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Macht die Straße dicht! Die Massen in Oaxaca/Mexiko haben die Massen die bürgerliche Regierung verjagt und eine eigene gebildet Die Provinz Oaxaca in Südmexiko ist ein Zentrum des Tourismus: die koloniale Altstadt, die vielen Kirchen, die Geburtsstätte des mexikanischen Revolutionsheldes Benito Juarez und die Cacao-Chili-Soße namens Molé ziehen Touristen aus aller Welt an. Aber seit dem Sommer steht auf dem Zocalo, dem Zentralplatz der Stadt Oaxaca, ein berühmtes Graffiti: Der Touristenbetrieb ist durch einen Massenaufstand unterbrochen worden. Der Lehrerstreik Oaxaca ist die zweitärmste aller mexikanischen Provinzen – rund die Hälfte seiner 3,5 Millionen EinwohnerInnen leben in Armut. Seit 25 Jahren ist es Tradition, dass die LehrerInnen sich jedes Jahr am 1. Mai in der Stadtmitte versammeln und einige Tage oder Wochen dort zelten, bis ihnen eine kleine Gehaltserhöhung zugestanden wird. Doch dieses Jahr liess der Gouverneur, Ulises Ruiz Ortiz (kurz: URO) die Zeltstadt der LehrerInnen mit Kampfhunden, Tränengas und scharfer Munition auseinander jagen. Die 30.000 LehrerInnen mussten sich zurückziehen, kehrten aber nach einigen Stunden zurück, eroberten die Stadtmitte, besetzten Regierungsgebäude und bauten Barrikaden. Am 16. Juni demonstrierten 300.000 Menschen für den Rücktritt des Gouverneurs URO. Am Tag darauf gründete sich die Volksversammlung der Völker Oaxacas (Spanisch: APPO), ein Zusammenschluss von 350 Gewerkschaftsen, Studenten-, Bauern- und Indigenenorganisationen, die sich zur Regierung der Provinz erklärte – allerdings eine „andere Art von Regierung”. Sie forderten die Bevölkerung auf, in Stadtvierteln und Dörfern Versammlungen abzuhalten und Delegierte zu wählen. „Kein Anführer wird unsere Probleme lösen“ hieß es zur Begründung. Die alte Regierung behauptete, weiterhin alles unter Kontrolle zu haben. Aber das hat wohl keiner geglaubt, da der Regierungssitz besetzt blieb und URO seine Amtsgeschäften in Hotels weit außerhalb der Stadt nachgehen musste. Die APPO organisierte die Bildung, die Gesundheitsversorgung, die Verteilung von Essen, den Schutz der Bevölkerung vor Polizeiübergriffen – quasi eine eigene Polizei – und viel mehr. Für die Aufständischen spielten die Kommunikationsmittel eine zentrale Rolle. Ursprünglich wollten DemonstrantInnen gegen die Verleumdungen der staatlichen Medien demonstrieren; sie versammelten sich vor dem Radiosender und forderten, dass ihre Gegendarstellung vorgelesen würde. Als das ihnen verweigert wurde, besetzten sie den Sender, kurz darauf noch einen Radio- und einen Fernsehsender. Die APPO-Sendungen wurden für und von der Bevölkerung gemacht: sie haben Proteste koordiniert, Strategien debattiert und auch Bildung angeboten. Wie eine Vertreterin der Koordinierung der Frauen Oaxacas meinte: „Die Geschichte der Bewegung hat uns gelehrt, die Organisierung und die Mobilisierung – das sind die einzigen Waffen der ArbeiterInnen und BauerInnen.” Der Krieg Die Hauptforderung der Aufständischen war der Rücktritt von URO. Für die Herrschenden in Mexiko wäre es kein Ding gewesen, ihn fallen zu lassen und durch einen genauso korrupten aber etwas weniger verhassten Politiker zu ersetzen. Aber sie hatten offensichtlich Angst, dass der Aufstand von Oaxaca Schule machen könnte. Deshalb haben Polizisten und Anhänger der Regierungspartei PRI die Aufständischen terrorisiert, auf die Barrikaden geschossen, AktivistInnen verschleppt usw. Dabei wurde ein Fotograf von Indymedia New York, Brad Will, zusammen mit mexikanischen DemonstrantInnen erschossen. Dieser Mord, bei dem selbst der US-amerikanische Botschafter Polizisten als Täter vermutet, wurde dann als Anlass genommen, Regierungstruppen in die Stadt zu schicken. Am 29. Oktober liess der scheidende Präsident Mexikos, Vicente Fox, die Aufstandspolizei auf Oacaxa los. 4.000 Truppen der militarisierten Bundespolizei (Spanisch: PFP) marschierten in die Stadt ein, während 5.000 am Rande warteten. Über 50 AktivistInnen der APPO wurden verhaftet und einen Radiosender gestürmt. Aber durch heftige Kämpfe konnte die APPO das Universitätsviertel der Stadt (und den dortigen Radiosender) halten. Am 6. November demonstrierten über eine Million Menschen beim „Megamarcha” gegen URO und für die APPO – eine beeindruckende Zahl in einer Stadt mit 220.000 EinwohnerInnen. Die Versuche der