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Bürgerkrieg in Palästina

Der Gazastreifen als größtes Freiluftgefängnis der Welt

An nördlichen und östlichen Grenzen gibt es eine große Mauer. Der Luftraum und die Küste werden von der israelischen Armee kontrolliert. Selbst die Grenze zu Ägypten im Süden wird von Israel überwacht. Die EinwohnerInnen können diesen kleinen Landstreifen nur in Ausnahmefällen verlassen. Seit Januar 2006 sind die Almosen, von denen die Menschen im Gazastreifen gelebt haben, gestoppt worden und seit Juli 2007 ist er vollständig von der israelischen Armee belagert. Militärische Übergriffe auf Gaza finden ständig statt.

Der Hintergrund ist der Wahlsieg der islamistischen Hamas in den palästinensischen Gebieten im Januar 2006. Die Hamas wurde von Israel und dem Imperialismus in eine Koalitionsregierung mit der bürgerlich-nationalistischen Fatah gezwängt, die die ungeliebte Hamas los werden wollte.

So drangen im Januar von Ägypten aus KämpferInnen des lokalen Fatah-Warlords Mohamed Dahlan in den Gazastreifen ein, deren Ausbildung mit CIA-Geldern in Ägypten gewährleistet war. Ziel der Dahlan-Truppe war es, die im Gazastreifen sehr populäre Hamas zurückzudrängen. Bei den ausbrechenden Kämpfen behielt allerdings die Hamas die Oberhand gegen die numerisch und materiell besser dastehenden Fatah-Kämpfer, was einerseits einer überlegen Taktik, aber vor allem dem Rückhalt in der Bevölkerung geschuldet ist.

Wie kam es dazu?

Die Entwicklung, die sich nun im Gazastreifen abspielt, ist nur zu verstehen, wenn mensch sich die Hintergründe ansieht: Der Gazastreifen wurde 1967 von Israel besetzt. Der Kampf der PalästinenserInnnen für nationale Selbstbestimmung erreichte erst mit der ersten Intifada, dem palästinensischen Aufstand von 1987, Massencharakter. War der Widerstand ursprünglich von der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO (einem Bündnis, dessen stärkster Teil die Fatah ist) geführt, betrat mit der ersten Intifada eine neue politische Kraft die Bühne: die islamistische Hamas.

Die erste Intifada endete mit den Friedensabkommen von Oslo 1993, das ein Ergebnis der Schwächung der PalästinenserInnen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Golfkrieg 1991 und Ausdruck des Wunsches der reichen arabischen Ölmonarchien nach einem Deal mit dem Imperialismus war.

Die PLO-Führung hat die Grenzen Israels und damit die zionistischen Vertreibungen von 1947/1948 anerkannt. Den 3,5 Millionen palästinensischen Flüchtlingen wurde damit jede Rückkehrperspektive geraubt. Das Abkommen brachte lediglich die Autonomie des Gazastreifens und von Teilen des Westjordanlandes. Dies entsprach den Zielen von (von der Arbeiterpartei vertretenen) Teilen der israelischen Bourgeoise, die die Schaffung eines halb-kolonialen Hinterhofes gegenüber der direkten militärischen Kontrolle favorisierte.

Die dabei entstandene palästinensische Autonomiebehörde um Jassir Arafat wurde bald zu einem Hort der Korruption und Vetternwirtschaft. Für die PalästinenserInnen verschlechterte sich die Situation weiter. Von 1992 bis 2004 verdoppelte sich die Zahl der jüdischen SiedlerInnen in den 1967 besetzten Gebieten, basierend auf Landdiebstahl und Hauszerstörungen, auf 450.000, die die besten Ressourcen (u.a. die wichtigsten Wasserquellen) und Infrastruktur beanspruchten. Die wirtschaftliche und soziale Situation verschlechterte sich immer mehr, der Lebensstandard ist zwischen 1993 und 2001 um 40% gesunken. Die israelische Militärrepression war nur partiell zurückgezogen, aber weiter allgegenwärtig.

