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Was ist eigentlich ein...

Betriebsrat?

Das letzte Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex, der Softwaregigant SAP, soll auf Antrag eines Teils der Belegschaft einen Betriebsrat bekommen. SAP-Mitbegründer und Ex-Chef Dietmar Hopp schreibt einen offenen Brief an die Belegschaft, spricht über Befürchtungen einer gewerkschaftlichen Fremdbestimmung des Betriebes, mit dem Hinweis, dass die ArbeiterInnen angeblich schon durch den Aufsichtsrat ausreichend vertreten sind und droht mit Standortverlegung, also Massenentlassungen. Die Erpressungen wirken und die Wahl eines Vorstandes für den Betriebsrat wird Anfang März mit 90 Prozent abgeschmettert.

Bei einem Unternehmen dieser Größe ist die Errichtung eines Betriebsrates rechtlich nicht zu verhindern. Deshalb wird der Konzern zu einer Europäischen Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Europa AG erlaubt es auf relativ unbürokratische Weise, den SAP-Unternehmenssitz von Deutschland ins europäische Ausland zu verlegen. Dadurch aber lässt sich nicht nur ein Betriebsrat verhindern, sondern auch jegliche Arbeitermitbestimmung.

Von März bis Ende Mai 2006 werden bei Siemens, Daimler-Chrysler, M-real Zanders und vielen weiteren Unternehmen in Deutschland Betriebsräte gewählt. Verschiedene Studien besagen, dass Unternehmen mit Betriebsrat erfolgreicher sind als solche ohne. Firmen mit einer funktionierenden Mitarbeitervertretung haben Produktivitätsgewinne von bis zu 30 Prozent. Betriebsräte sind somit nicht unbedingt der kapitalistischen Profitlogik abtrünnige Institutionen, sie können den „sozialen Frieden“ in einem Betrieb durchaus sichern. Wovor also solche Angst?

Mitbestimmung

Jegliche Mitbestimmung ist ein Resultat der Arbeiterbewegung und somit des Klassenkampfes. Ihre Ursprünge lassen sich bis zur 1848er Revolution zurückverfolgen, als ein Antrag auf Bildung von Fabrikausschüssen mit begrenztem Mitspracherecht gescheitert ist. Erste Arbeitsausschüsse wurden erst mit der Novellierung der Gewerbeordnung 1891 möglich. Während des 1. Weltkrieges, als wilde Streiks im Jahr 1916 auch Teile der Rüstungsindustrie lahm legten, wurde die Handlangerfunktion von sogenannten „Personalräten“ für das Kapital sichtbar. Diese Funktionäre sollten politisch auf die Belegschaft einwirken, sollten mögliche Streiks abwenden und Kontrolle über die Beschäftigten erlangen.

Auf den Ausbruch der Novemberrevolution, als revolutionäre ArbeiterInnen und Soldaten die sozialistische Republik ausriefen, reagierte die Bourgeoisie mit dem Stinnes-Legien-Abkommen. Damit sollten dann Betriebsräte ab einer Zahl von 50 Beschäftigten zugelassen werden.

In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wurde schließlich die Einrichtung von Betriebsräten “zur Wahrung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen” der ArbeiterInnen und Angestellten verankert. Mit der Niederschlagung der Arbeiteraufstände in der Weimarer Republik waren diese Betriebsräte jedoch nichts mehr als Institutionen der „Gemäßigten“, die der SPD nahe standen. Es folgte das Betriebsrätegesetz von 1920, gegen das sich breiter Protest erhob.

Erschütterungen

Das Gesetz zwang die ArbeiterInnen zur „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke” und dazu, „den Betrieb vor Erschütterungen zu bewahren”. Mit diesen „Erschütterungen“ waren Streiks und kommunistische Agitation gemeint. Speziell die deutsche Großindustrie wollte über die Betriebsräte die Belegschaft kontrollieren und auch die SPD wollte sich vor einer „ungeplanten“ Arbeiterbewegung schützen – das waren quasi die Lehren des Kapitals und der Reformisten aus den Jahren 1918/1919.

