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Tschüssilanti!

Zum Niedergang der SPD in Hessen und bundesweit

Hessen ist eine Art Miniaturdeutschland. Das behaupten zumindest zahlreiche PolitikwissenschaftlerInnen und PR-BeraterInnen. Schließlich hat dieses Bundesland im Herzen der Bundesrepublik eine Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur, die der gesamtdeutschen sehr ähnlich ist. Hessen ist sozusagen ein Trendsetter, denn was in Hessen passiert, soll auch auf das große Ganze anwendbar sein.

Politisch gesehen ist Hessen ein klassischer „Swing State“. In der Vergangenheit haben sich SPD und CDU geführte Regierungen regelmäßig die Klinke in die Hand gegeben. Je nachdem wie gerade der Bundestrend war, verlor oder gewann man in Hessen. Diesen Januar scheint jedoch einiges anders zu laufen – oder doch nicht? Denn der Wahlsieger scheint schon längst fest zu stehen. Nicht mal der oppositionelle sozialdemokratische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümpel glaubt noch an eine Erfolgschance gegen den konservativen Amtsinhaber Roland Koch.

Dabei war es ausgerechnet jener Roland Koch, der vor 12 Monaten noch als völlig politisch erledigt galt. Seine Hetzkampagne gegen „kriminelle Ausländer“ fand weniger Zustimmung als von ihm erwartet und auch beim Thema Studiengebühren konnte sich Koch einer breiten Ablehnung in der WählerInnenschaft sicher sein. Es schien die Stunde der Andrea Ypsilanti zu sein, einer energischen sozialdemokratischen Funktionärin vom sogenannten „linken Flügel“ ihrer Partei. Mit markigen Sprüchen für „Politikwechsel“ und gegen „Sozialabbau“ kämpfte sie um das Vertrauen der Hessen.

Doch der SPD vertrauen? War da nicht was, in der jüngeren Vergangenheit? In der Zeit von 1998 bis 2005 stellte die SPD schließlich mit Gerhard Schröder den Bundeskanzler und betrieb mit Hartz IV und Co. eine Sozialabbaupolitik, wie sie die CDU nicht eindrucksvoller hinbekommen hätte.

Rechts und links

Sorgte Ypsilanti also tatsächlich für einen Politikwechsel, nämlich in ihrer eigenen Partei? Natürlich nicht! Ypsilanti und ihre ganzen AtzInnen machen in Hessen das, was die Sozialdemokratie seit einigen Jahren im Bund macht. Sie versuchen der Linkspartei „das Wasser abzugraben“, also zu verhindern, dass die SPD ihre komplette soziale Basis nach links verliert. Das Problem an diesem Kuschelkurs mit den alten eigenen Idealen ist vor allem eben jene Funktionärsschicht von „SchröderianerInnen“, die sich als bürgerliche Kraft der „Neuen Mitte“ profilieren wollen und die alte (bürgerliche) ArbeiterInnenpartei, die die SPD einst war, längst abgeschrieben haben. Die „linken“ SPDlerInnen sind zwar bereit, Reformen zugunsten der KapitalistInnen mitzugehen, wollen dabei aber die Einbindung von Linkspartei und Gewerkschaften verstärken, um auch soziale Proteste, wie es sie in Hessen z.B. mit der Anti-Studiengebührenbewegung gab, besser kontrollieren zu können.

Ypsilanti vermochte es nicht, den Flügelkampf siegreich zu beenden. Noch im Wahlkampf hatte Ypsilanti, um die eigene Parteirechte ruhig zu stellen, erklärt, nicht mit der Linkspartei zusammenarbeiten zu wollen. Nach der Wahl war sie jedoch auf eben diese Partei bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin angewiesen. Rot-Grün fehlte die rechnerische Mehrheit im Landtag. Die Linkspartei-Abgeordneten waren sofort bereit, den sozialdemokratischen „Politikwechsel“ zu unterstützen, doch vier Abgeordnete aus der SPD versagten Ypsilanti die Zustimmung.

Die Neuwahlen

Am 18. Januar stehen in Hessen nun Neuwahlen an. Die SPD wird wahrscheinlich gleich zu Beginn des „Superwahljahres“ eine demütigende Wahlniederlage erleiden und damit ein Signal für ganz Deutschland setzen, ebenso wie es Wahlen in Hessen schon oft in der Vergangenheit getan haben.

Inwiefern die Ereignisse in Hessen auf ein vollständiges Auseinanderbrechen der SPD hindeuten, ist schwer zu beantworten. Tatsache ist, dass die Sozialdemokratie nun schon seit fast fünf Jahren kontinuierlich auf beiden Parteiflügeln verliert. Während der linke- und Gewerkschaftsflügel in Richtung Linkspartei abwandert, verliert die SPD auf ihrer Rechten an die bürgerlichen Parteien, vor Allem an die Grünen.

Dies ist jedoch kein rein temporärer Verlust; Für die Partei ist dies eine langsame Kernschmelze. Mit dem Verlust von Mitgliedern und WählerInnen geht der Verlust von Abgeordnetenmandaten einher, auch der Verlust vieler FunktionärInnen – und mit deren Wegbrechen verliert die SPD Einfluss in den für sie so wichtigen Gewerkschaften. Die Partei dient für junge KarrieristInnen kaum noch als Sprungbrett nach oben.

Trotzdem ist sie mit über 500.000 Mitgliedern immernoch als die stärkste Partei in der deutschen Arbeiterbewegung der Linkspartei um das Siebenfache überlegen. Dies ist aber nur im Westen Deutschlands so: Im Osten wird sich dieses Jahr die Linkspartei wahrscheinlich mit einer Reihe von Wahlsiegen als die politische Alternative zur CDU etablieren. Die SPD wird dort zum Juniorpartner, entweder von der CDU oder der Linkspartei. In Sachsen droht ihr vier Wochen vor der Bundestagswahl ein zudem sehr bitteres Desaster. Sie ist dort nur unwesentlich stärker als die rechtsextreme NPD: 9,8 zu 9,2% bei der letzten Landtagswahl. Sollten die Nazis dieses Jahr stärker werden, könnte die SPD zur nur noch viertstärksten Kraft im Land Sachsen absteigen.

Die Zukunft der Sozis

Die Sozialdemokratie also bald nur noch außerparlamentarische Opposition? Das Auseinanderbrechen einer großen Partei wird natürlich nicht über Nacht passieren. Aber der längerfristige Niedergang der SPD eröffnet Möglichkeiten für RevolutionärInnen. Denn in der ganzen Geschichte der BRD hat die Sozialdemokratie die Funktion erfüllt, die ArbeiterInnenbewegung von radikalen Einflüssen abzukapseln.

Der Platz links von der SPD wird momentan hauptsächlich von der Linkspartei besetzt. Viele ArbeiterInnen glauben, dass diese Partei ihre Interessen vertritt oder zumindest ein „kleineres Übel“ im Vergleich zu den anderen Parteien darstellt. Um mit diesen ArbeiterInnen in einen Dialog zu treten, kann es legitim sein, diese Partei bei den Wahlen kritisch zu unterstützen, wenn gleichzeitig betont wird, dass ihr Reformismus überhaupt keinen Bruch mit dem herrschenden System darstellt. Wenn die Linkspartei in die Verantwortung kommt – wie wir vor Kurzem in Hessen gesehen haben – zeigt sie selbst, dass sie kaum mehr als eine Mini-Sozialdemokratie ist.

//von Carsten, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 33

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