Der Aufstieg der Hamas zu einem bedeutenden Faktor ging mit der zweiten Intifada ab 2000 einher, bei der der Massenkampf begleitet war durch terroristische (Selbstmord-) Attentate - Kampfformen, die Ausdruck militärischer Schwäche gegenüber dem israelischen Militärapparat sind. Die neue Intifada war Ausdruck der Enttäuschung über das Oslo-Abkommen und der hoffnungslosen Situation im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Sie war von Sharon aber auch gezielt provoziert worden.

Das Ziel der pragmatischen Teile der israelischen Rechten war es, den Oslo-Vertrag aufzukündigen, um in Kooperation mit dem US-Imperialismus eine neue "Lösung" durchzusetzen. Ausgangspunkt für Sharon und seine Hintermänner in der Bush-Administration war die Tatsache, dass in der gesamten Region Palästina keine jüdische Mehrheit mehr bestand. Um den "jüdischen Charakter" Israels zu wahren, musste versucht werden, die PalästinenserInnen von Israel abzuschneiden. Die Arbeitsgenehmigungen von PalästinenserInnen in Israel waren schon seit der ersten Intifada stark zurückgeschraubt worden.

Nun sollte nach dem Motto "Unwesentliches preisgeben, um Wesentliches zu behalten" den PalästinenserInnen ein kleines, abgeschottetes Gebiet überlassen werden: Israel zog aus dem Gaza-Streifen ab, während andere Gebiete im Westjordanland dauerhaft okkupiert werden sollten Diese Perspektive bedeutet für die PalästinenserInnen das Leben in wirtschaftlich und militärisch dem israelischen Staat ausgelieferten Ghettos.

Bei den ersten Wahlen zur Autonomiebehörde im Januar 2006 erzielte die Hamas eine absolute Mehrheit. Auf diese demokratischen Wahlen antworteten die imperialistischen Staaten und Israel mit der Streichung von Geldern und der Nicht-Auszahlung von Steuereinnahmen, die von Israel eingetrieben werden.

Hamas und Fatah

Die Fatah war ursprünglich der Kern der PLO (zu der auch stalinistische Gruppierungen wie PFLP und DFLP gehören) und vertrat ein bürgerlich-nationalistisches Programm (für ein säkulares, arabisches Palästina) und setzte auf eine Guerillastrategie. Vor allem mit der Schaffung der palästinensischen Autonomiebehörde wurde die PLO immer mehr zu einer reinen Herrschaftsclique, die sich Posten und Hilfsgelder zuschanzte und offen die Politik des Imperialismus durchsetzte. Dadurch hat sie einen Großteil des Rückhalts in der Bevölkerung im Gaza-Streifen, aber auch im Westjordanland, verloren.

War die Hamas ursprünglich von Israel unterstützt worden und spielte mit ihrer religiösen Doktrin eine reaktionäre Rolle, wurde sie nun zur Hauptkraft des Widerstands gegen die israelische Besatzung. Dazu trugen auch ihre sozialen Projekte wie Schulen und Krankenhäuser bei. Ihre Rolle ist zweischneidig, einerseits ist sie als islamistische Organisation der geschworene Todfeind der organisierten ArbeiterInnenbewegung, andererseits erscheint sie vielen PalästinenserInnen als die konsequenteste Kämpferin gegen das Besatzungsregime.

Die linken Kräfte in Palästina, etwa die stalinistische PFLP und DFLP, reagierten auf die Kämpfe im Gazastreifen nur mit der Forderung, das Blutvergießen zu stoppen, in Volksfrontmanier vorgebrachten Forderungen nach Zusammenarbeit aller palästinensischen Organisationen und einem Appell an die arabische Liga. RevolutionärInnen hingegen können in einem Konflikt zwischen dem proimperialistischen Kollaborationsregime der Fatah und der von der Bevölkerung als Widerstandskraft wahrgenommenen Hamas nicht neutral sein. Die Hamas wurde nicht nur unter Drohungen in eine Koalitionsregierung gepresst, sollte durch einen stillen Staatsstreich im Gazastreifen entmachtet werden und wurde als Resultat der Kämpfe aus der Regierung geworfen. Nun will Abbas sie noch von den Wahlen ausschließen, indem er eine Anerkennung des Oslo-Abkommens als Voraussetzung für die Kandidatur bei den nächsten Wahlen macht. Wie sehr wir auch die Hamas und ihre reaktionäre Ideologie und Politik bekämpfen müssen, können wir nicht neutral zusehen, wie ihr - und somit den PalästinenserInnen - die elementarsten demokratischen Rechte vorenthalten werden.

