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Die Fesseln ausgetauscht

Der Kampf gegen rassistische Diskriminierung in Südafrika führte dazu, dass eine neue Verfassung beschlossen wurde – aber 15 Jahre später ist die Misere nicht überwunden worden

Die Geschichte des „schwarzen Kontinents” ist nicht nur eine Geschichte der Unterdrückung, sondern auch eine Geschichte des Widerstandes. In fast allen Ländern Afrikas kamen im Laufe des 20. Jahrhunderts Massenbewegungen auf, die die Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren erkämpften.

Viele dieser antikoloniale Bewegungen, inspiriert von den Revolutionen in Russland, China und auf Kuba, wollten mehr als politische Unabhängigkeit bei unveränderter sozialer Misere. Deswegen kämpften sie für eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft: Ein sozialistisches System sollte helfen, der erdrückenden Armut in Afrika ein Ende zu setzen.

Doch kaum waren sie an die Macht gekommen, haben diese Befreiungsbewegungen die sozialistische Perspektive verworfen – und damit nur die Fesseln der Kolonialherren gegen die Fesseln der multinationalen Konzerne ausgetauscht.

Antikolonialer Kampf in Südafrika

In Südafrika gab es bis in die 90er Jahre hinein eine rigide Politik der „Rassen“trennung. Diese Politik nannte sich in der vom Niederländischen abgeleitete Sprache Afrikaans „Apartheid”. Die kleine weiße Oberschicht des Landes hatte ein Monopol der politischen Macht: Weniger als 5 Millionen Weiße herrschten über eine Bevölkerung von 23 Millionen Schwarzen, die kaum Rechte hatten.

Es gab getrennte Busse, Schulen und Wohngebiete für Schwarze. Die schwarze Mehrheit war nicht nur von den politischen Institutionen ausgeschlossen – zunehmend wurden afrikanische „Heimatländer”, also winzige Kolonien innerhalb des südafrikanischen Territoriums, für Schwarze geschaffen, so dass diese nicht mal mehr über die südafrikanische Staatsbürgerschaft verfügten.

Aber der Widerstand gegen das Apartheidsystem wurde immer stärker. Der verbotene Afrikanische Nationalkongress (ANC) organisierte aus dem Untergrund Streiks, Demonstrationen und Attentate.

Die StudentenInnenbewegung spielte eine wichtige Rolle. Mitte der 70er Jahre entschied die Regierung, Afrikaans (eine Sprache, die nur von den Weißen gesprochen wurde) für den Unterricht in allen Schulen festzuschreiben. Ein Regierungsminister erklärte dazu: „Ich habe mit dem afrikanischen Volk über die Frage der Sprache nicht gesprochen und das werde ich auch nicht tun.” Auf Schülerstreiks in Soweto gegen die Festschreibung der Sprache hat die weiße Polizei geschossen, mit bis zu 200 Toten – manche erst 12 Jahre alt.

Die schwarze Gewerkschaftsförderation, die COSATU, wurde erst Ende 1985 gegründet, aber innerhalb kürzester Zeit zählte sie über eine Million Mitglieder. Massendemonstrationen, Generalstreiks, Boykottkampagnen der Schwarzen gegen weiße Läden und internationale Solidarität brachten die Herrschaft der weißen Minderheit ins Wanken. Die Townships (schwarze Armenviertel am Rande der Städte) wurden immer unregierbarer.

Die Regierung verhängte immer wieder den Ausnahmezustand. Eine offen faschistische Bewegung wuchs und terrorisierte alle, die nicht hinter dem Apartheidssystem standen. Zehntausende Menschen wurden eingesperrt. Aber trotz all dieser Maßnahmen konnte die Regierung die zunehmende wirtschaftliche Krise nicht in Griff kriegen.

Als 1990 eine neue, weiße Regierung an die Macht kam, zweifelte kaum jemand daran, dass ein Wandel bevorstand. Die wichtigste Führungsfigur des ANC, Nelson Mandela, wurde nach 27 Jahren im Gefängnis freigelassen. Der ANC wurde innerhalb weniger Jahre von einer Untergrundpartei zu einer Regierungspartei.

Vom Kampf zum Kompromiss

Mandela und DeKerk: die VertreterInnen des Apartheidsystems und der Befreiungs­bewegung einigen sich auf einen Kompromiss

Vor genau 15 Jahren, am 17. März 1992, fand in Südafrika ein Referendum statt, mit dem die Regierung beauftragt wurde, eine neue, „demokratische” Verfassung auszuarbeiten. Die schwarze Bevölkerung Südafrikas hat dadurch umfassende politische Rechte wie das Wahlrecht bekommen – endlich gab es schwarze Präsidenten!

