Diese Seite ist ein Archiv und wird nicht mehr aktualisiert. Die neue Seite von RIO ist: www.klassegegenklasse.org


 

Tanzen verboten!

Politische Ziele ebenfalls! Über staatliche Repression in der tschechischen Republik

Seit dem Polizeiübergriff auf das Czechtek im letzten Juli und dem Verbotsverfahren gegen die Jugendorganisation der kommunistischen Partei „Komsomol“ (KSM) muss sich der Blick des am Thema Repression Interessierten auch in die Tschechische Republik wenden. So sehr sich die verschiedenen Fälle von staatlicher Repression international auch unterscheiden, alle Beispiele zeigen uns deutlich, wie Repression mit dem Schutz des bestehenden Systems einhergehen.

Brutaler Angriff

Es wurde schon beinahe zur Tradition, dass sich Ende Juli mehrere tausend Jugendliche zu einem riesigen internationalen Techno-Festival – dem Czechtek – irgendwo in der Pampa in Tschechien trafen. Das Czechtek, ein unkommerzielles Festival ohne jeden Eintritt, ohne jegliche finanzielle oder logistische Beteiligung von Firmen ist ganz einfach ein Festival von Jugendlichen der Techno-Community. Bis 2005 wurde das Czechtek mehr oder weniger illegal organisiert, d.h. ohne Anmeldung, ohne Kontrolle durch den Staat und ohne Rücksichtnahme auf die Besitzer der Felder.

Bereits 2004 griff die Polizei einen Tag nach (!) dem Festival die Leute an, die das Partygelände aufräumten. Wie immer regte sich die gesamte bürgerliche Presse darüber auf, dass die Polizei das Festival nicht schon beim Bekanntwerden des diesjährigen Veranstaltungsortes von vorn herein unterbunden hatte. Wahrscheinlich um eine solche Situation zu vermeiden, entschieden sich die Organisatoren des Czechtek 2005 dafür, einen Platz fuer das Festival zu mieten. Trotz dieser Tatsache wurde die Polizei schon mehrere Tage vor Beginn des Czechtek instruiert, das Festival zu zerschlagen.

Polizeilicher Einfallsreichtum

Durch die Polizei waren nicht nur Gewalt, sondern auch alle Arten von Lügen, Medienpropaganda und illegalen Methoden im Spiel. Die erste Angabe für die Gründe des Übergriffs – nämlich, dass der Besitzer des Feldes vom Mietvertrag zurückgetreten sei – wurde später von den Organisatoren als Lüge entlarvt, aber von der Polizei durch die nächste ersetzt. Nun hiess es, dass nicht genügend Toiletten auf dem Gelände gewesen wären und damit Hygienevorschriften nicht eingehalten wurden – aber es war gerade die Polizei, die schon am ersten Tag den Zufahrtsweg fuer den Transporter mit den Dixi-Klos blockierte. Am Ende legitimierte die Polizei ihren Einsatz mit dem Vorwurf, dass einige TeilnehmerInnen die Grenze des gemieteten Geländes überschritten (obwohl sie doch die Existenz eines Mietvertrages leugneten...) und nun auf ungemieteten Areal getanzt hätten. Der Polizeiangriff mit Wasserwerfern, Gaspatronen und Räumfahrzeugen kann mit den Angriffen auf grosse antikapitalistischen Demonstrationen verglichen werden und hatte hunderte Verletzte zur Folge. Mehrere dutzend TeilnehmerInnen einer friedlichen Technoparty mussten aufgrund des äußerst brutalen Vorgehens der Polizei ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Einen Monat nach dem Übergriff der Polizei auf das Czechtek konnte in Südwest-Böhmen ein grosses „Blood and Honour“-Konzert mit über 500 Nazis unbehelligt stattfinden. Obwohl „Sieg Heil!“-Rufe und Rudolf Hess verherrlichende Texte deutlich zu verstehen waren (nachvollziehbar auf allen Tschechischen Fernsehsendern), griff die Polizei nicht ein – im Gegenteil: alle Nazis konnten das Konzert in Ruhe und zufrieden verlassen.

