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Der Verein sozialistischer KapitalistInnen

Was für eine Partei ist die Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas?

„Der Verein sozialistischer Kapitalisten“ ist nur eine Komponente der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV). Die PSUV steht noch vor dem oft verschobenen Gründungskongress, aber bereits eineR von vier VenezolanerInnen hat sich bei der Partei eingeschrieben, und damit ist die PSUV, von allen Parteien auf der Welt die sich sozialistisch nennen, größenmäßig auf Platz zwei hinter der Kommunistischen Partei Chinas.

Das Ziel der PSUV ist, das lose Bündnis von Parteien, die die Regierung von Hugo Chávez unterstützen, in eine einheitliche politische Struktur zu verwandeln. Eine Debatte tobt innerhalb der radikalen Linken Lateinamerikas, ob mensch dieser Partei beitreten soll oder nicht (siehe Kasten); doch sehr wenig davon hat den Weg in nicht-spanischsprachige Publikation gefunden. Die Bildung der PSUV verdient die Aufmerksamkeit von RevolutionärInnen in aller Welt, nicht nur weil es einen weiteren Meilenstein im „bolivarischen Prozess“ darstellt, sondern auch weil es zentrale Fragen der revolutionären Taktiken und Strategie in den halbkolonialen Ländern aufwirft.

Eine Analyse der PSUV ist, im Gegensatz zu den meisten neuen Parteien, erstaunlich leicht: Die PSUV wird unüblicherweise als Regierungspartei gegründet. Insofern muss mensch nicht darüber spekulieren, welche Politik diese Partei an der Macht betreiben würde. Es ist möglich zu untersuchen, welche Politik diese Partei in den acht Jahren der Präsidentschaft Chávez‘ betrieb. Klar ist, dass so eine massive politische Formation nicht wie eine leere Flasche ist, die mit unterschiedlichen Weinen gefüllt werden kann – hinter dem Projekt stecken genaue Klasseninteressen. Es ist möglich, den Klassencharakter der Partei zu bestimmen, sogar jetzt schon, sogar vor der Parteigründung.

Um eine korrekte Analyse der PSUV zu entwickeln, wird dieser Artikel mit einem Überblick über den Klassenkampf in Venezuela und das chavistische Projekt im Allgemein beginnen (1). Dann wird es genauere Bemerkungen über die Partei selbst geben.

Hört nicht auf Chávez-Zitate!

Chávez redet -und redet und redet und redet – auf Kundgebungen oder in seiner wöchentlichen Fernsehsendung „Aló Presidente“. Er kann fast jedem Menschen ein Zitat liefern, das diesem gefällt. Erschöpfte TrotzkistInnen auf der Suche nach einem Helden bekommen beispielsweise eine Rede über die Notwendigkeit, den Kapitalismus abzuschaffen oder gar Ermunterungen, das Übergangsprogramm der Vierten internationale zu lesen, wie z.B. in der Rede: „Heute haben wir ALCA beerdigt, und bald werden wir dasselbe mit dem Kapitalismus tun!“ (2)

Doch auch venezolanische KapitalistInnen, die einen Kompromiss mit dem Chávez-Regime suchen, bekommen Versprechungen über die Unantastbarkeit des Privateigentums: „Wir haben keine Absicht, die Oligarchie, Venezuelas Bourgeoisie, auszumerzen. Das haben wir in unseren acht Jahren zur Genüge bewiesen.“ (3) Also der Kapitalismus soll abgeschafft werden aber die Kapitalistenklasse erhalten bleiben? Offenkundig werden Informationen über die Wirtschaft in Venezuela nützlicher sein als Chávez-Zitate.

Es kann nicht verleugnet werden, dass die bolivarische Regierung viel getan hat, um die Misere der Armen in Venezuela zu verringern: Zum Beispiel ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, seit dem Amtsantritt Chávez‘ von 20% auf 10% gesunken (4). Aber an sich sagt das überhaupt nichts über den Klassencharakter der Regierung aus.

Die beste Information stammt vom venezolanischen Botschafter in Washington. Regelmäßig beruhigt er die Imperialistinnen mit Zeitungskommentaren voller kalten, harten Fakten. Zum Beispiel: „Es ist ironisch, dass Venezuela wegen seiner Politik angegriffen wird da, trotz der Strukturänderungen im Ölsektor, die Offenheit unseres Ölmarktes gegenüber US-Konzernen weit reichend bleibt.“ (5) Ein Chávez-Unterstützer könnte erwidern, das sei nur eine Täuschung, um den Forderungen der ImperialistInnen entgegenzukommen. Aber scheint es nicht wahrscheinlicher zu sein, dass die sehr andersartigen Reden von Chávez eine Täuschung sind, um den Forderungen der Massen entgegenzukommen?

Venezuela ist, laut den Chavistas, ein Versuchsgelände für den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Dieses Konzept wurde grob definiert vom deutschen Professor Heinz Dieterich, wird aber von verschiedenen Menschen unterschiedlich interpretiert. Sozialismus, als wissenschaftlicher Begriff, bezeichnet eine Gesellschaft, in der die ArbeiterInnenklasse die politische Macht ergriffen, die Produktionsmittel enteignet und mit dem Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft begonnen hat. „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, im Gegenteil, „erkennt verschiedene Eigentumsformen an“, d.h. er erfordert keine Enteignungen oder Verstaatlichungen. Das Regime propagiert ein Model mit „fünf Eigentumsformen“ (öffentliches, soziales, kollektives, gemischtes und privates Eigentum) – doch entscheidend ist die Tatsache, dass das Privateigentum in der Verfassung „anerkannt und garantiert“ wird.

Dieser „venezolanische Sozialismus“ soll also zusammen mit KapitalistInnen und auf der Grundlage des Privateigentums aufgebaut werden. Die Zeitschrift „New Yorker“, frei von jedem Verdacht antikapitalistischer Sympathien, schrieb schlicht: „Wenn das Sozialismus ist, dann ist es der unternehmerfreundlichste Sozialismus, der jemals entwickelt wurde“ (6). Dieser „Sozialismus“ steht nicht im Widerspruch zu den Profiten der multinationalen Konzerne (im Jahr 2006 nahm der Handel zwischen Venezuela und den USA um 31% zu) und sieht die Abschaffung des Privateigentums nicht vor. Es wird viel über „Verstaatlichungen“ der Chávez-Regierung gesprochen, doch da die alten BesitzerInnen große Entschädigungen bekommen haben, wäre es präziser zu sagen, dass der Staat diese Unternehmen zu Marktpreisen gekauft hat. Der wichtigste Sektor der venezolanischen Wirtschaft, die Ölindustrie, wurde im Jahr 1976 durch eine offen bürgerliche Regierung verstaatlicht.

