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Krise des „Sozialismus Wie sieht Venezuela nach elf Jahren „Bolivarischer Revolution“ aus? Vor mehr als 11 Jahren wurde Hugo Chávez Präsident von Venezuela. Während seiner Amtszeit – die er als die „bolivarische Revolution“ bezeichnet – erlebte Venezuela große Veränderungen: die Sozialausgaben der Regierung sind massiv angestiegen, die Armutsrate hat sich mehr als halbiert. Die bürgerliche Presse bezeichnet Chávez ohne Weiteres als „Diktator“ – ohne zu erwähnen, dass er vor der 15. Wahl in zehn Jahren steht. Teile der internationalen Linken dagegen preisen seinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ als Modell für die Zukunft. Jetzt steht das ganze chavistische Projekt vor einer entscheidenden Prüfung: Große Teile der armen Bevölkerung – die wichtigste Basis von Chávez – werden ungeduldig, weil 11 Jahre linker Reden die wirtschaftlichen Verhältnisse im Land wenig verändert haben. Im Vorfeld der Wahlen zur Nationalversammlung im September hält der Regierungschef nun besonders radikale Reden (und hat sich auch einen Twitter-Account zugelegt). Krisenerscheinungen Im letzten Jahr mussten die Arbeitenden in Venezuela die Folgen der internationalen Wirtschaftskrise ertragen. Das „Saudi-Venezuela“ bleibt komplett vom Öl abhängig – neun von zehn Dollars, die ins Land fließen, kommen aus Ölexporten, so dass sinkende Rohstoffpreise die gesamte Wirtschaft herunterziehen. Im Januar dieses Jahres ließ die Regierung die venezolanische Währung abwerten, was zu einem massiven Anstieg der Preise führte. Der Internationale Währungsfonds lobte die Maßnahme, die zu drastischen Einbrüchen der Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung führte. In den letzten Monaten kam es zu regelmäßigen Stromausfällen in der Hauptstadt Caracas – mitten in einem Land, das zu den größten Energieproduzenten der Welt gehört! Anhaltende Probleme der Strom- oder der Lebensmittelversorgung sind nicht von der Chávez-Regierung geschaffen worden, sondern Produkt der jahrhundertealten Ausplünderung des halbkolonialen Landes durch imperialistische Mächte. Dennoch ist die „sozialistische Regierung“ in den letzten zehn Jahren im Grunde nur rhetorisch gegen diese Abhängigkeitsverhältnisse vorgegangen. Übernommen wurde auch die massenhafte Korruption der „Vierten Republik“. In den letzten Monaten wurden einige prominente VertreterInnen der „nouveau riche“ (Neureichen) wie Arné Chacón, Bruder des Wissenschaftsministers Jesse Chacón, wegen Korruption verhaftet. Die Tatsache, dass ein ehemaliger niedriger Offizier in zehn Jahren zum Milliardär aufsteigen konnte, zeigt, wie eine „Bolibourgeoisie“ (also eine Schicht von „sozialistischen“, Chávez-treuen KapitalistInnen) entstanden ist – die Verhafteten stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Verstaatlichungen? In den letzten Jahren ging eine Reihe von wichtigen Unternehmen in den Staatsbesitz über, z.B. das größte Stahlwerk des Landes, SIDOR, oder das Telefonnetz von Caracas, CANTV. Doch in all diesen Fällen passt der Begriff „gekauft“ eher als „verstaatlicht“, da die venezolanische Regierung jedes Mal die KapitalistInnen entschädigte – und meist mit weit mehr Geld als dem Börsenwert der Firmen. In den neuen staatlichen Betrieben existiert eine Art ArbeiterInnenkontrolle, jedoch kontrollieren die Beschäftigten nur 49% ihres Betriebs, während der Staat die 51%ige Kontrolle für sich behält. Damit geht die chavistische „ArbeiterInnenselbstverwaltung“ keinen Schritt weiter als etwa die Mittbestimmungsregelungen in der BRD, die ebenfalls 49%ige Kontrolle durch die Beschäftigten vorsehen – und die Macht in den Händen der KapitalistInnen und ihres Staates belassen. Paralell dazu wächst die Repression gegen ArbeiterInnen, die sich weigern, die „sozialistische“ Regierung bedingungslos zu unterstützen. Bei einer Gewerkschaftsdemo am 12. März in der Industriestadt Aragua haben tausende DemonstrantInnen gefordert, dass die KapitalistInnen und nicht die ArbeiterInnen für die Krise zahlen müssten – dafür wurden sie mit Tränengas von der Polizei auseinander gejagt und 28 von ihnen verhaftet. Chávez‘ historisches Projekt ist es, die traditionellen, oligarchischen und vom Imperialismus zutiefst abhängigen Strukturen der venezolanischen Wirtschaft aufzubrechen, um einer eigenständigeren kapitalistischen Entwicklung Platz zu machen. Neuer Sozialismus? Nur ein Teil der KapitalistInnen, eben diese „Bolibourgeoisie“, unterstützt dieses Projekt – und Chávez, um sich den traditionellen Eliten sowie dem US-Imperialismus zu widersetzen, braucht von daher permanente Mobilisierungen der ArbeiterInnen und Armen. Doch für die Regierung ist es zentral, dass ihre Mobilisierungen nicht „zu weit“ – d.h. über den Rahmen des Kapitalismus – hinausgehen. Deswegen wurden Organe wie die Regierungspartei PSUV gegründet oder die Gewerkschaft UNT unter Regierungskontrolle gebracht. Dieses Projekt ist nichts Neues – dieser „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts in fast allen Ländern Lateinamerikas ausprobiert. Präsidenten wie Juan Perón in Argentinien oder Lázaro Cárdenas in Mexiko hielten feurige Reden gegen den Imperialismus und verstaatlichten eine Reihe von Unternehmen – aber brachten ihre jeweiligen Länder dem Sozialismus keinen Schritt näher. Der Weg zum Sozialismus ist im 21. Jahrhundert nicht so ganz anders als im 20.: die ArbeiterInnen müssen sich unabhängig von allen anderen sozialen Klassen organisieren, um den bürgerlichen Staat durch ArbeiterInnenräte zu ersetzen und die Produktionsmittel zu übernehmen. Heute glaubt ein Großteil der Massen an Chávez‘ Versprechen von Sozialismus – die Enttäuschung mit seiner Regierung wird meist auf MinisterInnen um ihn herum gelenkt. Deswegen sollte Chávez auch permanent dazu aufgefordert werden, im Interesse der ArbeiterInnen und nicht der KapitalistInnen zu handeln. Für eine wirklich sozialistische Revolution ist es notwendig, dass große Teile der chavistischen Bewegung ihre Illusionen überwinden und für eine unabhängige Organisierung der ArbeiterInnen gewonnen werden. Das ist die Aufgabe von RevolutionärInnen in Venezuela und weltweit. //von Wladek Flakin, RIO, Berlin //REVOLUTION Nr. 39 |
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