Diese Seite ist ein Archiv und wird nicht mehr aktualisiert. Die neue Seite von RIO ist: www.klassegegenklasse.org


 

1968: Nicht nur Studis

ArbeiterInnen waren zentral für die globale Revolte 1968

68 hier, 68 da. Alle reden über die „Studentenrevolte“, deren 40jähriges Jubiläum dieses Jahr abgefeiert wird. Das 68 für weit mehr steht als eine Studentenrevolte, wird nicht besonders deutlich – höchstens wird mal nebenbei auf den Prager Frühling verwiesen und damit der Kampf der tschechoslowakischen ArbeiterInnen gegen die stalinistische Bürokratie.

Das erstaunt nur wenig, wenn mensch sich die Leute anschaut, die jetzt öffentlich ihren Senf zur Diskussion dazugeben. Wenn es nicht bürgerliche BerufsantikommunistInnen sind, sind es gebildete und gutverdienende linksliberale PolitikerInnen und JournalistInnen, in deren eigenen Biografien 68 nun mal kaum mehr als eine deutsche Studentenrevolte ist. Aber 1968 steht für mehr, denn in diesem Jahr kamen viele Ereignisse zusammen, die Teil von Bewegungen der Jahre davor und danach waren.

ArbeiterInnen!

Die wirtschaftliche Entwicklung war die Grundlage dieser Bewegungen. Nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs hatte es seit den fünfziger Jahren eine Phase des Aufschwungs gegeben, die Mitte der sechziger Jahre in einer kleinen Rezession endete. Das bewegte die ArbeiterInnen der BRD: sie kämpften gegen Werkschließungen, Leistungskürzungen und Preiserhöhungen. Sie setzten sich auch massiv gegen die Notstandsgesetzgebung ein. 1969 sah eine Welle erfolgreicher „wilder“ Streiks, die den Auftakt bildeten für eine Reihe großer Arbeitskämpfe in den Folgejahren. Vor allem junge ArbeiterInnen beteiligten sich an dieser Bewegung. Es entstand eine starke Lehrlingsbewegung, die sich vor allem gegen die schlechten, ausbeuterischen Ausbildungsverhältnisse richtete.

Unterstützt wurde die Radikalisierung der Bevölkerung durch die erste Große Koalition. Durch das Eintreten der SPD in die Regierung mit der CDU verließ die Sozialdemokratie ihre Rolle als Anwalt der ArbeiterInnen und hinterließ keinen Ersatz.

StudentInnen!

Auch an den Universitäten hatte das seine Auswirkungen. Durch aggressive Kriege, wie den Frankreichs in Algerien, vor allem aber den der USA in Vietnam, verloren die kapitalistischen BefreierInnen vom Faschismus ihre Glaubwürdigkeit. Es wurde deutlich, dass die Siegermächte nicht aus antifaschistischer Überzeugung gehandelt hatten. Das zeigte sich auch daran, dass die Eliten immer noch die gleichen wie zur Nazizeit waren: Chefs und Professoren hatten nun zwar ein demokratisches Gewand angelegt, aber die Kontinuität war nicht zu übersehen und Wahlerfolge der faschistischen Parteien unterstrichen das.

Die Konservativität der „Ära Adenauer“ prägte die Gesellschaft. In diesem Klima entstand eine große linke StudentInnenbewegung, die sich als Opposition zum parlamentarischen System verstand, gegen viele verschiedene Missstände kämpfte und sich zunehmend radikalisierte, als die Hetze und die Verfolgung stärker wurde. Es bildeten sich eine Vielzahl von Gruppierungen, die den Sturz des Kapitalismus zum Ziel hatten, doch konnten sie kaum nennenswerten Einfluss auf die Massen nehmen. Während die Führungsriege der SPD und der Gewerkschaften gegen die StudentInnen hetzte, verhielten sich die jungen revolutionären Gruppen oftmals sektiererisch, unfähig den Einfluss der ReformistInnen auf die Arbeiterschaft zu brechen.

ArbeiterInnen + StudentInnen!