Die Rolle der Massen

Hugo Chávez begann seine politische Karriere als Nationalist, er berief sich auf die Tradition des lateinamerikanischen Unabhängigkeitskämpfers Simon Bolivar. Ab dem Jahr 2005 wurde Chávez‘ Rhetorik viel radikaler, er nannte sich Sozialist und griff den Kapitalismus an. Er bezog sich nach wie vor auf Gott, Jesus und Bolivar, aber jetzt auch auf Marx, Lenin und Trotzki. Dieser Wandel basierte nicht darauf, dass Chávez ein paar neue Bücher gekauft oder ein paar Ratschläge vom zentristisch-trotzkistischen Theoretiker Alan Woods bekommen hatte. Wiederholte Mobilisierungen der Massen in Venezuela schubsten Chávez nach links. Er musste seine Reden radikalisieren, um die Unterstützung seiner radikalisierten Wählerschaft zu behalten.

Der Putschversuch im April 2002 und die Aussperrung der UnternehmerInnen (die manchmal „Streik“ genannt wird) im Dezember 2002 wurden durch Mobilisierungen der ärmsten Schichten der venezolanischen Gesellschaft zurückgeschlagen. Während des Putsches waren es die Massen auf den Straßen von Caracas, die einen Teil des Militärapparats dazu drängten, die Seiten zu wechseln und die Chávez-Regierung zu retten. Während der Aussperrung waren es die ArbeiterInnen des staatlichen Ölkonzerns PDVSA, die die Ölforderung (und damit die venezolanische Wirtschaft) am Leben erhalten haben, trotz des Boykotts der ManagerInnen.

In letzter Zeit wurde eine ganze Reihe von kleinen und mittleren Fabriken, die von ihren BesitzerInnen geschlossen wurden, von ArbeiterInnen wieder eröffnet, die die Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle fortsetzen. Doch in all diesen Fällen versucht der „sozialistische“ bürgerliche Staat, die Selbstorganisierung der ArbeiterInnenklasse zu begrenzen, in dem er der Arbeiterkontrolle die „Co-management“ zwischen den Belegschaften und dem Staat entgegensetzt. In den Fällen, wo die ehemaligen BesitzerInnen ihr Eigentum zurück forderten oder wo die ArbeiterInnen die mäßige Linie des Staates zurückwiesen, gab es auch brutale Repression durch die Polizei (zum Beispiel in der besetzten Keramikfabrik Sanitarios Maracay).

Es ist viel die Rede von „Volksmacht“ und tausende kommunale Räte werden in ganz Venezuela etabliert. Doch diese Räte, ähnlich den „partizipative Haushaltsräte“ in Brasilien unter Lula (7) entscheiden lediglich über die örtliche Verwaltung von Geldern, die von der Exekutive kontrolliert werden. Das bedeutet, dass diese Körperschaften keine Grundlage für die Selbstverwaltung der Unterdrückten darstellen, sondern lediglich für den Klientelismus der Staatsbürokratie: „Ich gebe euch heute Geld und ihr gibt mir morgen eure Stimmen.“ In dieser Situation müssen SozialistInnen die grundlegende Schlussfolgerung von Karl Marx aus der Erfahrung der Pariser Kommune verteidigen: Der bürgerliche Staat kann nicht in einen Staat der ArbeiterInnen verwandelt werden, selbst durch die wohlwollendste Regierung nicht. Er muss zersetzt und durch Organe der Arbeitermacht ersetzt werden -Gremien von gewählten und abwählbaren Delegierten, von der Basis aufwärts geschaffen.

Die Verfassungsreform

Parallel zur Gründung der PSUV versucht Chávez, die bolivarische Verfassung zu ändern, die im Jahr 1999 in einer Volksabstimmung angenommen wurde. Das offizielle Ziel dieser Reform ist die Vertiefung der Revolution und die Schaffung von Volksmacht. Doch die 33 vorgeschlagenen Änderungen wurden hinter den Rücken der ArbeiterInnen und Armen ausgearbeitet, ohne jegliche Diskussion unter den Massen oder selbst in der Nationalversammlung. Sie werden jetzt als Paket der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt, und sie kann in einer Volksabstimmung „ja“ oder „nein“ sagen. Dies ist eine typische plebiszitäre Maßnahme, um Unterstützung für das Regime zu schaffen ohne irgendeine wirkliche Massendemokratie zu erlauben.

Die meisten Änderungen sind dazu bestimmt, Macht in der Person von Chávez zu konzentrieren. Der Vorschlag, die aktuelle Begrenzung auf zwei Amtszeiten abzuschaffen – damit könnte sich Chávez für so viele siebenjährigen Amtszeiten wählen lassen wie er möchte – ist das geringste Problem. „Oberste Befehlsgewalt“ über das Militär (einschließlich der Befugnis, Offiziere aller Ränge zu befördern) soll der Präsident bekommen, und die vorgeschlagene „Volksmiliz“ ist nichts als ein neuer Name für die Armeereserven, die unter dem Befehl der Offizierskaste und damit unter dem Befehl von Chávez stehen. Der Exekutive soll es ermöglicht werden, ohne sich von der Nationalversammlung beraten zu lassen, neue Provinzen oder Bundesgebiete zu schaffen und anschließend Vizepräsidenten zu ernennen, die über diese neuen Verwaltungseinheiten herrschen. Der Präsident soll die persönliche Kontrolle über die Zentralbank, die Geldreserven und die gesamte Staatskasse bekommen, zusätzlich zur Kontrolle über die staatliche Ölfirma PDVSA, die er jetzt schon innehat (8).

Das Privateigentum wird durch die Verfassungsreform nach wie vor einen unantastbaren Status haben. In letzter Zeit gab es ein bisschen Dissens von chavistischen Abgeordneten in der Nationalversammlung über einen vorgeschlagenen Artikel, der es der Regierung ermöglichen würde, einen Notstand auszurufen, der die grundlegenden Rechte, die in anderen Teilen der Verfassung festgeschrieben sind, außer Kraft setzen würde. Doch diese Reformen wurden mit leichten Änderungen von der Nationalversammlung angenommen und die Massen können jetzt nur über das gesamte Paket mit „ja“ oder „nein“ entscheiden.

