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Liegt Berlin in Schweden? Oder liegt Stockholm in Deutschland? Was Antifa-Proteste angeht, gibt es erstaunliche Paralelle zwischen beiden Städten. Der Versuch, eine Nazidemo in Stockholm zu verhindern, ist gescheitert. Schwedische AntifaschistInnen diskutieren die Lehren aus der Aktion – dabei können AktivistInnen aus Berlin einiges lernen. Am 9. Dezember 2000 kam in dem Stockholmer Vorort Salem der junge Nazisympathisant Daniel Wretström bei einer Auseinandersetzung mit MigrantInnen ums Leben. Die schwedischen Nazis wussten die Situation für sich zu nutzen: Sie machten aus Daniel Wretström einen Märtyrer und schufen dadurch ein symbolisches Datum, an dem alle Nazis zu einem gemeinsamen Aufmarsch mobilisiert werden können. Aber auch die internationale Linke mobilisiert seit 2001 für Gegenaktionen. Die Nazidemonstration hatte dieses Jahr ca. 1200 TeilnehmerInnen und es war auch das zweite Jahr in Folge, wo die Nazis – im Gegensatz zu den AntifaschistInnen – in den Medien als höflich und ordentlich dargestellt wurden. REVOLUTION Stockholm war Teil einer Gegendemonstration, die vom Netzwerk gegen Rassismus auf dem Norrmalm-Platz organisiert wurde. Nach den Aktionen mischte sie sich ein in die vielen Debatten in der antifaschistischen Szene in Stockholm und Schweden ein. Antifa = Aufklärung? An der Demonstration mit über 1000 Leuten nahmen neben REVO viele linke Gruppen teil. Die poststalinistische Linkspartei dominierte das Mikrofon. Von der politischen Aussage her war die Demonstration ziemlich lahm, die Reden, die auf den Kundgebungen gehalten wurden, hatten vor allem eins gemeinsam: sie thematisierten die Frage von Antifaschismus ohne jede Verbindung mit dem Gesellschaftssystem, welches rassistische Ideologien nutzt und faschistische Ideologien immer wieder erzeugt. Stattdessen betonten die SprecherInnen die Notwendigkeit von Aufklärung und Auseinandersetzung mit faschistischen Demagogen – eben den gewöhnlichen, liberalen Antifaschismus ohne jegliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen von Rechtsextremismus, den wir von jeder Berliner Bündnis-Demo kennen. Beispielsweise sprach ein Mitglied der Linkspartei über die ansteigende rechte Gewalt gegen Homosexuelle ohne jeglichen Aufruf zur Bildung von Selbstverteidigungsgruppen oder irgendeine Überlegung wie wir eine Befreiung von der heterosexuellen Zwangsnorm erreichen könnten. Keiner der RednerInnen war in der Lage, die Verbindung zwischen staatlichem Rassismus, der Ausländer- und Sozialabbaupolitik der Regierung und dem Ansteigen von Rassismus und Faschismus herauszustellen. Aber auch bessere Momente der Demo sollen erwähnt werden: neben der großen Anzahl von jungen DemonstrantInnen war vor allem der Schwedische radical hip hop act „Björnbröder“ eine willkommene, militante Erweiterung der reformistischen oder liberalen Laberei. Sie klauten ein großes Nazi-Transparent auf dem Weg zu der Demo und nachdem das Anzünden dessen leider fehlschlug, warfen sie es ins Publikum, wo es zerrissen wurde. Das brachte natürlich gute und militante Stimmung. Antifa = Faschos prügeln? Die AFA (Antifaschistische Aktion Schweden) und ihre internationalen Bündnispartner veranstalteten eine sonderbare Show: Eine Blockade von Pendlerzügen, die angeblich Nazis nach Salem bringen sollte, wurde im Voraus bekannt gegeben. Gruppen von AntifaschistInnen schlichen durch die Innenstadt von Stockholm auf der Suche nach einzelnen Faschos, um sie zu verprügeln, aber die Nazis waren größtenteils unterwegs nach Salem zur Demonstration. Die Faschisten konnten