Aber diese neue Verfassung änderte wenig an der sozialen Struktur Südafrikas. Armut und Arbeitslosigkeit prägen bis heute den Alltag der meisten SüdafrikanerInnen. Die großen Farmen, alle in Besitz von reichen weißen FarmerInnen, wurde nicht an schwarze LandarbeiterInnen aufgeteilt. Die Konzerne blieben in Händen ihrer alten (weißen) Besitzer, da die Besitzverhältnisse von der ANC-Regierung nicht angetastet wurden. Sprich: Die „offizielle” Diskriminierung wurde abgeschafft, aber die Ausbeutung und Unterdrückung der Schwarzen ist so schlimm wie je zuvor. 61% der Schwarzen wohnen unter der Armutsgrenze, dagegen etwa 1% der Weißen.

Doch warum konnte die Revolution nicht weitergehen? Die Führung des ANC, stark beeinflusst von Theorien der stalinistischen Bürokratie in Moskau, ging davon aus, dass die südafrikanische Revolution erstmals eine „demokratische Etappe” durchlaufen müsste. Dann, irgendwann später, würde es zu einer „sozialistischen Etappe” kommen. Die Hoffnung war, dass ein demokratisches System in Südafrika eine wirtschaftliche Entwicklung zum Wohle aller und einen Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft ermöglichen würde. Aber eine kapitalistische Demokratie ist nur eine andere Form der Herrschaft der kapitalistischen Minderheit, und sie bedeutet Ausbeutung für die Mehrheit der Menschen.

Das Beispiel des Wassers

Die Führung vom ANC, unter starkem Druck der kämpfenden Massen, wusste dass mehr als politische Gleichheit notwendig war, um die Schwarzen aus ihrer Misere zu befreien. Deshalb ließ der ANC nicht nur politische Rechte, sondern auch soziale Rechte in der neuen Verfassung festschreiben. So heißt es in der Grundrechtscharta: „Jeder hat das Recht auf Zugang zu genügend Wasser.” Das hört sich erst mal gut an, aber ein Recht auf Zugang zu Wasser heißt ja nicht unbedingt ein Recht auf Wasser.

Soziale Rechte im Kapitalismus sind immer unsicher – in Südafrika lässt sich das besonders gut beobachten. Auf Drängen der Weltbank ist die Wasserversorgung in vielen Gebieten privatisiert und von multinationalen Konzernen übernommen worden. Aus diesem Grund werden sogenannte „Tricklers”, kleine Scheiben mit zwei Löchern, in die Wasserleitungen eingebaut. Das Wasser fließt dann nur in Tröpfen – was den Menschen ihr verfassungsmäßiges Recht auf Wasser gewährleistet, gleichzeitig aber ausreichendes Wasser zum Überleben verweigert. So sind Menschen auf dreckige Wasserquellen wie Flüsse angewiesen, mit den zu erwartenden Folgen wie Durchfallerkrankungen und Cholera.

Die perverse Logik des kapitalistischen Systems bedeutet, dass die privaten „Wasserversorger” damit beschäftigt sind, den Zugang zu fließendem Wasser zu sperren, um ihre Profite hochzuhalten. Klar ist, dass ein menschenwürdiges Leben für die Massen in Südafrika eine Ordnung jenseits der Profitgesellschaft erfordert.

Die Perspektive der Revolution

In allen Bereichen des modernen Südafrikas merkt man die verbleibende, strukturelle Ungleichheit: Einige Schwarze haben den Aufgang in die Kapitalistenklasse oder die politische Elite geschafft. Doch die Massen, die den Kampf gegen Apartheid geführt haben, bleiben in bitterer Armut.

Um diesem System der Ungleichheit ein Ende zu setzen, bedarf es mehr als ein paar politische Reformen: Man müsste die Industrie vergesellschaften und ein Wirtschaftssystem, das von der Bevölkerung selbst geplant wird, etablieren. Die schwarze Arbeiterbewegung Südafrikas hat bereits in den 80er Jahren bewiesen, dass sie die Kraft haben, das ganze Land zu erschüttern.

Alle afrikanischen Befreiungsbewegungen gingen einen ähnlichen Weg wie der ANC: Die Herrschaft der Kolonialmächte stürzen, um die indirekte Herrschaft der multinationalen Konzerne zu etablieren. Das geschah nicht, weil die Führungen dieser Bewegungen verräterisch waren, sondern weil sie keine politische Perspektive hatten, die über den Kapitalismus hinausging. Natürlich wird es schwierig sein, die Jahrhunderte lange Ausplünderung Afrikas wieder gut zu machen. Aber eine sozialistische Revolution in Afrika, die auch im Herzen des Imperialismus Revolutionen anstoßen würde, ist der einzige denkbare Weg.

//von Wladek aus Kreuzberg //REVOLUTION Nr. 23

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