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„We are all socialists now“

Wieso wollen KapitalistInnen jetzt Verstaatlichungen?

Die US-amerikanische Wochenzeitung Newsweek veröffentlichte im Februar eine Titelstory mit dem klangvollen Titel „We are all socialists now“. In diesem beschrieb sie den Weg der USA zu einem „europäischeren“ Staat, d.h. zu einem Staat europäischen Musters, der sich nicht komplett aus der Wirtschaft zurückhält, sondern beträchtliche Steuergelder in staatlich kontrollierte (bzw. zumindest finanzierte) Wirtschaftszweige steckt. Als Indizien dafür müssen das 790 Mrd. Dollar große Konjunkturpaket sowie die Verstaatlichung von Banken und Versicherungen herhalten. Dabei ist selbst der Newsweek-Redaktion klar, dass das allein noch keinen Sozialismus ausmacht.

Dennoch beschreibt der gewählte Titel eine Stimmung der Angst, die momentan vor allem im konservativen Teil der US-amerikanischen Bevölkerung zu finden ist: die neue US-Regierung unter Barack Obama wird die USA zu einer Neuauflage der Sowjetunion machen! Es werden selbst sonstige Erzfeinde wie der russische Premierminister Wladimir Putin zitiert, der auf dem diesjährigen World Economic Forum, einem informellen Treffen von Wirtschaftsverbänden und hochrangigen PolitikerInnen in Davos (Schweiz), die US-VertreterInnen mit dem Verweis auf die russische Geschichte vor zu großen Staatseingriffen in die Wirtschaft warnte. In den weniger konservativen Kreisen der Bevölkerung wird dagegen oft das Argument in Stellung gebracht, dass die USA immer schon teilweise „sozialistische“ Politik gemacht habe – man denke nur an Roosevelts New Deal, der der USA (angeblich) aus der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er half, oder an staatlich geförderte Arbeitslosigkeits- und Gesundheitsvorsorge (wohlgemerkt nicht für alle!).

Wir als MarxistInnen können bei solch kruden Argumentationslinien auf beiden Seiten nur verwundert den Kopf schütteln. Der „Sozialismus“, der dort beschworen wird, hat sehr wenig gemeinsam mit dem Sozialismus, wie wir ihn fordern.

Der Stalinismus

Das absolute Totschlag-Argument der Apologeten des freien Marktes lautet, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ja schonmal ausprobiert wurden, und zwar in der Sowjetunion und deren Satellitenstaaten, „und wir wissen ja, wohin das geführt hat.“

Mit diesem Argument wird eine direkte Linie von der russischen Oktoberrevolution 1917 zur stalinistischen Entartung der Sowjetunion und anderer „sozialistischer“ Länder gezogen. Die Oktoberrevolution war aber nicht von Anfang an bürokratisch und undemokratisch: Vielmehr waren es die Unterentwicklung der russischen Wirtschaft, die eine gleichberechtigte Zuteilung der Güter unmöglich machte, das Ausbleiben der sozialistischen Revolution in den Industriestaaten, und die vom kapitalistischen Ausland unterstützte Konterrevolution, die autoritäre Tendenzen beförderten. Unter Stalin konnte sich eine herrschende Bürokratie konsolidieren, die die demokratischen ArbeiterInnenräte ausschaltete. Insofern ist es historisch wie politisch falsch, Sozialismus mit Stalinismus gleichzusetzen.

Ihre Verstaatlichungen

Neoliberale KommentatorInnen und PolitikerInnen wiederholen gebetsmühlenartig die Verknüpfung von Verstaatlichungen und Sozialismus. Doch sind Verstaatlichungen nicht gleich Verstaatlichungen. Sie unterscheiden sich sowohl in der Art und Weise der Kontrolle der verstaatlichten Betriebe als auch in dem Sinn und Zweck von Verstaatlichungen an sich.

Es scheint zwar tatsächlich so, als ob die Regierungen fast aller Industriestaaten momentan mit Verstaatlichungen liebäugeln, um ihren schwächelnden „Volkswirtschaften“ unter die Arme zu greifen. Aber alle bisherigen Gesetzesentwürfe, von Obamas Konjunktur- und Steuersenkungsprogramm bis zum extra für die Hypo Real Estate Bank gebastelten Gesetz der deutschen Bundesregierung, zeigen genau, welche Art von Verstaatlichungen hier vorgenommen werden sollen: der bürgerliche Staat steigt als Teil-Eigentümer in einem maroden Unternehmen ein und pumpt jede Menge Steuergelder in dessen Sanierung. Aber sobald das Unternehmen bzw. die Bank wieder fit ist, steigt der Staat wieder aus und lässt den AktionärInnen und Vorstandsmitgliedern ihre Profite. Oftmals besteht der bürgerliche Staat nicht einmal auf einem umfassenden Kontroll- und Mitspracherecht für seine Anteile. Diese Verstaatlichungen sind jedoch nichts als Sozialisierungen der Verluste, wonach die Gewinne wieder privatisiert werden.

Der bürgerliche Staat agiert hier also sehr wohl auch im (langfristigen) Interesse der KapitalistInnen und nicht gegen sie. Nichts anderes fordern konservative wie neoliberale PolitikerInnen auch seit Monaten.Wenn sie nun dagegen polemisieren, mit dem Vorwurf der Einführung des „Sozialismus“, dann tun sie dies nur, um klarzumachen, dass die Verstaatlichungen nur ein vorübergehendes Mittel sein sollen, um das weitere Funktionieren des Marktes zu sichern.

Unsere Verstaatlichungen

Der Fakt, dass einige „Linke“ den „Sozialismus“-Vorwürfen entgegnen, dass US-amerikanische wie europäische Regierungen immer schon „sozialistische“ Elemente beinhalteten, zeugt ebenso von einem sehr verkürzten Verständnis des Sozialismus. Soziale Errungenschaften wie staatliche Gesundheits- und Altersvorsorge, staatliche Arbeitslosenversicherung etc. entspringen nicht dem irgendwie sozialistischen Charakter einer bürgerlichen Regierung. Sie sind im Gegenteil immer erst dann eingeführt worden, als das kapitalistische Wirtschaftssystem um seine Existenz bangen musste. Diese „sozialistischen“ Reformen sind allerdings nicht durch das kapitalistische System entstanden, sondern nur gegen und trotz des kapitalistischen Systems. Sozialismus ist eben keinesfalls durch Reformen sondern nur durch einen revolutionären Sturz des Kapitalismus erreichbar.

Verstaatlichungen als Sozialisierung der Verluste lehnen MarxistInnen kategorisch ab, da sie unweigerlich auf Kosten der ArbeiterInnen die Profite für die KapitalistInnen sichern. Stattdessen müssen Verstaatlichungen derart erfolgen, dass die ArbeiterInnen die Produktion in ihren Betrieben selbst kontrollieren können. Punktuell ist dies auch innerhalb des bestehenden Systems möglich, aber die langfristige und flächendeckende Verstaatlichung aller Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle kann es nur nach einer sozialistischen Revolution geben. Diese würde die Grundlage für eine demokratische Kontrolle der gesamten Wirtschaft schaffen.

Wenn die Konservativen und Neoliberalen dieser Welt davor Angst haben, dann zurecht! „Ihr werft uns also vor, daß wir ein Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung voraussetzt. Ihr werft uns mit einem Worte vor, daß wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir.“ - Karl Marx

//von Stefan, Revo FU //REVOLUTION Nr. 34

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