laufen und die Linke hatte zahlreiche Festnahmen und Verletzte zu verzeichnen ... Irgendwie erinnert mich das an jeden zweiten Naziaufmarsch in Berlin. Die zwei Teile der antifaschistischen Bewegung gehen unterschiedlich mit dem Misserfolg, die Nazidemonstration zu stoppen, um. Die Linkspartei und ihre Bündnispartner fordern die Regierung auf, die Verantwortung zu übernehmen. Die AFA führt nun eine interne Diskussion, die für jede/n Antifaschisten/in interessant ist. Die Einen nennen sich selbst Revolutionäre Front (eine Absplitterung von AFA, die noch im freundschaftlichen Verhältnis stehen, aber „gewaltorientierter“ sind und in Richtung „Lifestyle“-Antifa gehen) und stehen für eine Art rohen Antifaschismus. In einem Bericht schreibt die RF: „trotz der anwesenden Polizei, war RF in der Lage in [dem Stockholmer Vorort] Solna an zwei Nazis Hand anzulegen. Diese zwei hässlichen Gesichter werden in der Zukunft ein wenig demoliert aussehen“. Nach diesem Trost für die schiefgegangene Blockade, fuhren sie in „die reicheren Teile von Stockholm. In Östermalm sorgten sie dann für einen etwas ungewöhnlichen Zusatz zum Weihnachtseinkauf indem sie Schaufensterscheiben zerschmetterten, teure Weihnachtsgeschenke befreiten und einzelne Zivilpolizisten angriffen.“ Die RF erklärt weiter, dass „die Polizei ihre Mission, die Nazis vor uns zu schützen, gut ausgeführt hat“. Trotz des Misserfolges in Salem behauptet die RF, dass die Zahl der Nazis dieses Jahr geringer war als in den letzten Jahren, weil es eine „wunderbare und große antifaschistische Arbeit“ gab. Selbst wenn das stimmen würde, würde das bedeuten, dass ihre eigenen Taktiken kaum zum “Erfolg” führten. Antifa = Chaos? Es ist kaum überraschend, dass diese unseriöse Betrachtung der RF eine Menge Kritik erregte. Die AFA3 aus Malmö richten ihre Kritik nicht nur auf die Mobilisierung vor Salem, sondern auch in Richtung der generellen Arbeit der AFA. Hinsichtlich der Blockade schreiben sie: „Sie werden die Nazidemonstration nicht aufhalten, sie werden die organisierten Nazis nicht stoppen, aber sie werden die Sympathisanten aufhalten und es für sie schwerer machen daran teilzunehmen.“ AFA3 glaubt zwar, dass die gewählte Taktik richtig war, aber dass der organisatorische Bereich katastrophal war. Sie erklären, dass man anfänglich „wirklich in der Lage war, die Innenstadt von Stockholm in eine Antifaschistische Zone zu verwandeln“. Aber die Kooperation verschwand und die Situation wandelte sich in ein „Katz-und-Maus Spiel mit den Bullen.“ Danach folgt eine Beschreibung des Chaos, in dem der Versuch der antifaschistischen Blockade endete. Davon haben auch Berliner AktivistInnen nach ihrer Rückkehr aus Salem berichtet. Das Elend begann schon während der Planung vor dem Sommer: „Keiner der ursprünglichen Pläne wurde durchgeführt, die meisten Gruppen erfüllten die Aufgaben, die sie ursprünglich angenommen hatten, nicht und auf jedem Vorbereitungstreffen wurden die Pläne geändert“. Das dürfte jedem bekannt vorkommen, der schon einmal auf Berliner Vorbereitungstreffen gesessen hat! Die Analyse von AFA3 führte zu einem ziemlich großen Streit zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb des AFA Netzwerks. Die Blockade gegen die Salem-Demonstration in den letzten zwei Jahren „wurde zu einem großen Umfang von AktivistInnen organisiert, die nur zu diesem Anlass nach Stockholm reisen“. Außer der Syndikalistischen Jugend war keine einzige linke, außerparlamentarische Gruppe aus Stockholm in die Organisation der Blockade involviert. Die Kritik ist hier sogar noch umfassender und zielt auf die ganze, übliche Orientierung der AFA. „AFA hat sich selbst von der außerparlamentarischen Linke abgeschnitten und versucht ihren Antifaschismus ‚rein‘ und unverbunden mit sozialen Kämpfen zu halten. Das ist ein fundamentaler Fehler.