Regierung, die „Ruhe und Ordnung” im Sinne der Kapitalisten wieder herzustellen, gelingen nicht vollständig. Die Straßenkämpfe dauern ununterbrochen an – am Tag von unserem Redaktionsschluss meldete die APPO drei Tote bei Straßenkämpfen. Die Kommune Kurz nach dem Angriff auf Oaxaca gab es eine Solidemo in Mexiko-Stadt mit 50.000 Menschen, unter dem Motto: „Wenn sie Oaxaca zu zerquetschen versuchen, wird ganz Mexiko aufstehen.” Realisiert werden konnte diese Losung allerdings nicht. Für einen solchen, landesweiten Aufstand wäre mehr als ein Bezug zu Oaxaca notwendig: die ArbeiterInnen, BauerInnen, Studierenden und Armen von ganz Mexiko müssten das Beispiel der Oaxaqueños folgen und ihre eigene Kampfstrukturen bilden. In diese Richtung ging die APPO, als über 3.000 Delegierte aus der gesamten Provinz am konstituierenden Kongress teilnahmen. Die Forderungen nach dem Rücktritt von URO und dem Abzug der PFP wurden für unverhandelbar erklärt und ein Aktionsplan für die nächsten Monate wurde erstellt. Aber die Frage, in welche Richtung die APPO sich entwickeln soll, konnte nicht beantwortet werden. Ein Flügel möchte die APPO zu einer einfachen Koordinierung der sozialen Bewegungen machen, oder sogar zu einer Art politischer Partei, die dann in den Provinzkongress einziehen könnte. Ein anderer, größerer Flügel möchte die APPO als die legitime Regierung des Bundesstaates etablieren. Die Gremien der APPO, die von Delegierten aus allen Städten und Dörfern Oaxacas gebildet wurden, die direkt gewählt und jederzeit abwählbar sind, sind weitaus demokratischer als die „offizielle” Demokratie, in der alle paar Jahre gewählt wird und Korruption und Wahlbetrug die Regel ist. Bei dem Kongress der APPO war die Mehrheit der Delegierten dem linken Lager zuzurechnen – aber diese Strömung war unorganisiert. Deshalb versuchten sie, die Befugnisse der Führung, die bislang von kompromisswilligen Kräften dominiert wurde, möglichst einzuschränken. Es wäre aber notwendig für den Kampf, dass die Linken eine eigene, handslungsfähige Führung wählen. Sollte die APPO überleben, muss sie den Aufstand in Oaxaca und darüber hinaus ausweiten. Die Geschichte jeder Revolution zeigt, dass die Macht der Herrschenden (in Form ihres Staates) nicht einfach paralell zu einer Macht der Unterdrückten (in Form der APPO, des Arbeiterrats oder wie es auch immer heißt) existieren kann. Entweder wird die ein System von Arbeiter- und Bauernräten über ganz Mexiko ausgedehnt, oder sie werden tatsächlich vom Zentralstaat zerquetscht. Die Revolution? In letzter Zeit hat Mexiko nicht gerade wenige Proteste erlebt. Der Aufstand der ZapatistInnen in den indigenen Gemeinschaften der benachbarten Provinz Chiapas hält seit zehn Jahren an. Diesen Sommer gab es riesige Proteste gegen den Wahlbetrug, der den Mitte-Links-Kandidaten Lopez Obrador von der Präsidentschaft abhielt; Dabei kamen über eine Million Menschen auf dem Zentralplatz von Mexiko-Stadt zusammen. Da sind zwei verschiedene Proteststrategien, die oft als „Gegenmacht” bzw. „Volksmacht” bezeichnet werden. Der Aufstand von Oaxaca ist weitaus erfolgreicher gewesen, weil die APPO (ob es geplant war oder nicht) nicht nur die Macht der bürgerlichen Institutionen in Frage stellte, sondern begann, eigene, proletarische Institutionen aufzubauen. Beim Aufstand von Oaxaca werden Erinnerungen an die Pariser Kommune wach. Nach einem erfolgreichen Aufstand im Jahr 1871 bildeten die ArbeiterInnen von Paris die Kommune. Aber diese Regierung der ArbeiterInnen konnte sich nicht auf Frankreich ausdehnen und wurde von der Armee blutig niedergeschlagen. Die „Kommune von Oaxaca” leidet unter den gleichen Problemen. ReformistInnen in und um die APPO sehen die ganze Protestbewegung als eine Chance für die „Erneuerung der staatlichen Institutionen” in Mexiko. Revolutionäre Kräfte in der APPO schlagen dagegen vor: Kommunen überall, um eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Aber um innerhalb der APPO und anderer entstehenden Räte systematisch für diese Perspektive zu kämpfen, wäre eine Organisation notwendig, die die Linken mit einem Programm zum Sturz des bürgerlichen Staates ausstattet. Aber ähnlich wie bei der Pariser Kommune fehlt in Oaxaca eine internationalistische, revolutionäre Partei der ArbeiterInnen. //von Wladek aus Kreuzberg //REVOLUTION Nr. 21 |
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