Die New York Times sprach zum Beispiel mit einem 19jähr-igen Kämpfer der Hamas: "Ich bin sehr pessimistisch" sagt er. "Aber ich habe das Gefühl, ich kann mein Leben der Sache op-fern. Ich finde dieses Leben sehr langweilig, ehrlich gesagt. Dieses Leben hat keine Bedeutung für mich."

Der Islamismus nährt sich von der Hoffnungslosigkeit unter den PalästinenserInnen. Eine fortschrittliche politische Bewegung müsste eine klare Perspektive für ein besseres Leben für die palästinensischen Massen diesseits des Himmels anbieten.

Wie könnte diese Perspektive aussehen? Die Versprechen für einen "palästinensischen Staat", die von den US-und israelischen Regierungen stets wiederholt werden, sind leer. Dieser "Staat", selbst wenn er gegründet werden könnte, würde seine Außengrenzen nicht kontrollieren und er hätte keinen Platz für die Millionen palästinensische Flüchtlinge in der Region, die in ihre Heimat zurückkehren wollen. Dieser palästinensische "Staat", als Teil einer sogenannten "Zwei-Staaten-Lösung", wäre nichts anderes als eine Kolonialverwaltung. Die erdrückende Armut und die Arbeitslosigkeit unter den PalästinenserInnen, die letztendlich die Wurzel des Konfliktes darstellen, würden bleiben.

Eine wirkliche Perspektive ist nur jenseits der kapitalistischen Gesellschaft zu finden. Die herrschende Klasse Israels lebt gerade von der Besetzung und Israels Rolle in Nahost, und hat keinerlei Interesse an einem Frieden mit den arabischen Nachbarn. Auch eine dünne Schicht in Palästina hat sich in der Situation eingerichtet: die luxuriösen Villen von Fatah-PolitikerInnen im Riesenslum Gaza sind bekannt. Insofern können nur die Ausgebeuteten und Unterdrückten der Region die Grundlage für ein anderes System bilden.

Zusammen kämpfen!

Die PalästinenserInnen der besetzten Gebiete werden rein militärisch die israelischen Streitkräfte (170.000 aktive SoldatInnen, bis zu 2,4 Millionen ReservistInnen) nicht besiegen können. Aber sie haben einen mächtigen potenziellen Verbündeten innerhalb der israelischen Gesellschaft. Israel ist, im Gegensatz zu den Vorstellungen der AntisemitInnen, kein monolithischer Block mit einheitlichen Interessen.

Die Unterschichten in Israel (Juden/Jüdinnen aus der arabischen Welt oder der ehemaligen Sowjetunion) leiden, wie sonst überall auf der Welt, unter den Folgen von Kürzungen und Privatisierungen, während der Staat unvorstellbare Summen fürs Militär ausgibt. Immer wieder kommt es zu sozialen Protesten - gegen Entlassungen, gegen Studiengebühren usw. - die aber recht schnell an ihre Grenzen stoßen, wegen der Bunkerstimmung in der Bevölkerung und der vorherrschenden zionistischen Ideologie. Wenn die Klassenkonflikte in Israel sich zuspitzen, ist davon auszugehen, dass ein Teil der israelischen ArbeiterInnen vollständig mit dem zionistischen Block bricht und sich mit den PalästinenserInnen als ihren Klassenbrüdern und -schwestern verbinden.

