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Die Revolution wählen?

Am 3. Dezember wird der Präsident Venezuelas gewählt

Venezuelas Präsident Hugo Chávez wird in den bürgerlichen Medien oft als ein gefährlicher Revolutionär dargestellt. Vor der UNO-Vollversammlung bezeichnete er den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush als den Teufel. Öfters stellt er sich gegen imperialistische Aggressionen der USA und der EU im Nahen Osten. Am 3. Dezember wird es in Venezuela Präsidentschaftwahlen geben und es stellt sich nun die Frage: Wäre eine Wiederwahl Chavez’ im Interesse der Revolution?

Um dies zu beantworten, muss man sich die Situation in Venezuela und deren Veränderung in den vergangen Jahren anschauen. Hugo Chavez wurde 1998 zum Präsidenten gewählt – im Jahr 2000 wurde er durch ein Referndum von 60% der Wähler­Innen im Amt bestätigt – und regiert seitdem das Land.

In dieser Zeit wurden viele soziale Maßnahmen durchgeführt, die das Leben der Armen – über 50% der Bevölkerung! – verbesserten. So wurde durch die „Misión Robinson”, einer breitangelegten Alphabetisierungkampagne, laut UNESCO der Alphabetismus in Venezuela im Jahr 2005 beseitigt. Durch ein Handelsabkommen, das den Tausch von venezoelanischem Erdöl gegen kubanische ÄrtzInnen und KrankenpflegerInnen vorsieht, kann für die Millionen Menschen in den Slums eine kostenlose Krankenversorgung gewährleistet werden. Außerdem sichert die „Misión Mercantil” die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen – wie z.B. Medikamenten – zu niedrigen Preisen. Finanziert werden diese ganzen Sozialprogramme, durch die der Staat laut der bürgerlichen Opposition von 2003 bis 2006 ca. 13 Milliarden US-Dollar „vergeudete”, durch die milliardenstarken Profite, die die verstaatlichte Erdölindustrie einfährt.

Chavez selbst bezeichnet seine Politik als „bolivarische Revolution” und sieht sich somit in der Tradition Simón Bolívars, eines Unabhängigkeitskämpfers, der im 18. Jahrhundert gegen die Spanier kämpfte. Er bezieht sich jedenfalls rhetorisch auf marxistische Theorie und die sozialitische Tradition Lateinamerikas, also z.B. auf Kuba unter Fidel Castro. Leo Trotzki wird gelegentlich erwähnt – aber Jesus noch viel öfter. Chavez‘ erklärtes Ziel ist es, in Venezuela den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts” aufzubauen. Doch wie genau soll der aussehen bzw. wie sieht er in Venezuela aus?

Einerseits gibt es fortschrittliche soziale Elemente der „bolivarischen” Politik. Andererseits wurden die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln oder an den Medien nicht angetastet, so daß eine kleine Oberschicht weiterhin von der Ausbeutung der ArbeiterInnen und BauerInnen profitiert. Auch die oft hoch gepriesene Landreform ist bei näherer Betrachtung keine grundlegende Änderung der Besitzverhältnisse auf dem Land, da nur ein Besitz von über 5000 Hektar – der zudem auch noch lange Zeit nicht genutzt sein musste – umverteilt werden kann. Somit können Großgrundbesitzer mit ihren Todesschwadronen weiterhin die LandarbeiterInnen terrorisieren. Die einzigen wirklichen Änderungen in dieser Hinsicht wurden von den ArbeiterInnen und BauerInnen selbst erkämpft, etwa durch die Landbesetzung oder die Besetzung und Selbstverwaltung von Fabriken.

Durch die Verfassung wurden die Hürden für politische Einflussnahme der Bevölkerung (z.B. jederzeitige Abwahl eines/einer Abgeordneter/in) gesenkt. Aber der Personenkult um el Presidente ist wierdum mit undemokratischen Erscheinungen verbunden. So schlägt Chávez vor, dass die Begrenzung der Amtszeit für den venezolanischen Präsidenten (die jetzt zwei Amtsperioden, d.h. zwölf Jahre, beträgt) aufgehoben wird. Ein solcher „Präsident aufs Lebenszeit“ wäre mit dem basisdemokratischen Anspruch der bolivarianischen Revolution nicht wirklich kompatibel.

Wen sollten die venezolanischen ArbeiterInnen und Armen nun wählen? Auf jeden Fall Hugo Chavez. Denn ein Sieg der Opposition, die sich gegen die sozialen Verbesserungen der Regierung Chavez’ stellt und offen für eine Privatisierung der Erdölindustrie eintritt, würde ihre Situation erheblich verschlechtern.

Allerdings sollte man nicht seine ganzen Hoffnungen auf eine sozialistische Gesellschaft auf Hugo Chavez ruhen lassen. Dieser ehemaliger Offizier ist und bleibt – trotz seiner teilweise sozialen Politik und teilweise sozialistischen Rhetorik – ein bürgerlicher Politiker, dem es zu allererst um seine eigene Machterhaltung geht. Um eine neue Gesellschaft zu erreichen, reicht es nicht, jemanden zu wählen, dessen Ziel es ist, das bestehende System etwas menschlicher zu gestalten. Die venezolanischen ArbeiterInnen brauchen ihre eigenen, demokratischen Organe, um den bestehenden Staat zu zerschlagen, um sich selbst zu befreien, anstatt ihrem „Máximo Líder“ zu folgen. Deshalb kann die Unterstützung der ArbeiterInnen für Chávez nur äußerst kritisch sein.

Was bedeutet das für uns? Als europäische Linke müssen wir die fortschrittlichen Elemente der „bolivarischen Revolution” verteidigen, andererseits aber auch revolutionäre Organisationen – wie z.B. die Clasistas, den klassenkämpferischen Flügel in Venezuelas größter Gewerkschaft (UNT) – im Kampf für eine sozialistische Revolution in Venezuela unterstützen.

//von Antonio aus Tempelhof //REVOLUTION Nr. 21

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