oder sogar den Sozialismus durchzusetzen, ohne dem Gegner alle wirtschaftlichen, administrativen und militärischen Mittel zu entwinden.

„Die Befreiung der Arbeiter muss die Tat der Arbeiter selbst sein“ (Karl Marx). D.h. nur die Leute, die den Reichtum der Gesellschaft produzieren, und nicht „aufgeklärte“ Militärs und Politiker, sind in der Lage, diesen Reichtum zu verwalten. Deshalb fordern große Schichten der venezolanischen Arbeiterklasse die Volksbewaffnung, weil es die einzige Möglichkeit ist, die Errungenschaften der ArbeiterInnen gegen die US-Imperialisten und die venezolanischen Rechten zu verteidigen.

Chavez aber lehnt die Bewaffnung des Volkes ab. „Die Waffen in diesem Land bleiben in den Kasernen“ kommentierte el Presidente dazu.

Aber wenn Kämpfe zunehmen, wird er gezwungen sein, das Militär gegen rebellierende Arbeiter und Arme einzusetzen. Wenn z.B. ArbeiterInnen einen Betrieb besetzen, muss er sich zwischen der „verfassungmässigen Ordnung“ (die das Privateigentum garantiert!) und der Arbeiterbewegung entscheiden. Und bisher hat er sich bei Streiks für seine kapitalistische Verfassung entschieden.

Die andere Variante wäre, dass die Soldaten zur rebellierenden Bevölkerung überlaufen, so wie es 1917 in der Oktoberrevolution in Russland geschah.

Arbeiter und Chavisten

Die venezolanischen ArbeiterInnen müssen die Revolution vorantreiben und sie mit Kämpfen in anderen Ländern verbinden. Denn auf sich allein gestellt hätten sie keine Chance, so wie es auch kein isoliertes sozialistisches „Inselchen“ Bolivien geben könnte. Durch die Gründung von Arbeiterräten in Betrieben und armen Stadtvierteln, durch die Organisierung von Arbeitermilizen können sie ihre Rechte vertreten und durchsetzen – ob Chavez will oder nicht! Dann haben sie selbst die Macht. Dann erst kann man von einer Revolution sprechen. Dann erst kann mit dem Aufbau einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft begonnen werden.

Diesen Prozess kann im Grunde nur eine revolutionäre Arbeiterpartei führen, da der „Chavismus“ eine bürgerliche Partei ist und eine Gesellschaftsform anstrebt, die auch für die Bourgeoisie annehmbar wäre – und das ist der Sozialismus natürlich nicht!

Nun wird sich zeigen, was mit dem venezolanischen Pulverfass passiert: entweder endet die „bolivarianische Revolution“ in einem blutigen Putsch wie 1973 in Chile. Dann würde Jahre von Mord, Terror und Zensur gegen die linke Opposition – egal ob Gewerkschafter, Kommunisten oder andere – herrschen.

Oder aber die Arbeiterklasse führt die „bolivarianische Revolution“ gemeinsam mit den Armen in Stadt und Land weiter – zu einer wirklichen Umwälzung der Gesellschaft,. So könnte das venezolanische Pulverfass die Ketten, mit denen die Armen Venezuelas und Lateinamerikas gefesselt sind, sprengen.

//von Till aus Lichtenberg //REVOLUTION Nr. 9

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