Der Widerstand der PalästinenserInnen ist legitim und von allen RevolutionärInnen in der Welt zu unterstützen. Unsere Unterstützung kann jedoch nur eine kritische sein, denn sowohl die bürgerlich-nationalistischen wie die islamistischen Kräfte in Palästina haben keine Perspektive für eine wirkliche Befreiung: erstere wollen nur ihre eigenen Privilegien sichern, letztere schwächen den Widerstand mit dem Ausschluss von Frauen und Minderheiten aus dem gesellschaftlichen Leben und damit auch aus dem Widerstand.

Nur im gemeinsamen Kampf auf sozialistischer Grundlage kann die israelische Besatzung beendet und in eine sozialistische Revolution übergeführt werden. Internationalistische Israelis müssen den Widerstand der PalästinenserInnen unterstützen und die sozialen Kämpfe in Israel mit dem Kampf gegen die Besatzung verbinden. Genauso haben palästinensische InternationalistInnen die Pflicht, gegen antisemitische Vorurteile zu kämpfen.

Die Fatah

Der palästinensische Kampf für die nationale Selbstbestimmung wurde anfangs hauptsächlich von den in der 1964 gegründeten PLO zusammengeschlossenen Organisationen getragen. Unter dem Einfluss ihrer Mehrheitsströmung, der Al-Fatah unter ihrem Langzeitvorsitzenden Jassir Arafat, vertrat die PLO ein bürgerlich-nationalistisches Programm (für ein säkulares, arabisches Palästina) und setzte auf eine Guerillastrategie.

Zu einer Einbindung weiterer Teile der palästinensischen Bevölkerung in den Widerstand kam es erst mit der ersten Intifada von 1987. Dieser palästinensische Volksaufstand wurde von der israelischen Besatzungsmacht mit brutaler Repression bekämpft, was zu vielen Toten in der Zivilbevölkerung und zur unzähligen Hauszerstörungen führte. Nach sechs Jahren endete der Konflikt vorerst im Oslo-Abkommen von 1993, das ein Ergebnis der Schwächung der PalästinenserInnen und Ausdruck des Wunsches der reichen arabischen Ölmonarchien nach einem Deal mit dem Imperialismus war. Mittlerweile ist die Fatah bei weiten Teilen der Bevölkerung wegen ihrer korrupten Herrschaft und dem Nachgeben gegenüber Israel in großen Ausmaß diskreditiert.

Die Hamas

Die Geschichte der Hamas reicht zurück bis 1928, als in Ägypten Hasan Al Banna die Moslembruderschaft gründete. Ziel war es, einen islamischen Staat zu schaffen, hierbei wurde auch viel Arbeit in Schulungs- und Wohltätigkeitsarbeit gesteckt. Seit 1967 unterhält die Hamas einen Zweig in Gaza, der neben religiösen Aktivitäten vor allem auf soziale Wohltätigkeit (Schulen, Krankenhäuser, ...) setzte. Dadurch wurde die Moslembruderschaft - geführt vom querschnittgelähmten Scheich Jassin - unter den PalästinenserInnen, vor allem im Gazastreifen zunehmend populär. Sie wurde auch zeitweise von Israel gefördert, um dem Befreiungskampf der PLO das Wasser abzugraben. Mit Ausbruch der ersten Intifada gründete sich 1987 aus der Moslembruderschaft als militärische Organisation die Hamas. Ihr Ziel ist nach wie vor die Errichtung eines islamischen religiösen Staates in Palästina, sie erkennt das Existenzrecht Israels nicht an und in ihrer Charta beruft sie sich auf antisemitische Schriften wie die "Protokolle der Weisen von Zion". Doch nicht dies macht ihre Popularität aus. Sie gilt als wesentlich weniger korrupt als die Fatah, konnte durch soziale Tätigkeit punkten und setzt in letzter Zeit wesentlich stärker auf die nationale Komponente des Widerstandes und wird zu einem großen Teil nicht als religiöse Bewegung, sondern als nationale, antiimperialistische Befreiungsorganisation gesehen.

//von Wladek, Revo Berlin, und Stefan, RSO Berlin //REVOLUTION Nr. 25 //die rote Nr. 2

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