Das Erstaunliche an der vorgeschlagenen Verfassungsreform ist: Bei so viel konzentrierter Macht in den Händen des Präsidenten – Wozu gibt es überhaupt noch eine Nationalversammlung? Die Vorstellung von Chávez und seinen UnterstützerInnen, wonach die Volksmacht gestärkt und die staatliche Bürokratie (durch eine Reform, die ohne die aktive Teilnahme der Massen selbst durchgezogen wurde) geschwächt wird, ist ein bisschen lächerlich.

Die einzige Möglichkeit, um die Rolle der Massen zu stärken, ist, sich selbst in unabhängigen Räten (bestehend aus Delegierten der FabrikarbeiterInnen, SlumbewohnerInnen, arme Bauern/Bäuerinnen, LandarbeiterInnen, SchülerInnen, StudentInnen und einfache SoldatInnen).zu organisieren. Diese Räte könnten , indem sie eine „Volksversammlung“ oder einen ähnlichen Kongress organisieren, der sich aus Delegierten zusammensetzt, die von den Massen gewählt und ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig sind, den Kampf für die Schaffung einer Arbeiterregierung und die Enteignung der KapitalistInnen führen. Diese Form der Massendemokratie, der Selbstverwaltung durch die Unterdrückten, ist ein Grundpfeil des Sozialismus – und genau das lehnt das Chávez-Regime komplett ab.

Wie die PSUV funktioniert

Die Basis für den Beitritt zur PSUV ist die Unterstützung der Verfassungsreform und dieses diffusen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Entsprechend ist die Mitgliedschaft der Partei nicht auf ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und Arme aus den Städten beschränkt. Als Chávez das Projekt vorstellte sagte er: „Ich lade die ArbeiterInnen, die Hausfrauen, die Fachmänner, TechnikerInnen und die nationalistischen UnternehmerInnen ein, ein einheitliches politisches Instrument zu bilden.“ (9) Sein „venezolanischer Sozialismus“ beinhaltet keine besondere Rolle für die ArbeiterInnenklasse. Wie er im Fernsehen erklärte, sei Marxismus „eine dogmatische These, die aus der Mode ist und der heutigen Realität nicht entspricht.“ Er meint weiterhin, dass „die These, dass die ArbeiterInnenklasse der Motor des Sozialismus oder der Revolution sein soll, veraltet“ sei (10).

Die PSUV zählt in ihren Reihen den neu geschaffenen „Verein sozialistischer Unternehmer Venezuelas“ (AESV) (11), der vom ehemaligen Vorsitzenden der Partei „Demokratische Aktion“ (AD) (12) geleitet wird. Weitere prominente PSUV-Mitglieder in diesem Verein sind Bankiers, TextilfabrikantInnen und bekannte ehemalige FunktionärInnen beider ehemals herrschenden Parteien (13).

Nichtsdestotrotz haben sich bis zu sechs Millionen Menschen (aus einer Gesamtbevölkerung von 24-27 Millionen in Venezuela) für die PSUV eingeschrieben. Nur etwa 900.000 von diesen sechs Millionen Mitgliedern – rund 15% – haben gemäß den offiziellen Zahlen jemals an einem Parteitreffen teilgenommen.

Die plötzliche Erscheinung dieser Massenpartei kann nicht einfach durch die große Beliebtheit Chávez‘ unter den Armen des Landes erklärt werden. Es ist ein Zeichen, dass ein massiver Apparat am Start ist, nämlich große Teile des Staatsapparates. Entsprechend gab es unzählige Berichte von Staatsbeamten oder ArbeiterInnen in staatlich subventionierte Kollektive, die gezwungen wurden, sich einzuschreiben, um ihre Arbeitsplätze zu behalten.

Obwohl die Partei noch nicht konstituiert war und die PSUV noch keinen Kongress irgendeiner Art abgehalten hat, hat sie bereits eine „Disziplinarkommission“, die entscheidet, wer beitreten darf und sogar so weit gegangen ist, bekannte PolitikerInnen zum Austritt aus der Partei zu zwingen. In dieser Partei hat die „Disziplin“ – was nichts anderes bedeutet als die Unterordnung unter Chávez und seinem Staatsapparat -einen höheren Stellenwert als irgendein politisches Prinzip. Der Vizepräsident Jorge Rodriguez sagte über die PSUV im September (noch einmal: vor der Parteigründung!), dass es „keine interne Strömungen gibt, denn die zentrale Führung hat der Präsident, Hugo Chávez, inne.“ Folglich sind revolutionär-sozialistische Gruppen, die der PSUV als politische Tendenz beitreten wollten, daran gehindert worden (14).

Doch die eiserne Kontrolle über diese „revolutionäre Partei“ reicht nicht. Im September griff Chávez in einer Rede die Autonomie der Gewerkschaften Venezuelas an. Absurderweise hat er sich dabei auf Rosa Luxemburg berufen: während sie argumentierte, dass Gewerkschaften nicht apolitisch sondern von sozialistischen Parteien geführt sein sollten, übersetzte das Chávez in die Notwendigkeit für Gewerkschaften, sich seinem (kapitalistischen) Staat zu unterwerfen.

Die Schattenbourgeoisie

Unterstützerinnen von Chávez werden fragen: Wenn dies ein bürgerliches Regime ist, warum trifft es auf so harten Widerstand von der Bourgeoisie? Die Mehrheit der venezolanischen Bourgeoisie unterstützt die Opposition gegen Chávez. In einem halbkolonialen Land wie Venezuela, ist die Herausbildung der Produktivkräfte und damit auch der Bourgeoisie von Anfang an gehemmt worden, durch die Vorherrschaft imperialistischen Kapitals in allen Sektoren der Wirtschaft. In dieser Situation nimmt der Staatsapparat – die Verwaltungsbürokratie und die Armee – eine besondere Rolle ein.