Als die Nationalversammlung im Februar das Betriebsrätegesetz behandelte, fand vor dem Reichstagsgebäude eine von USPD und KPD getragene Massenkundgebung gegen diesen Entwurf statt. Die Polizei schoss in die unbewaffnete Menge und richtete ein Blutbad mit mehreren Toten an.

Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes 1945 strebten breite Schichten der Gesellschaft eine Entmachtung der Profiteure des Regimes an. In allen größeren Industrieregionen bildeten sich antifaschistische Komitees und Betriebsräte die die Produktion und die Versorgung der Bevölkerung selbst in die Hand nahmen. Um einer Ausdehnung der Massenbewegung der Arbeiterklasse zu verhindern, trat 1951 das Montan-Mitbestimmungsgesetz für Kohle- und Stahlunternehmen in Kraft.

Ein Jahr später schon wurde unter heftigem Protest der Arbeiterklasse das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. Dieses Gesetz gilt noch bis heute und setzt den Betriebsräten eine Schweige- und Friedenspflicht, also einen Verbot von Arbeitskämpfen, auf.

Gegenmacht?

Innerhalb des Kapitalismus hört die Demokratie vor dem Werktor auf, deswegen hört sich jegliche Art von Mitbestimmung auf den ersten Blick verlockend an. Betriebsräte sind in ihrer jetzigen Konstituierung mit ihrer Entschärfung des Klassenkampfes Institutionen der bürgerlichen Ordnung. Auch der Kapitalist hat Interesse an Arbeitermitbestimmung im Betrieb, sofern sie ihm stabile Unternehmensverhältnisse verschafft.

MarxistInnen sehen in der Arbeiterklasse das revolutionäre Subjekt der Gesellschaft. Deswegen muss man direkt auf diese Klasse einwirken müssen. Hierzu sind Betriebsräte von Nutzen, denn ihre Funktion als „Berater“ des Unternehmers macht es möglich, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Aber selbst diese Einflussnahme ist nur begrenzt, da ein Betriebsrat nur ein passives, reagierendes Vetorecht hat. Zur Überwindung des kapitalistischen Systems ist es innerhalb eines Betriebes erforderlich, nicht nur ein Einfluss auf die Unternehmensführung zu haben, sondern die volle Arbeiterkontrolle über den Betrieb zu haben.

Was wären unsere Forderungen an einen Betriebsrat? Man kann mit der Wahl in den Betriebsrat keine Entlassungen und „Rationalisierungsmaßnahmen“ aufhalten. Man kann jedoch konsequenteR StellvertreterIn der Belegschaft sein, um damit Klassenbewusstsein zu schaffen und die Konflikte innerhalb eines Betriebes auf andere Betriebe auszuweiten und zu politisieren.

Warum will die SAP nun keinen Betriebsrat? Wenn die Unternehmensführung der SAP keinen Betriebsrat haben will, dann nur weil sie bemerkt hat, dass man durch einen Betriebsrat keine „sozialpartnerschaftliche“ Kontrolle mehr über die ArbeiterInnen im Betrieb hat, wie der Streik bei Opel Bochum gezeigt hat, wo die ArbeiterInnen entgegen den Empfehlungen der Gewerkschaften und des Betriebsrates sich für den wilden Streik entschieden.

Dort muss die Arbeit von RevolutionärInnen ansetzen, an der Basis in Verbindung mit kritischen Gewerkschaftlern und Vertrauensleuten muss eine Opposition zur reformistischen Führung entstehen. Gerade die Kämpfe in Frankreich und der Streik im Öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg haben erneut das Versagen der Führung gezeigt – zusammen mit den kritischen Teilen der Gewerkschaft kann die Formierung einer revolutionären Opposition gelingen.

//von Okko aus Prenzlauer Berg //REVOLUTION Nr. 17

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