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KULTURREVOLUTION

The Streets:
Everything is Borrowed

Mike Skinner, besser bekannt als „The Streets“, ist ein unscheinbarer Typ aus Birmingham.

Aber diese Besinnlichkeit kann kaum auf die Bühne übertragen werden, wie mensch zum Beispiel am 3. November beim Konzert im Huxley‘s in Berlin-Neukölln beobachten konnte. Skinner wirkte nicht gerade wie ein Dichter, sondern wie der dümmste Arsch aus Großbritannien, der gerade vom EasyJet-Flugzeug gestiegen ist und mit einer Pubcrawl durch Friedrichshain zieht. „Does anybody have a Jägermeister?“ schreit er in die Menge. „Because I came to paaaaaarty!“

Dabei hat er gerade eine Platte auf den Markt gebracht, die in verschiedener Hinsicht neue Richtungen für „The Streets“ bedeutet. „Everything is Borrowed“ kommt ganz ohne elektronische Beats aus, hat aber dafür einen großen Chor. Überhaupt werden viele musikalische Stile abgedeckt, von Funk zu Gospel zu Kinderliedern, alles mit dem ungewöhnlichen Sprechgesang von Skinner. Während „The Streets“ mit Texten über den Alltag der jungen working class in England berühmt wurde – etwa, ob er eine SMS an die Frau aus der Disko schicken oder lieber ein paar Tage warten sollte – behandeln die neuen Tracks große Themen wie Religion, Liebe und Selbstmord.

Ganz unerwartet schlägt „The Streets“ sogar politische Töne an, zum Beispiel über den Klimawandel. Skinner singt, nach einer Vorlage des US-Komikers George Carlin, dass nicht die Erde gefährdet ist, sondern nur die Menschen, die darauf leben: „Die Erde wird noch lange hier sein, nachdem wir dem Weg des Dodos gefolgt sind.“ Im Text beschreibt er wunderbar, wie Individuen, die mitten im Marktchaos das eigene Überleben sichern müssen, sich nicht um die Gesamtwirtschaft kümmern können. Auch im Video von „Everything is Borrowed“ sieht mensch Skinner als Familienvater, der gerade aus dem Haus geworfen wird.

Das fast ausschliesslich studentische Publikum beim Konzert in Berlin hat vielleicht etwas Reflektiertes erwartet. Doch schon die Konzerthalle – Huxleys Neue Welt am Hermannplatz – liess gleich beim Eintritt Schlimmes vermuten: es gab ein starkes Echo (bei Sprechgesang!) und Securitys, die mit ihren schwarzen Uniformen und Armeestiefel stark an 1984 erinnerten.

Auf der Bühne wirkte Skinner nicht gerade philosophisch: mit einer Hand in der Tasche, während er sich mit der anderen am Kopf kratzte. Er strahlte eine forcierte Partystimmung aus: Ein sonst verklemmter Mensch, der ganz viele Amphetamine nimmt, um etwas sozialer und extrovertierter zu wirken. Der typische Easyjet-Tourist halt.

Damit wirkte Skinner ein bisschen wie ein Antipopstar. Unsere Popstars stellen Ideale dar – Schönheit, Talent, Glamour – die wir für unerreichbar halten. Umso faszinierter blättern wir durch die Boulevardblätter, um zu erfahren, wie sie durch Drogensucht und Familiendrama leiden, um ihre menschliche Seite zu sehen. Skinner dagegen trägt seine Menschlichkeit sehr offen zur Schau: ein kleiner Mann aus Birmingham auf der Bühne, vor der großen Menschenmenge komplett überfordert und eher traurig als verwundert. Jedem/r aus dem Publikum würde es in einer ähnlichen Situation ähnlich gehen, oder?

Vielleicht sollte „The Streets“ den Beatles folgen und nur noch im Studio arbeiten. Denn die Auftritte mögen zum Nachdenken gut sein, aber unterhaltsam sind sie nicht wirklich – erst recht keine 30 Euro wert!

//von Wladek, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 33

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