Manchmal ist ein halbkolonialer Staat komplett unterwürfig dem Imperialismus gegenüber und verkauft die Reichtümer des Landes so schnell wie möglich. Doch es kann ein Regime an die Macht kommen, das das Ziel verfolgt, das beherrschte Land unabhängiger zu machen, um einen größeren Anteil des Reichtums, das die imperialistischen Länder aus dem Land abziehen, dort zu behalten. Um Druck gegen ihre imperialistischen HerrscherInnen zu schaffen, müssen solche Regimes die Massen der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen mobilisieren, und dafür greifen sie antiimperialistische und sogar antikapitalistische Slogans auf. Oftmals machen diese „Caudillos“ kleine Zugeständnisse, um die Misere der Massen zu mindern (denken wir an die wohltätige Arbeit von Evita Peron!), doch ihre Politik stellte den Privatbesitz an Produktionsmitteln nie in Frage.

Die Bourgeoisie eines halbkolonialen Landes ist viel zu schwach und hat viel zu viel Angst vor den arbeitenden Massen, um einen Kampf zu führen, damit ein größerer Anteil des Reichtums, das durch die Ausbeutung der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen geschaffen wird, im Lande bleibt. Deswegen übernehmen nationalistische Intellektuelle und Militäroffiziere (und Chávez ist beides) die Führungsrolle. Dabei formen sie die nationale Bourgeoisie um, oftmals gegen den empörten Widerstand von wichtigen Sektoren der herrschenden Klasse. Dies ändert jedoch keineswegs den bürgerlichen Charakter ihres historischen Projektes:. Der Staatsapparat wird zu einer Art „Schattenbourgeoisie“, die eine schmerzhafte aber notwendige Restrukturierung der herrschenden Klasse durchzieht, damit sie ihren Reichtum in Zukunft weiter vermehren kann. Langsam entsteht die so genannte „Bolibourgeoisie“, neue bürgerliche Sektoren, die sich dem bolivarischen Staat angepasst oder ihr Reichtum durch Chávez‘ klientelistische Projekte bekommen haben.

Doch längst nicht die gesamte venezolanische Bourgeoisie hat sich für das „bolivarische“ Projekt begeistert. Viele waren glücklich in der Unterordnung unter dem US-Imperialismus und lebten gut von Provisionen ausländischer Ausbeuterinnen. Daraus erklärt sich der verbitterte Widerstand gegen das chavistische Projekt durch die Unternehmerverbände, die großen Medien, die Kirche und die Offizierskaste.

Basierend auf Leo Trotzkis Einschätzung der Cardenas-Regierung in Mexiko in den 30ern, könnte das Regime in Venezuela als „semibonapartistisch“ eingestuft werden. Ein solches Regime balanciert zwischen den sich bekämpfenden Klassen, stützt sich manchmal auf die Bourgeoisie und manchmal auf die mobilisierten ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen. Dabei gewinnt es den Schein der Autonomie von allen Klassen und konzentriert unheimliche Macht in den Händen der staatlichen Exekutive. Für die ArbeiterInnenklasse bedeutet das eine unregelmäßige Mischung aus Mobilisierungen und Repression: das sprichwörtliche Zuckerbrot und Peitsche.

Für eine revolutionäre Partei

Chávez‘ Driften nach links ist ein Produkt zunehmender Kämpfe und Organisationsprozesse der Massen. Der wichtigste von diesen Prozessen ist die Bildung eines neuen Gewerkschaftsdachverbandes, nachdem die alte, gelbe Gewerkschaft CTV sich 2002 am Putschversuch beteiligt hatte. Die Nationale Arbeiterunion (UNT) wurde 2003 gegründet und wuchs schnell, bis sie über eine Million Mitglieder hatte, während die CTV praktisch verschwand.

Linke Mitglieder der UNT-Führung, die sich in der Gewerkschaftsströmung „Klassenkämpferische, Vereinigte, Revolutionäre, Autonome Strömung“ (C-CURA) zusammengeschlossen hatten, gründeten eine eigene politische Partei, die Partei für Revolution und Sozialismus (PRS) im Juli 2005. Obwohl die Führungsfiguren bekannte GewerkschafterInnen wie Orlando Chirino und Stálin Pérez Borges (beide Nationale Koordinatoren der UNT mit trotzkistischem Hintergrund), wuchs die PRS nur langsam. Die Führung widmete sich nicht ernsthaft dem Aufbau eines politischen Projekts neben der C-CURA und, besonders wichtig, kämpfte nicht für die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnen gegenüber dem chavistischen Establishment, z.B. in Form von ArbeiterkandidatInnen bei Wahlen.

Die PRS war oft kritisch gegenüber Chávez, aber hat chavistische KandidatInnen bei Wahlen unterstützt – bei den letzten Präsidentschaftswahlen ging sie soweit, ein Wahlbündnis mit der plebejisch-populistischen „Volkseinheit Venezuelas“ (UPV) zu bilden, um Chávez zu unterstützen.

Mit der Bildung der PSUV hat sich die PRS gespalten. Ein Flügel um Stálin Pérez Borges, ging als lose Strömung in die PSUV : Zeitschrift „Marea Clasista y Socialista“ (Klassenkämpferische und Sozialistische Flut) als „Zeitung von Anwärtern auf Mitgliedschaft in der PSUV“. Selbstverständlich wurden sie daran gehindert, der neuen Partei in organisierter Form beizutreten – das „Aufbaukomitee“ und die „Disziplinarkommission“ entscheiden über solche Regeln, obwohl die Partei kein Programm und kein Statut hat.

Stálin Pérez Borges und seine GenossInnen, als bekannte GewerkschaftsführerInnen, haben den fatalen Fehler gemacht, einer Partei beizutreten, die KapitalistInnen und den Arbeitsminister in ihren Reihen zählt. Das grundlegende Prinzip der International Workers of the World, „die ArbeiterInnenklasse und die besitzende Klasse haben nichts gemeinsam“ (15), gilt in Venezuela im Jahr 2007 noch genauso wie in den USA 100 Jahre davor. Was werden die „TrotzkistInnen“ in der PSUV machen, wenn „ihre“ Partei und „ihre“ Regierung die Autonomie der Gewerkschaften angreifen, ArbeiterInnen im staatlichen Sektor Kollektivverträge verweigern, usw.?

