„Scharon?!? Scharon?!?“

von Kam

Kam, eine junge Frau aus London, schickte uns diesen Bericht während ihrer 3. Woche in Palästina. Sie war in Qalqilya, einer kleinen Stadt, die durch die Mauer völlig vom Rest der West Bank abgesperrt ist und zur „geschlossenen militärischen Zone“ erklärt wurde, und in der Stadt Jenin. Seitdem dieser Bericht geschrieben wurde, sind Kam und andere ISM-AktivistInnen aus Jenin ausgewiesen worden, aber sie haben beschlossen, zurückzukehren ...

Erste Woche: Qalqilya

Ich habe sieben Tage in Qalqilya verbracht. Die Stadt war die meiste Zeit wie ein Gefängnis völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Es gibt einen Kontrollpunkt, den man durchlaufen muss, um nach draußen zu kommen. Er ist nur selten und zu unberechenbaren Zeiten offen. Hinter der Mauer befindet sich eine 40 Meter breite Pufferzone, ein elektrischer Zaun mit Stacheldraht, eingebauten Sensoren und Heckenschützentürmen für den Fall, dass jemand versucht, sich dem Zaun zu nähern.

Die Mauer, die Soldaten und der Zaun schneiden 42.000 Menschen von ihren Schulen, ihrer Arbeit und ihren Farmen ab. Geschäfte und Einkaufsmärkte in der Stadt waren dadurch gezwungen zu schließen. Die Farmen wurden von der IDF mit Bulldozern platt gemacht. Oliven- und Früchtebäume, die seit Generationen der Lebensunterhalt von Familien waren, wurden herausgerissen und die Farmer können auch in der Erntezeit nicht zu ihren übrig gebliebenen Bäumen gehen.

Während wir dort waren, überfiel die IDF das Krankenhaus und zwang das Personal, sich auszuziehen und auf den Boden zu legen. Nachdem sie uns gedroht hatten, uns umzubringen, schossen die Soldaten auf das Krankenhaus, zerstörten die medizinischen Geräte und schütteten Öl aus den Küchen überall in die Flure; den Mann, den sie gesucht hatten, fanden sie nicht ...

Zweite und dritte Woche: Jenin

Jenin ähnelt einer Geisterstadt. Für die Stadt galt, während ich dort war, außer an zwei Tagen eine 24stündige Ausgangssperre. Es ist so, als ob die Stadt völlig geschlossen wäre: niemand kann zur Schule, zur Universität oder zur Arbeit gehen, die Geschäfte sind geschlossen, die Wasserleitungen sind zerschnitten.

Das Risiko für jeden, der es wagt, nach draußen zu gehen, ist groß. Vor kurzem wurde eine Frau beim Versuch, Lebensmittel zurück ins Camp zu bringen, erschossen und einem kleinem Jungen wurde in die Kehle geschossen. Die Soldaten drohten, uns zu verhaften, weil wir Lebensmittel zu den Familien, deren Häuser von der IDF besetzt waren, bringen wollten.

Der Widerstand der Kinder und jungen Leute hier ist unglaublich. Sie wirken manchmal völlig furchtlos – sie bauen die Außen-MGs von den gepanzerten Fahrzeugen der Israelis ab; wir sahen, wie ein Kind auf ein solches Fahrzeug sprang, ein Radiotelefon herausholte und „Scharon?!! Scharon?!!“ schrie.

Gestern jagten Panzer Menschen die Straße runter, eine Gruppe von uns musste in einen Hauseingang flüchten. Der Panzer hielt an, visierte ein Fass vor dem Haus an und feuerte. Ich dachte, wir würden alle getötet ... So sieht in Jenin das „normale Leben“ aus.

Das soll aber nicht heißen, dass die Kinder und Erwachsenen hier von dem Leben, das sie leben müssen, nicht traumatisiert sind. Wir trafen letzte Woche eine Frau, deren Haus zerstört wurde. Drei Monate zuvor hatten Soldaten das Haus umstellt und ihren Sohn und ihren Neffen vor den Augen ihrer Tochter erschossen. Der Flur war bedeckt mit ihrem Blut und ihren Gehirnen. Ihre Tochter, die Jura studiert hatte, wurde still und zog sich zurück. Kurz darauf überquerte sie die Grenze nach Haifa, ging dort in ein Café und sprengte sich selbst in die Luft. Wir trafen immer wieder Familien, die uns identische Geschichten erzählen konnten von nicht aufhörendem Leid und Unterdrückung.