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Aufstände auf dem Dach der Welt

Tibet zwischen „Menschenrechtsimperialismus“ und chinesischer Unterdrückung

Seit Wochen liefern sich UnterstützerInnen und GegnerInnen der „Free Tibet“-Kampagne einen medialen Schlagabtausch. Während Tibet-FreundInnen für Meinungsfreiheit, Menschenrechte und den Dalai Lama ins Feld ziehen, beschwören viele ChinesInnen die Gefahr eines antichinesischen Mobs, der mit allen Mitteln aufgehalten werden müsse. Dabei dient alles als Bühne, selbst die olympische Fackel wird in die Auseinandersetzung einbezogen

Angefangen hat das Ganze nach den Ausschreitungen in Lhasa, der tibetischen Hauptstadt, am 14. März 2008. Berichten des Medien-Mainstreams zufolge griff die chinesische Polizei eine bis dahin friedliche Demonstration tibetischer Mönche und BürgerInnen gewaltsam an, woraufhin diese sich gewehrt hätten. Chinesische Nachrichtenagenturen insistierten aber, dass die Polizei nur defensiv reagiert habe und überhaupt erst eingeschritten sei, als tibetische DemonstrantInnenen anfingen, chinesische PassantInnen der Han-Volksgruppe zu attackieren sowie chinesische Geschäfte zu plündern und anzuzünden.

Die chinesische Polizei war etwas überfordert.

Die Geschehnisse in Lhasa und anderswo machen vor allem eins deutlich: die gesamte Tibet-Berichterstattung ist parteilich. Es ist klar, dass die gesteuerte chinesische Presse von marodierenden Mobs unter der Führung des Dalai Lama spricht. Ebenso klar muss aber sein, dass auch die „freie“ westliche Presse manipulativ in das Geschehen eingreift und einseitig berichtet. Verifizierbare Informationen sind also außerordentlich schwer zu bekommen.

Die Kampagne

Die „Free Tibet“-Kampagne kämpft nach eigenem Bekunden seit 20 Jahren für die „tibetische Sache, die Vision und die Führung des Dalai Lama“. Unterstützt wird sie dabei von prominenten westlichen PolitikerInnen wie beispielsweise Paula Dobriansky vom US State Department oder dem Vorsitzenden der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Wolfgang Gerhardt. Letzterer sagte im Mai 2007 auf der 5. „International Tibet Support Groups Conference“ in Brüssel: „Unsere Zeit ist jetzt gekommen – besonders wegen der Olympischen Spiele im nächsten Jahr.“

Diese Aussage spricht für sich: Nicht angebliche chinesische Menschenrechtsverletzungen im Vorfeld der Olympischen Spiele waren der Auslöser für den Aufruhr in der westlichen Medienlandschaft. Vielmehr wurden schon letztes Jahr Protestaktionen geplant – es fehlt nicht viel Phantasie, um zu mutmaßen, dass auch die Ausschreitungen in Lhasa mit den Ergebnissen dieser Konferenz zusammenhängen.

Ein weitaus einleuchterendes Argument, warum gerade China ins Visier der westlichen Politik- und Medienkampagne geriet, ist der wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik in den letzten Jahren. Die imperialistischen Regierungen Nordamerikas und Europas sehen ihre Vormachtstellung auf dem Weltmarkt gefährdet. China dehnt seine Handelspartnerschaften nach und nach auf den ganzen Globus aus, wodurch die einstige Monopolstellung der USA und der EU beispielsweise in Afrika und Südamerika ins Wanken geraten. Da erscheint es günstig, anti-chinesische Ressentiments zu schüren, um – wie so oft – im Namen der Menschenrechte und der Demokratie wieder an wirtschaftlicher Macht zu gewinnen.

Der Dalai Lama

Und wer ist der XIV. Dalai Lama? Dieser „Gotteskönig“ begreift sich als das geistliche und politische Oberhaupt des tibetischen Volkes und führt die „tibetische Exilregierung“ an, die seit Jahrzehnten in Dharamsala in Indien sitzt. Weder die geistliche noch die politische Herrschaft des Dalai Lama ist in irgendeiner Weise demokratisch legitimiert – als Kind wurde er von einigen Priestern als Reinkarnation des vorigen Dalai Lama anerkannt. Bis zu seiner Flucht nach Indien 1959 war er sodann der Kopf eines theokratischen Regimes, in denen elementare demokratische Rechte ein Fremdwort und Folter an der Tagesordnung waren.

Es ist natürlich nicht gesagt, dass der Dalai Lama, sollte er wieder an die Macht kommen, noch einmal ein solches Regime implementiert. Es ist allerdings äußerst bemerkenswert, dass er in einer angeblich so säkularisierten Gesellschaft wie der unsrigen ein solches Ansehen genießt. Während die Vermischung von Religion und Politik in der arabischen Welt als Gefahr für die Demokratie dargestellt werden, scheint dies beim tibetischen Buddhismus kein Problem zu sein *.

Die Bevölkerung

Die wirkliche Situation der tibetischen Bevölkerung ist durch den beidseitigen Propaganda-Feldzug schwer einzuschätzen. Auch wenn die Horrormeldungen westlicher Medien im Zuge der anti-chinesischen Kampagne maßlos übertrieben wurden, ist unter dem chinesischen Stalinismus die Unterdrückung der tibetischen Kultur zweifellos vorhanden – Umsiedlungskampagnen von Han-Chines­Innen nach Tibet sind nur ein Beispiel.

Nicht zuletzt deswegen richtete sich der Frust der tibetischen DemonstrantInnen gegen chinesische Geschäfte und PassantInnen. Ein weiterer Grund ist aber, dass die traditionelle tibetische Lebensweise immer mehr unter den kapitalistischen Zuständen in China zu leiden hat. Dies heißt jedoch nicht, dass nur die tibetische Bevölkerung dem Druck der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ausgesetzt ist. Denn die Klassengegensätze im gesamten chinesischen Staat verschärfen sich. Sinophobe Reflexe von tibetischen DemonstrantInnen und westlichen Gutmenschen helfen der arbeitenden Bevölkerung Tibets wenig – die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen Tibets brauchen ein Bündnis mit den 800 Millionen arbeitenden Menschen in China, nicht mit ihrem feudalen „Gotteskönig“, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.

Wir unterstützen das Recht der Tibetaner­Innen auf Selbstbestimmung, denn nur durch die Anerkennung ihrer demokratischen Rechte können wir ihnen klar machen, dass sie nicht vom „Kommunismus“ unterdrückt werden, wie es immer wieder in den Medien heißt. Sie werden von einem kapitalistischen Staat mit einer stalinistischen Führung unterdrückt. Aber Unabhängigkeit von diesem Staat im Rahmen eines unabhängigen, kapitalistischen Tibets würde kein einziges Problem lösen. Eine wirkliche Perspektive für die Armen im höchsten Land der Welt wäre ein sozialistisches Tibet, basiert auf Selbstbestimmung und ohne ethnische oder kulturelle Diskrimierung – ein sozialistisches Tibet, welches von den Massen selbst, ohne einen repressiven, stalinistischen Klüngel, verwaltet wird.

//von Stefan, Revolutionäre Liste an der FU //REVOLUTION Nr. 29

// * „Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs“ von Colin Goldner

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