Ein anderer Flügel um Orlando Chirino blieb außerhalb der PSUV, hat aber sehr wenig getan, um die PRS aufzubauen : Tatsächlich scheint auch die Restpartei verschwunden zu sein. Als Teil einer Debatte innerhalb der C-CURA über die Verfassungsreform und die PSUV, schrieb Chirino:

„Sie stellt das Privateigentum überhaupt nicht in Frage. Unser Arbeitsertrag, der Mehrwert, den wir als Arbeiter schaffen, wird durch die Minderheit der Unternehmer angeeignet oder im günstigsten Fall durch einen Staat, der die Produktionsmittel vom Standpunkt des Kapitalismus aus verwaltet. Die wirkliche Machtausübung wird nicht den mobilisierten Massen übertragen, damit sie grundlegende Entscheidungen zur Verwandlung des Landes treffen können. Jetzt besteht die Möglichkeit, dass multinationale Konzerne die juristischen Rechte auf den Boden, auf die Gewässer, auf unsere natürlichen Ressourcen durch gemischte Unternehmen haben werden. Die bürgerliche Justiz bleibt bestehen, die Verwaltung von dieser bleibt in den Händen der Kapitalisten und wird die Ausbeuter und die Diebe in weißen Hemden weiter begünstigen. Die Verteidigung der Revolution wird in den Händen einer Berufsarmee bleiben und nicht der bewaffneten Massen, die trainiert werden, um sich selbst gegen die Feinde der Massen und der Revolution zu wehren.“ (16)

In einem anderen Artikel stellt Chirino die Alternative dar, die die ArbeiterInnenklasse nötig hat: „Wir ArbeiterInnen müssen eine einzige Schlussfolgerung ziehen: Unser Platz ist nicht in der PSUV, wir müssen unseren eigenen Raum, unsere eigene Arbeiterpartei schaffen. Eine Partei, die die Autonomie der Gewerkschaften verteidigt, die die ArbeiterInnen zur Verteidigung ihrer Rechte mobilisiert, die wirklich mit den Unternehmern und den multinationalen Konzernen bricht, die für die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel, des Besitzes der Großgrundbesitzer, der Handelsketten und Banken kämpft. Das ist Sozialismus. Alles andere ist nur der Versuch, den Kapitalismus zu verschönern. Wir wollen keine Partei, die nur von der Kritik an der Regierung lebt, wir wollen eine Partei, die für die Machtergreifung und eine Regierung der Arbeiter kämpft.“ (17)

Diese Statements sind absolut richtig. Trotz des massiven Drucks, der PSUV beizutreten, der eine ganze Schicht von dem Chavismus gegenüber kritischen AktivistInnen hineingedrängt hat, laufen Diskussionen innerhalb der organisierten ArbeiterInnenbewegung Venezuelas über die Notwendigkeit eines unabhängigen „politischen Instruments“ oder einer Partei der ArbeiterInnenklasse. Solche Initiativen müssen von RevolutionärInnen vorangetrieben werden, besonders weil die ArbeiterInnenklasse Venezuelas noch nie über eine eigene Massenpartei verfügte.

Die Debatten über die Bildung eines solchen „Instruments“ oder einer solchen Partei bieten revolutionären Kräften eine außerordentliche Gelegenheit, ihr Programm einem breiten Publikum vorzustellen und können und unter bestimmten Bedingungen, zur Bildung einer revolutionären Massenpartei führen. Doch nur, wenn die Lehren aus dem Scheitern der PRS gezogen werden: Es ist zentral, dass jede ArbeiterInnenpartei, die den Sozialismus als Ziel hat, konsequent für die Unabhängigkeit vom bürgerlichen Staat kämpft.

Beitreten oder nicht beitreten?

Chávez rief alle Parteien, die aktuell seine Regierung unterstützen, dazu auf, sich aufzulösen und der PSUV beizutreten. Doch die sozialdemokratischen Parteien „Vaterland für alle“ (PPT), „Podemos“ und die Kommunistische Partei Venezuelas haben sich geweigert. Chávez und seine UnterstützerInnen werfen diesen Parteien vor, nur an Regierungsposten und Privilegien interessiert zu sein. Doch die PCV, sich auf die stalinistische Tradition der Klassenzusammenarbeit stützend, kann in ihrer begeisterten Unterstützung für die „bolivarische Revolution“ kaum übertroffen werden: Sie ruft zur Bildung einer „antiimperialistischen Front“ zusammen mit der PSUV und „patriotischen“ Sektoren der Bourgeoisie auf.

Doch wie ihr Generalsekretär Oscar Figuera erklärte: „Wir sind der PSUV nicht beigetreten, denn sie ist eine polyklassistische (d.h. Mehrklassen-)Partei, in der Unternehmer, Besitzer, Arbeiter und andere soziale Schichten einschließlich Sektoren, die nicht sozialistisch sind, zusammen leben, und wir haben eine sehr gut definierte Klassenposition. Wir sind die Partei der Klasse der ArbeiterInnen und Werktätigen.“ (18)

Es ist enttäuschend, dass eine stalinistische Partei solche grundlegende marxistische Positionen verteidigen kann, während es kaum trotzkistische Gruppen oder AktivistInnen in Venezuela gibt, die bereit sind, einen prinzipiellen Widerspruch (und nicht nur eine taktische Einwand) gegen eine Mehrklassenpartei vorzulegen (19).

Ohne Zweifel müssen RevolutionärInnen so nah wie möglich an der ArbeiterInnenklasse daran sein. KommunistInnen müssen bereit sein, in irgendeiner Massenorganisation der ArbeiterInnen (einschließlich, unter den Bedingungen faschistischer Diktatur, in den gelben „Gewerkschaften“ der FaschistInnen) zu arbeiten, um Arbeiterkämpfe mit dem wissenschaftlichen sozialistischen Programm zu verbinden. Durch die Geschichte hinweg waren MarxistInnen immer in der ersten Reihe als die ArbeiterInnenklasse ihre eigenen politischen Bewegungen und Parteien gebildet hat, selbst wenn diese keine revolutionäre Orientierung hatten. Aus diesem Grund sprechen sich verschiedene trotzkistische AktivistInnen in Venezuela und international dafür aus, in die PSUV einzutreten. Doch ist die PSUV überhaupt eine „Arbeiterpartei“?

