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Besetzung!
Blockade!

Generalstreik!

Wie das CPE-Gesetz in Frankreich gekippt werden konnte

„Das CPE ist tot.” Das war auf einem Transparent zu lesen auf einer Demonstration in Paris am 11. April.

Am Abend davor hatte Staatpräsident Jacques Chirac das Gesetz zum „Ersteinstellungsvertrag” (CPE) zurückgezogen. Das Gesetz hätte es Unternehmern ermöglicht, Jugendliche unter 26 während einer Probezeit von zwei Jahren jederzeit, ohne Angabe von Gründen zu entlassen. Damit waren die Anti-CPE-Proteste, die wochenlang das Land erschütterten, erfolgreich.

Die Proteste gegen das CPE hatten einen Monat vorher mit der Besetzung der Sorbonne-Universität am 11. März begonnen. In den nächsten Tagen wurden hunderte Unis und Schulen besetzt.

Die Gewerkschaften waren anfangs sehr zurückhaltend: Noch Ende Februar sah die Gewerkschaft CGT keine Möglichkeit, das CPE-Gesetz zu kippen, und hielt eine breite Protestbewegung für sinnlos. Jedoch durch den Druck der Studenten- und Schülerproteste wurden die Zentralen der Gewerkschaften gezwungen, mehrere Streik- und Aktionstage zu organisieren.

An zwei aufeinander folgenden Dienstagen (28.3. und 4.4.) demonstrierten zwei bis drei Millionen Menschen in ganz Frankreich. In jeder Stadt gab es Massendemos, die meisten Schulen und Unis wurde geschlossen, viele Betriebe wurden bestreikt und kaum ein Zug ist gefahren. Obwohl die bürgerlichen Medien hauptsächlich über ein paar Rangeleien mit der Polizei am Rande berichteten – als würde es sich bei den drei Millionen nur um „Chaoten” handeln! –, ging es um die größten Proteste seit Jahren in Frankreich.

Tous Ensemble!

Diese Proteste kamen zustande als Gipfel eines langen Prozess: In den letzten zwei Jahren gab es Streiks gegen die Privatisierung verschiedener Staatsbetriebe, Schülerproteste gegen eine geplante Schulreform, die „Non”-Kampagne gegen die EU-Verfassung, die Aufstände der Vorstädte gegen den Rassismus...

Es waren alles Proteste gegen die neoliberalen Angriffe. Dass die Bewegung gegen das CPE erfolgreich war, lag daran, dass die verschiedenen Sektoren, die von der Offensive der Herrschenden betroffen sind, zusammen gekämpft haben. Erst als die organisierte Arbeiterbewegung dazu gestossen ist und die Wirtschaft lahm gelegt hat, hat es den Herrschenden zum Rückzug gedrängt.

Im Moment diskutiert die deutsche Linke darüber, wie man mit Wahlkämpfen von PDS oder WASG die Angriffe auf die sozialen Rechte hier im Landes aufhalten könnte. Die „französischen” Mittel – Besetzung, Blockaden, Massendemos und Generalstreiks – sind aber wesentlich effektiver als solche Wahlantritte.

Wichtiger als 5% der Stimmen bei einer Kommunalwahl zu kriegen, ist es 5% der Menschen auf die Straße bringen! Vier Millionen Stimmen für die Linkspartei geben uns nichts als ein paar Sitze im Parlament – aber vier Millionen Menschen auf der Straße würde uns eine reale Kraft geben!

Die bürgerliche Presse wirft der Regierung von de Villepin „Kapitulation“ vor. Tatsächlich war die Rücknahme des CPE-Gesetz ein Rückzug – um zu verhindern, dass am Ende noch die gesamte Regierung gestürzt wird.

Haben die deutschen oder amerikanischen Kapitalisten wenig Verständnis für diesen Rückzug, dann nur deshalb, weil sie sich selten mit Bewegungen dieser Größe konfrontiert sehen. Bei den französischen Kapitalisten ist die Angst vor einer Krise wie im Jahr 1968 noch präsent.

Mort?

Aber mit dem Tod des CPE ist die Bewegung dagegen auch gestorben. Einzelne Universitäten werden weiterhin bestreikt und linke AktivistInnen reden darüber, dass die Rücknahme der früheren Arbeitsmarktreform CNE ebenfalls auf den Tisch gebracht werden soll. Dennoch ist die Bewegung abgeblasen.

War da nicht mehr drin? Diese Millionenproteste waren im Endeffekt nicht in der Lage, den Rücktritt eines einzigen Ministers zu erzwingen. Zweifellos werden neue, noch schlimmere Sozialabbau-Maßnahmen in den kommenden Monaten kommen. Beim nächsten Mal wird eine so breite Streikbewegung nicht einfach ausbrechen.

Die Bewegung gegen das CPE hätte weitergeführt werden können, bis zu einem Sturz der Regierung. Genau das hat eine landesweite Stundenten- und Schülerversammlung gefordert. Aber diese Zielsetzung wurde von den Reformisten der Gewerkschaften und der linken Parteien einfach ignoriert.

Reformismus ist nämlich kein rein deutsches Phänomen. In Frankreich haben Ex-Stalinisten, Sozialdemokraten und Zentristen die Bewegung der SchülerInnen und StudentInnen von Anfang an nur als mögliches Stimmvieh für die Wahlen im nächsten Jahr betrachtet. Auch in Frankreich wird ein „linkes“ Wahlbündnis angestrebt, vergleichbar mit dem italienischen Mitte-Links-Bündnis, das gerade Berlusconi geschlagen hat.

Heute wird die Rücknahme des CPE als „großer Sieg” gefeiert, nachdem die Reformisten aus linken Parteien und Gewerkschaften sich auf die Spitze der Bewegung gesetzt hatten.

Deren Ziel ist nicht die Rücknahme der ganzen neoliberalen Angriffe der letzten Jahre. Schließlich haben „Sozialisten“ und „Kommunisten“ in Frankreich schon viele Einschränkungen beim Kündigungsschutz selber verabschiedet, als sie in der Regierung saßen.

Gauche?

Um trotz der Bremse der Gewerkschaftszentralen weiter zu machen, hätten die Koordinierungen zwischen Studenten-, Schüler- und Arbeiterorganisationen ausgebaut werden müssen. Solche Strukturen hätten die Proteste vorantreiben können, und würden gleichzeitig eine alternative Macht zum Staatsapparat der „Fünften Republik“ darstellen, eine Macht der ArbeiterInnen, StudentInnen und SchülerInnen.

Die Jugendlichen in Frankreich werden vielleicht die Proteste aufgeben und nach Hause gehen. Aber ihre Situation wird sich trotz der Rücknahme des CPE kaum verbessern – Arbeitslosigkeit und Billigjobs sind für Jugendliche heutzutage schon die Regel. Die Forderung nach einer Pespektive ist unter den Bedingungen des niedergehenden Kapitalismus nicht zu erfüllen. Damit steht die Frage nach einer anderen Gesellschaftsform jetzt auf der Tagesordnung.

Deshalb ist es zentral, dass die Jugend Frankreichs eine revolutionäre Bewegung aufbaut, unabhängig von den reformistischen Apparaten der Gewerkschaften und linken Parteien. Wenn in Zukunft solche Proteste wieder entflammen und die Reformisten wieder zur Ruhe aufrufen – und das passiert zwangsläufig! –, muss die Gegenstimme einer revolutionären Massenbewegung zu hören sein.

//von Wladek aus Kreuzberg und Lothar aus Kassel //REVOLUTION Nr. 17

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