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Venezolanischer Sozialismus? Wie ist die Regierung von Hugo Chávez einzuschätzen? Eins muss man über den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez sagen: er versteht es, in die Schlagzeilen der Weltpresse zu gelangen. Über seine antiimperialistischen Reden (er bezeichnete George Bush vor der UNO-Vollversammlung als „den Teufel“) und eigenartige Maßnahmen (er schuf eine eigene Zeitzone für Venezuela, damit die Schulkinder länger schlafen können) wird viel geschrieben. Aber vor allem gilt er in den bürgerlichen Medien als die größte „rote Gefahr“ seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, denn er propagiert einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der im Venezuela aufgebaut werden soll. Er hat einige privatisierte Unternehmen wiederverstaatlicht, z.B. das Telefonnetz der Hauptstadt Caracas, und gerade wegen seiner Wirtschaftspolitik wird er pausenlos als „wahnsinnigen Diktator“ gebrandmarkt. Umgekehrt stilisieren viele Linke aus aller Welt Chávez zu einem sozialistischen Revolutionär – z.B. bejubelt die Deutsche Kommunistische Partei jede Maßnahme von Chávez. Gerade EnthusiastInnen der Linkspartei bewundern das Chávez-Projekt, weil sie darin den Beweis erkennen wollen, dass Sozialismus nur durch eine „linke“ Regierung eingeführt werden kann. Aber entsteht tatsächlich eine sozialistische Gesellschaft in Venezuela? Verfassung und Partei Anfang Dezember gab es eine Abstimmung über eine Verfassungsreform, die das „sozialistische System“ in Venezuela festschreiben sollte. Bei dieser Abstimmung scheiterte das Regierungslager äußerst knapp, was vor allem eins deutlich macht: Chávez ist kaum ein „Diktator“, sonst hätte er kein Referendum veranstaltet, geschweige denn verloren. Der Ausgang der Abstimmung kann kaum als eine Ablehnung des Sozialismus gewertet werden: Die konservative Opposition verzeichnete keinen Stimmenzuwachs gegenüber den letzten Wahlen, aber das Chávez-Lager bekam nur vier Millionen Stimmen, d.h. drei Millionen weniger als vor einem Jahr. (Dabei hat die neue Partei, die Chávez gerade aufbaut, offiziell sechs Millionen Mitglieder!) Das bedeutet, dass viele „ChavistInnen“ von dieser Verfassungsreform nicht überzeugt waren und zu Hause blieben. Es gab viele fortschrittlichen Inhalte der Reform – der Sechs-Stunden-Tag, ein Diskriminierungsverbot, usw. – aber zweifellos wurden jene Inhalte abgelehnt, die eine ungeheuere Macht in den Händen des Präsidenten konzentriert hätte (etwa die Macht, den Ausnahmezustand auszurufen und damit viele Grundrechte außer Kraft zu setzen). Und nicht nur mit dieser Reform soll die Exekutivgewalt gestärkt werden: Chávez baut gerade die „Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas“ (PSUV) als Einheitspartei des Regierungslagers auf. Diese Partei ist trotz ihres „sozialistischen“ Anspruchs nicht eine Partei der ArbeiterInnen Venezuelas: Chávez hat bereits gefordert, die Gewerkschaften müssten dem Staat untergeordnet sein, und in der PSUV gibt es viele StaatsbürokratInnen und „patriotische“ KapitalistInnen – es gibt sogar eine Gruppe von sog. „sozialistischen UnternehmerInnen“! Die Chávez-Regierung versucht zwischen den ArbeiterInnen und den KapitalistInnen zu balancieren – sie versucht, allen gesellschaftlichen Klassen etwas zu geben und ihre unversöhnlichen Interessen zu versöhnen. Das mag sogar aufgrund der hohen Ölpreise eine Zeitlang funktionieren: die Regierung schafft Sozialprogramme und Jobs in staatlich subventionierten Kooperativen, aber die Produktionsmittel bleiben in den Händen der KapitalistInnen. Denn trotz der ständigen Reden über Sozialismus schwört Chávez bei jeder Gelegenheit, das Privateigentum an Produktionsmittel nicht antasten zu wollen: „Wir haben keine Absicht, Venezuelas Bourgeoisie auszumerzen.“ Der Sozialismus Was ist von einer Regierung zu halten, die einerseits den Schutz des Privateigentums und anderseits die Einführung des Sozialismus verspricht? Eine solche Regierung ist keine Neuerscheinung, gerade in Lateinamerika nicht. Denn die KapitalistInnen in unterentwickelten Ländern sind schwach, gequetscht zwischen die multinationalen Konzerne und die armen Massen. Um ein bisschen mehr Spielraum gegenüber dem Imperialismus zu bekommen, setzen sich oft „linke“ Militärs wie Chávez an die Spitze, die die Massen mit radikalen Reden und kleinen Reformen mobilisieren (denken wir nur an den Mann von Evita Peron!). Die Rede ist oft von „Antiimperialismus“ oder gar „Sozialismus“, aber es kommt nicht zu einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse: die Macht bleibt in den Händen der KapitalistInnen, der staatlichen Bürokratie, der Armee... Eine sozialistische Revolution dagegen erfordert die komplette Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die Enteignung der Konzerne und des Großgrundbesitzes, und die Ersetzung der Polizei und Armee durch eine allgemeine Bewaffnung des Volkes. Dieses Programm kann eben nicht von der staatlichen Bürokratie ausgeführt werden, die an den herrschenden Eigentumsverhältnisse gebunden ist. In einer sozialistischen Revolution muss der Staat durch die in Räten organisierten ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen gestürzt werden. Nur auf diesem Weg kann die Ungleichheit und die Unterentwicklung dauerhaft beseitigt werden. Die Arbeiterbewegung Die ArbeiterInnen in Venezuela verteidigen alle Maßnahmen von Chávez, die konkrete Verbesserungen für sie bedeutet haben. Aber sie dürfen dem „máximo líder“ nicht blind folgen. Wenn sie den Weg der sozialistischen Revolution einschlagen, wird es unvermeidlich zum Bruch zwischen ihnen und dem Staatsapparat unter Chávez kommen. Sie müssen bereit sein, weiter zu gehen, als der Chavismo gehen kann – und dafür brauchen sie ihre eigene Arbeiterpartei, eine Partei mit einem revolutionären Programm und einer unabhängigen Struktur. Ein bedeutender Teil des Gewerkschaftsdachverbandes UNT liess sich nicht in die PSUV hineindrängen und gründete vor kurzem die „Bewegung für den Aufbau einer Arbeiterpartei“. Diese Bewegung hat die Aufgabe, eine unabhängige Kraft der ArbeiterInnen zu schaffen, die zwar in einer Einheitsfront mit der Chávez-Regierung gegen den Imperialismus zusammenkämpft, aber auch eigene Forderungen gegen die Chávez-Regierung durchsetzen kann . Unsere Aufgabe als RevolutionärInnen außerhalb Venezuelas ist ähnlich: wir verteidigen die Chávez-Regierung gegen die Angriffe des Imperialismus und der bürgerlichen Opposition, aber wir sparen auch keine Kritik. Unsere Solidarität gilt in erster Linie den AktivistInnen, die eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnen Venezuelas aufbauen wollen, denn nur dadurch kann der Sozialismus in Venezuela geschaffen werden. //von Wladek, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 27 //siehe auch die Broschüre "Wohin geht Venezuela?" |
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