Zweifellos sind viele der PSUV-Mitglieder ProletarierInnen. Doch der Klassencharakter einer Partei wird nicht in erster Linie durch die Mitglieder bestimmt, selbst wenn die große Mehrheit ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen sind. Die herrschenden Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft sind zahlenmäßig unbedeutend, so dass selbst eine durch und durch bürgerliche Partei eine Mehrheit von ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen unter ihren Mitgliedern und WählerInnen zählen wird.

Trotzki erklärte, dass der Klassencharakter einer Partei nicht durch 99% der Mitglieder definiert wird, sondern durch die Führung und durch die Klasseninteressen, die die Partei verteidigt. Wie oben erklärt wurde, dienen die „bolivarische Revolution“ und die PSUV einem Teil der venezolanischen Bourgeoisie, die eine stärkere Position im Verhältnis zum US-Imperialismus anstreben. Sie soll die Massen organisieren und mobilisieren, um dieses Projekt durchzusetzen. In diesem Sinne ist die PSUV keine Arbeiterpartei. Sie wurde nicht durch die Aktivität der ArbeiterInnenklasse sondern durch Chávez und die staatliche Bürokratie initiiert. Die PSUV ist demnach eine plebejisch-populistische Partei.

Die Grenzen des Populismus

In der Geschichte Lateinamerikas finden sich unzählige Beispiele populistischer Parteien: die APRA in den 30er Jahren in Peru, die peronistische Partei in den 40er Jahren in Argentinien, die FSLN in den 70ern in Venezuela usw. usf. Nur in einem Fall führte der Sieg einer solchen Partei zur Abschaffung des Kapitalismus: auf Kuba im Jahr 1959, wegen der unaufhörlichen Angriffe des US-Imperialismus. Fidel Castros bürgerlich-nationalistische M-26-J wurde gezwungen, eine stalinistische Partei zu bilden und die KapitalistInnen zu enteignen. Eine Planwirtschaft wurde etabliert, jedoch kam das ohne eine Arbeiterrevolution zu Stande und es fehlten irgendwelche Organe der Arbeitermacht (20). In allen anderen Fällen sind diese Parteien, die an die Macht gekommen sind mit Versprechungen, den Imperialismus zu bekämpfen und den Kapitalismus zu beenden, bei ihren erklärten Zielen gescheitert. Entweder wurden sie selbst zu AgentInnen der Weltbank und des IWFs oder sie wurden durch jene „patriotischen“ Militäroffiziere und StaatsbürokratInnen gestürzt, in die sie so viel Vertrauen investiert hatten.

Für revolutionäre KommunistInnen ist es von zentraler Bedeutung, diese Strömungen nicht nur richtig zu analysieren sondern auch, richtige Taktiken zu entwickeln, um ihre UnterstützerInnen aus der ArbeiterInnenklasse für eine unabhängige, proletarische Partei mit einem revolutionären Programm zu gewinnen, wenn sie über Einfluss über große Teile der ausgebeuteten Bevölkerung verfügen. Denn nur eine solche Partei vermag den Kampf für die Enteignung der Produktionsmittel und die Zerschlagung des kapitalistischen Staates, was der erste Schritt im Übergang zum Sozialismus darstellt.

Im Allgemeinen müssen RevolutionärInnen Gelegenheiten finden, um gemeinsam mit den Mitgliedern dieser Parteien in einer Einheitsfront zu kämpfen, ohne irgendeine Kritik an deren Führungen fallen zu lassen, um die Überlegenheit des revolutionären Programms in der Praxis zu zeigen. Doch unter keinen Umständen darf ein zentrales Prinzip des Marxismus verworfen werden – nämlich die Notwendigkeit einer unabhängigen proletarischen Organisation – in dem ArbeiterInnen aufgerufen werden, diese bürgerlichen Parteien zu wählen oder in sie einzutreten (21).

Über die APRA, eine fortschrittliche bürgerliche Partei in Peru mit großer Unterstützung in der ArbeiterInnenklasse, schrieb Leo Trotzki im Jahr 1938: „Eine Zeitlang konnte ich mir kein klares Bild über das Programm der APRA machen. Doch der neuste Brief vom Chef dieser Partei ist klar. Es ist eine Volksfront-Partei. Eine Volksfront ist in der Partei inbegriffen, wie in jeder Vereinigung dieser Natur. Diese Führung ist in den Händen der Bourgeoisie und die Bourgeoisie fürchtet sich vor ihren eigenen ArbeiterInnen. Deswegen hat diese Partei, selbst wenn sie stark genug ist, die Macht für die Revolution zu übernehmen, Angst davor, diesen Weg einzuschlagen. Sie hat weder den Mut noch die Klasseninteressen, um die Bauernschaft und die ArbeiterInnen zu mobilisieren, sie ersetzt sie mit militärischen Manövern und direkter Intervention durch die Vereinigten Staaten. Natürlich können wir nicht in eine solche Partei eintreten, auch wenn wird dort einen Kern aufbauen können, um ArbeiterInnen zu gewinnen und sie von der Bourgeoisie zu brechen. Doch unter keinen Umständen sollen wir die Idiotie Stalins mit der Kuomintag in China wiederholen“ (22).

Die Formel des „Kerns, um ArbeiterInnen zu gewinnen und sie von der Bourgeoise zu brechen“ ist genau die Taktik, die venezolanische KommunistInnen brauchen, um das Phänomen der plebejischen Partei zu begegnen, die Hunderttausende ArbeiterInnen organisiert, die den Kapitalismus abschaffen wollen, jedoch in dem Glaube verfangen sind, dass ihr „Máximo líder“ das für sie erledigen wird. Eine revolutionäre Organisation kann Kader in einen solchen Verband hineinschicken, um an den Debatten teilzunehmen und zu versuchen, ArbeiterInnen vom Chavismus zu brechen, doch sie muss in Form einer unabhängigen Struktur vollständige Kritik – und Aktionsfreiheit bewahren. Selbstverständlich wird es unmöglich sein, ArbeiterInnen von einer solchen Partei zu brechen, so lange RevolutionärInnen nicht von Anfang an ihren prinzipiellen Widerspruch gegen eine solche Mehrklassenpartei klar machen.