Staat macht aus Nazis Kommunisten

Es hagelte scharfe Kritik an der Polizei und an Innenminister Bublan. Darauf antwortete Bublan mit dem Versprechen, dass die „Polizei nun härter durchgreifen und eine neue Herangehensweise entwickeln wird“. Wie sich zeigte, hatte er damit aber nicht Nazis im Kopf, sondern „Extremisten“, worunter er die gesamte Linke versteht. Natürlich hielt er sein Versprechen – im Dezember 2005 wurde die Kommunistische Jugend Union (KSM) unter Androhung ihres Verbots aufgefordert, ihr Statut zu ändern. Das lächerliche Argument dafür war, dass die KSM politische Ziele hat, dies aber nur für politische Parteien und nicht für Jugendorganisationen zulässig wäre. Natürlich sind die Jungen Sozialdemokraten, die Jungen Konservativen und die Jungen Christdemokraten genauso wenig von diesem Problem betroffen, wie etliche rechtsextreme Organisationen. Der Innenminister stellte der KSM ein Ultimatum von 60 Tagen, um ihr Statut von allen Punkten, die den Klassenkampf und die Veränderung des Systems berühren, zu säubern. Trotz dieser Frist gab es schon im Dezember Hausdurchsuchungen im Büro und in Privatwohnungen von KSM-AktivistInnen.

Grund dafür ist Profit

Warum greift die Polizei eine Party ohne jeden offenen politischen Inhalt an, und lässt gleichzeitig Nazis ihre Konzerte abhalten? Und warum bedeutet der „Kampf gegen Extremismus“ für den Staat den Kampf gegen die radikale Linke? Die Antwort ist, dass beide – Technofans und KSM – auf ganz unterschiedliche Art und Weise das heute vorherrschende Profitsystem in Frage stellen, während die Nazis wichtige Beschützer dessen sind.

Im Fall von KSM ist das „Verbrechen“ klar – in ihrem Programm und durch ihre Aktionen drücken sie ganz klar ihre Ablehnung des Kapitalismus aus (wir lassen hier die politischen Fehler ihres stalinistischen Programms mal aussen vor). Die Teilnehmer­Innen des Czechteks hingegen hatten überhaupt keinen Anspruch, gegen das System zu kämpfen, sondern wollten nur ihre eigene Party feiern,. Aber die Idee des Czechteks steht schon im Widerspruch zu den wichtigsten Grundlagen des Kapitalismus: der Warenform und dem Profit. Es ist egal, ob du das Gelände gemietet hast oder nicht – wenn die Party keinen Profit für Firmen erwirtschaftet, wenn keine Steuern an den Staat oder Gebühren an die Urheber der Musik gezahlt werden, wenn du nicht nach den Regeln der Herrschenden tanzt, dann wirst du zum Terroristen, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Somit wird ein unkommerzielles Techno-Festival gefährlicher als ein kommerzielles Fascho-Konzert.

Die Liberalen (und die Hauptorganisatoren des Czechtek waren eben solche) sahen das Hauptproblem der Geschehnisse darin, dass der Polizeiübergriff illegal war bzw. nicht gerechtfertigt nach geltendem tschechischem Gesetz, und konzentrierten ihren Protest daher auf Auseinandersetzungen vor Gericht.

Es ist wichtig, sich bewusst zu werden, dass alle Gesetze, Ordnungen und Repressionen des kapitalistischen Staates nur der Sicherung des auf Privateigentum basierenden Systems dienen und dass die Begriffe „legal“ und „illegal“ heute „Profit“ und „den Kampf dagegen“ bedeuten. In der heutigen Gesellschaft sind Unabhängigkeit und Freiheit Verbrechen. Gerade deswegen müssen alle, die Freiheit und Unabhängigkeit wollen, den kapitalistischen Staat als verbrecherisch und als Grund unserer Unfreiheit ansehen und für seine Zerstörung kampfen.

//Nikola und Natalie aus Prag //REVOLUTION Nr. 16

RIO • Revolutionäre Internationalistische Organisation • www.revolution.de.com • info[ät]revolution.de.com • (c)opyleft   

Diese Seite ist ein Archiv und wird nicht mehr aktualisiert. Die neue Seite von RIO ist: www.klassegegenklasse.org