Anders sah es im Mai 1968 in Frankreich aus. Auch hier war der Aufschwung der Nachkriegszeit vorbei. Auch hier war die Gesellschaft verknöchert. Die niedrigsten Löhne der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die längste Arbeitswoche führten zu Kämpfen, Streiks und Besetzungen.

Auch die StudentInnen waren in Bewegung. Anfang Mai besetzten sie die Universitäten Nanterre und Sorbonne, weitere folgten. Die Universitäten, jetzt in den Händen der AktivistInnen, wurden nun für die geöffnet, denen sie sonst verschlossen bleiben: den ArbeiterInnen. Vor Betrieben haben die StudentInnen Flugblätter verteilt. Am 6 Mai kam es in Paris zu einer Großdemonstration von ArbeiterInnen und StudentInnen, der weitere Demonstrationen folgten. Am 10. Mai schließlich begannen heftige Straßenschlachten. Die Polizei trat mit äußerster Brutalität auf, was den Prostestierenden viele Sympathien einbrachte. Schließlich entschloss sich der Pompidou, die geplante Bildungsreform zurückzunehmen. Doch einen Tag nach der Siegesdemonstration gingen die ArbeiterInnen in die Offensive.

Nun wurden Fabriken besetzt, die Chefs zu Gefangenen erklärt; das ganze Land befand sich im Generalstreik, ohne dass eine Gewerkschaftsführung dazu aufgerufen hatte. Der Generalstreik stellte die Machtfrage. Präsident de Gaulle floh nach Deutschland zu seinen Truppen und Ministerien begannen, ihre Akten zu vernichten.

Verratene Revolution!

Die StalinistInnen von der Kommunistischen Partei (PCF) kamen der Bourgeoisie zur Hilfe. Am Anfang hatten die Kremltreuen noch versucht, die Bewegung durch Hetze gegen die „kleinbürgerlichen Unruhestifter“ zu spalten. Dann hatte sie sich an die Spitze setzen wollen, was jedoch nicht akzeptiert worden war. Nun, als die ArbeiterInnenmacht zum Greifen nah war, traten die StalinistInnen in Verhandlungen mit der Regierung und warfen ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um eine Revolution zu verhindern. Denn für die Sowjetbürokratie war de Gaulle, der sich immer wieder gegen Großbritannien und die USA positionierte, ein angenehmer Mitspieler auf dem außenpolitischen Parkett.

Im Gegensatz dazu war das letzte, was die BürokratInnen im Kreml brauchen konnten, ein rotes Rätefrankreich, das die sowjetischen ArbeiterInnen hätte inspirieren können. Präsident de Gaulle kündigte soziale Verbesserungen an und rief Neuwahlen aus, drohte aber auch mit der Armee. Am 30. Mai gab es eine Demonstration zur Unterstützung der Regierung. Die politische Rechte mobilisierte eine Million DemonstrantInnen.

Diese Situation führte dazu, dass der Generalstreik demobilisiert werden konnte. Die ArbeiterInnen und die radikale Linke verfügten über keine bedeutende Organisation, um die Machtübernahme auf die Tagesordnung zu setzen. Dass keine zentralisierte Räteorganisation gebildet worden war, verhinderte die Abwehr der konterrevolutionären Offensive.

Bullen und Barrikaden in einem Pariser StudentInnenviertel

Lernen!

1968 war ein revolutionäres Jahr. Jedoch nicht an den deutschen Unis, sondern in den Betrieben und Universitäten Frankreichs, wo die Lehre des gemeinsamen Kampfes bis heute lebendig ist. Die Bewegung gegen den Erstanstellungsvertrag CPE im Jahre 2006 zeigte erneut, dass die Verbindung der radikalen Jugend mit der gesamten Arbeiterklasse zum Erfolg führt. Organisation, Protest und Rätemacht – von 1986 lernen heißt siegen lernen.

//von Jalava, Revo Kiel //REVOLUTION Nr. 29

RIO • Revolutionäre Internationalistische Organisation • www.revolution.de.com • info[ät]revolution.de.com • (c)opyleft   

Diese Seite ist ein Archiv und wird nicht mehr aktualisiert. Die neue Seite von RIO ist: www.klassegegenklasse.org