Keine leere Flasche

Am Anfang dieses Artikels wurde argumentiert, dass die PSUV keine leere Flasche sei, die darauf wartete, mit „bürgerlichem“ oder „proletarischem“ Wein gefüllt zu werden. Manche könnten erwidern, dass eine solche Einschätzung „fatalistisch“ sei, da die große proletarische Basis sich innerhalb der neuen Partei behaupten könnte. Doch darauf antwortete Trotzki, in einer Schrift über die chinesische Kuomintang, folgendermaßen:

„Die Notwendigkeit, in die Kuomintag einzutreten, wurde verteidigt, in dem man vorgab, dass die Partei aufgrund ihrer sozialen Zusammensetzung die Partei der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen war; dass neun Zehntel der Kuomintag der revolutionären Strömung angehörten und bereit waren, zusammen mit der Kommunistischen Partei zu marschieren. Bekanntlich ist die bürgerliche Gesellschaft so aufgebaut, dass die nicht besitzenden Massen, unzufrieden und betrogen, unten sind, während die Betrüger oben sind. Jede bürgerliche Partei ist auf dieser Art aufgebaut, sofern sie wirklich eine Partei ist, d.h. sofern sie die Massen in beachtlichem Maß erfasst. In einer Gesellschaft, die in Klassen aufgeteilt ist, gibt es nichts mehr als eine Minderheit der Ausbeuter, Betrüger, Profiteure. In diesem Sinn muss jede kapitalistische Partei, in irgendeiner Art und Weise, in ihren internen Verhältnissen die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft reproduzieren und widerspiegeln. Deswegen wird in jeder bürgerlichen Massenpartei die Basis „demokratischer“ und „linker“ sein als die Spitze. Doch die Spitze der Kuomintang ist die Seele der Kuomintag, ihr soziales Wesen.“

Trotzki fügte hinzu: „Die Kuomintang nicht als bürgerliche Partei sondern als neutrale Arena zu betrachten, in der man Seite an Seite mit den Massen kämpfen kann – über die neun Zehntel an der Basis zu reden, um die Frage zu verschleiern, wer der Herr des Hauses ist – bedeutet, die Stärke und die Macht der Spitzen zu konsolidieren. Sie [die StalinistInnen] glaubten, dass durch einfache Neuwahlen auf dem Kongress der Kuomintang die Macht von den Händen der Bourgeoisie in die Hände des Proletariats wechseln würde. Kann man sich eine berührender, eine idealistischere Hingabe zur „Parteidemokratie“ vorstellen, wenn wir es mit einer bürgerlichen Partei zu tun haben? Die Armee, die Bürokratie, die Presse und das Kapital sind in den Händen der Bourgeoisie, und das ist genau was uns versichert, dass das Lenkrad der Partei ebenfalls in ihren Händen bleibt. Mit diesen gewaltigen Mitteln behält die obere bürokratische Kaste ihre Kontrolle nicht nur über die neun Zehntel der Mitglieder, die auf dem ‚linken‘ Flügel der Partei sind, sondern auch über die Massen in ihrer Gesamtheit.“ (23)

Die Basis und die Bürokratie

Die Parteibasis der PSUV ist noch nicht gefestigt – es ist nicht klar, wie viele der sechs Millionen Menschen, die sich eingeschrieben haben, oder der 900.000, die jemals bei einem Parteitreffen waren, tatsächlich aktiv sein werden. Aber die Parteibürokratie ist schon mehr oder weniger etabliert, da sie von den Bürokratien der staatlichen Ministerien und der alten Parteien übernommen wurde. Der Klassencharakter einer solchen Staatspartei lässt nicht leichter ändern als der Klassencharakter des Staates selber. Deshalb müssen alle Debatten über das taktische Verhältnis von RevolutionärInnen zur PSUV vom strategischen Ziel ausgehen, ArbeiterInnen von der PSUV zu brechen – und nicht, sie reinzuholen. Das Gebot der Stunde ist, „zu sagen, was ist“, anstatt Illusionen über die Möglichkeit der Verwandlung der PSUV in ein Instrument der proletarischen Revolution zu stärken.

Die ArbeiterInnenklasse in Venezuela muss – und wird unvermeidlich – die Verbesserungen in Bezug auf demokratische und soziale Rechte, die unter der Chávez-Regierung errungen wurden, verteidigen. Das bedeutet auch die Verteidigung der Chávez-Regierung, wenn sie vom Imperialismus oder interner Reaktion angegriffen wird. Doch diese Verteidigung müssen sie nicht als ChavistInnen anbieten, sondern als ArbeiterInnen, deren Interessen vorübergehend mit den Interessen des bürgerlichen Regimes konvergieren. Auf dieser Art werden sie politisch darauf vorbereitet sein, gegen Chávez und seinen Staatsapparat zu kämpfen, wenn diese einen Politikwechsel oder eine wirtschaftliche Krise durchmachen und die Repressionskräfte gegen die Arbeiterbewegung loslassen.

Der zentrale Kampf von RevolutionärInnen im Moment besteht darin, gegen Illusionen in „revolutionäre“ Militäroffiziere, „sozialistische“ Staatsbeamte und „antikapitalistische“ KapitalistInnen anzutreten – das heißt, für eine unabhängige Politik und unabhängige Organisationen der ArbeiterInnenklasse einzutreten. Die Losung der unabhängigen Politik der ArbeiterInnenklasse verliert ihre Bedeutung, wenn revolutionäre proletarische Organisationen sich auflösen, um der PSUV beizutreten. Deswegen müssen wir revolutionäre Gruppen in Venezuela unterstützen, die für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei kämpfen, doch wir können keine Kritik sparen, wenn diese Gruppen das Prinzip der Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse aufgeben.

Trotzkistische Strömungen

Die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) hat eine Sektion in Venezuela, die hauptsächlich aus StudentInnen besteht, El Militante. Sie weigern sich, das chavistische Projekt zu kritisieren – oder überhaupt seinen Klassencharakter zu analysieren -, da sie ArbeiterInnen im Rahmen des Chavismus mobilisieren wollen. Folglich stellen sie die Verfassungsreform als Schritt hin zum Sozialismus dar und werfen jede/n, der/die sich nicht in die PSUV hineindrängen lässt, „Sektierertum“ vor.

Die Internationale Arbeiterunion (UIT) war der politische Hauptsponsor der PRS-Führung, auch wenn sie keine formale Sektion in Venezuela hatte. Nach der Spaltung der PRS gibt sie (und die MST aus Argentinien, die aus unbekannten Gründen nicht mehr Teil der UIT ist) die wichtigste internationale Unterstützung für die Gruppe um Stálin Pérez Borges, die in die PSUV eingetreten ist.

Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) hat einzelne Mitglieder in Venezuela. Die Position des CWIs zur PSUV ist schwammig, sie sagen, CWI-Mitglieder „werden nicht nicht beitreten“ und stellen es als Möglichkeit dar, dass die PSUV „vollständig demokratisch, mit einer aktiven Basis und einem revolutionär-sozialistischen Programm“ sein könnte (24).

Die Internationale Arbeiterliga -Vierte Internationale (LIT-CI) hat gerade eine Sektion in Venezuela gegründet, die Sozialistische Arbeiterunion (UST). Die UST erklärte, ganz richtig: „Wir sind Arbeiter und deswegen gehen wir nicht in die PSUV.“ Die LIT-CI, die in ihrer Geschichte entristische Projekte von mehr als einem Jahrzehnt betrieben hat, veröffentlichte einen Artikel darüber, „warum der Eintritt in die PSUV nicht das Gleiche ist wie der Eintritt in die brasilianische PT in den 80ern“.

Die Trotzkistische Fraktion -Vierte Internationale (FT-CI) hat eine kleine Sektion in Venezuela, die hauptsächlich aus StudentInnen besteht, die Jugend der revolutionären Linken (JIR). Sie beteiligten sich an der PRS aber bildeten eine öffentliche Fraktion „für echte Klassenunabhängigkeit“, als die Parteiführung fast unkritische Unterstützung für Chávez gab. Sie rufen zu einer „großen Bewegung für eine unabhängige Partei der Arbeiter auf“ und schlagen eine internationale Kampagne für Klassenunabhängigkeit in Venezuela vor.

//Wladek Flakin, 11. November 2007

//Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in englischer Sprache im Journal „Permanent Revolution“, Nr. 7, Winter 2007. Die deutsche Übersetzung wurde zuerst
veröffentlicht auf der Seite der Gruppe für revolutionäre ArbeiterInnenpolitik.

//aus der Broschüre "Wohin geht Venezuela?"

 

Fussnoten:

Zur Übersetzung: Das Wort „people“ (bzw. „pueblo“ im Spanischen) wurde immer mit „Massen“ übersetzt, da das Wort „Volk“ im Deutschen eine viel stärkere nationale oder rassische Konnotation hat. Eine genderneutrale Schreibweise wurde immer verwendet, außer bei Zitaten, die im Original ebenfalls nicht genderneutral waren.

1. Für weiterreichende Artikel über den Klassencharakter des bolivarianischen Projektes siehe die Literaturliste, die im Journal "Permanent Revolution" abgedruckt wurde.

2. Zitiert auf der Kampagnenseite „Hände weg von Venzuela“, http://www.haendewegvonvenezuela.org

3. Rede vom 4. Juni 2007, http://www.venezuelanalysis.com/news/2426

4. The Perils of Petrocracy, http://www.nytimes.com/2007/11/04/magazine/04oil-t.html

5. Ambassador Bernardo Alvarez, Speech in Washington on July 25, 2007,
http://www.embavenez-us.org/news.php?nid=3616

6. Synergy With the Devil, http://www.newyorker.com/talk/content/articles/070108ta_talk_surowiecki

7. siehe: Brazil‘s participatory budgets, http://www.permanentrevolution.net/?view=entry&entry=1585

8. Für weitere Informationen über die Verfassungsreform, siehe: „ Una reforma cocinada a espaldas del pueblo“, http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=967, oder „Sozialismus des 21 Jahrhunderts“ – eine Sackgasse“, http://www.arbeiterinnenpolitik.net/texte/sope_14venezuela.pdf

9. Rede vom 15. Dezember 2006, http://www.aporrea.org/imprime/a29730.html

10. „El debate sobre un gran partido de trabajadores“, http://www.jir.org.ve/article.php3?id_article=428

11. Das sind die „sozialistischen KapitalistInnen“, von denen am Anfang des Artikels die Rede ist.

12. Eine der zwei bürgerlichen Parteien, die Venezuela seit den 50er Jahren rotierend regierten.

13. „¿Ingresar al PSUV es lo mismo que ingresar al PT brasilero?“, http://www.lahaine.org/index.php?blog=3&p=23010

14. „Sin Corrientes pero con Tendencias“, el 20% del PSUV elegirá voceros, http://www.aporrea.org/medios/a40728.html

15. Statut der Industrial Workers‘ of the World, http://www.marxists.org/history/usa/unions/iww/undated/delegate.htm

16. UNT leader argues against PSUV, http://www.permanentrevolution.net//?view=entry&entry=1688

17. „Nuestro lugar no está en el PSUV“, http://www.mas.org.ar/periodicos/per_108/070816_11_chirino.htm

18. „En nuestra historia hemos tenido aciertos y errores“,
http://www.jotaceve.org/index.php?option=com_content&task=view&id=765&Itemid=1

19. Es gibt schon kleinere Gruppen wie die UST/LIT-CI und die JIR/FT-CI.

20. Die Abschaffung des Kapitalismus ohne eigenständige Aktivität durch die ArbeiterInnenklasse war nur möglich durch die Unterstützung und unter der Führung der herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion. Die veränderte Außenpolitik der UdSSR war einer der Gründe, warum dieses Phänomen sich nicht wiederholte, als 1979 in Nicaragua die FSLN an die Macht kam (d.h. sie haben die Wirtschaft nicht grundlegend geändert). Jetzt, wo die ehemaligen degenerierten Arbeiterstaaten zusammengebrochen sind oder den Kapitalismus wieder eingeführt haben, gibt es kaum die Möglichkeit, dass eine linkspopulistische Partei den Kapitalismus überwindet.

21. Revo Germany hat sich für eine kritische Wahlunterstützung für Chávez bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2006 ausgesprochen, da es keine ArbeiterkandidatInnen gab (siehe REVOLUTION Nr. 21), aber seit dann haben wir unsere Position geändert.

22. León Trotsky, Escritos Latinoamericanos, Buenos Aires 2007, p. 125.

23. Dieses Zitat basiert auf eine gekürzte Weitergabe in einem spanischsprachigen Artikel. Eine englische Übersetzung des Originaltextes befindet sich hier: http://www.zhongguo.org/trotsky/revbetrayed/images/China/31.htm

24. http://www.socialistworld.net/eng/2007/10/30veneza.html

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