“ Antifa = Militanz? Die AFA3 gibt eine kurze Beschreibung von der „anifaschistischen Praxis“ – der Straßenmilitanz: „Die Straßenkämpfe erfordern kleine, gut zusammengeschweißte Gruppen mit Erfahrung im Kämpfen. Mit der Ausbreitung der Straßenmilitanz haben die AntifaschistInnen auch mehr und mehr Einflüsse der Hooligans übernommen.“ Die Entwicklung scheint verheerend zu sein und sollte entweder zu einer neuen Orientierung der Szene oder zu deren schnellen Degenerierung führen: „Dadurch hat sich der politische Fokus von der Betrachtung der Nazis als Problem an sich, welches bearbeitet werden muss, verschoben zu der ausschließlichen Frage nach der Anzahl überfallener Nazis. Die Straßenmilitanz wird zu einer Frage interner Mobilisierung, also ob man in der Lage ist, genügend zuverlässige Kämpfer übers Telefon zu erreichen und nicht zur Frage externer Mobilisierung: was bedeutet, die Konflikte auszuweiten und Stärke basierend auf Mitgliedern aufzubauen. Das Risiko besteht darin, Antifaschismus auf eine Frage von Bandenkrieg zu reduzieren, wir gegen sie, zwei Gruppen gegeneinander, ...“ Besser hätten wir es nicht sagen können. Am Ende ihrer Thesen beschreibt die AFA3 die Beziehungen zwischen ihrer eigenen Bewegung und dem Netzwerk gegen Rassismus (NMR). Die Kooperation zwischen NMR und den Gewerkschaften wird als wichtige Verbindung zu einem größeren Publikum angesehen: „NMR braucht AFA und AFA brauch NMR“. Dies ist der Ort wo sich die unterschiedlichen Pole der antifaschistischen Bewegung in Schweden treffen. Es ist schwer, nicht zu dem Schluss zu kommen, dass es hier um eine umfassende Arbeitsteilung geht: wenn ihr euch mit Kindern, alten Menschen und anderen wehrlosen AntifaschistInnen beschäftigt, harmlose Treffen mit gut gemeinten Reden und einer niemals endenden Parade von KünstlerInnen machst – werden wir, die wahren AntifaschistInnen uns um die Nazis kümmern. Zugegeben, wir können ihre Demonstration nicht aufhalten, aber wir können sie vorher und hinterher jagen und wenn wir keine finden können oder die Polizei uns stoppt, finden wir stets etwas anders zu tun – wie z.B. Schaufensterscheiben einschlagen und das Eine oder Andere klauen. Antifa = Antikapitalismus = Organisation = Revolution! Diese Arbeitsteilung ist vernichtend – vor allem weil es keine politische Auseinandersetzung mit den Menschen auf der anderen Demonstration gibt. Die Linkspartei-BürokratInnen haben leichtes Spiel, jegliches Entgegentreten der Nazidemo als unpolitische Krawallmacherei abzutun. Wer glaubt, ein paar hundert jungendliche Antifas können die Nazis aufhalten oder gar den staatlichen Rassismus abschaffen, lebt in einer Traumwelt. (Diese Traumwelt existiert in Berlin wie in Stockholm.) Um solche Naziaufmärsche zu verhindern, müsste man wenigstens die 1.000 Menschen auf der linken Demo einbinden. Aber darüber hinaus muss die Verbindung zwischen Faschismus, staatlichem Rassismus und dem kapitalistischen System konsequent aufgezeigt werden, um breite Schichten von ArbeiterInnen, MigrantInnen und Jugendliche auf die Straße zu bringen. Damit wären nicht nur viel größere Aktionen möglich – es würde sich auch zeigen, dass die Apparatschiks der Linkspartei und andere halbstaatliche „AntifaschistInnen“ solche Aktionen zu verhindern versuchen. An dem Punkt macht eine Kritik des Reformismus richtig Sinn. Das ist die Arbeit, die auf uns wartet. Einzelne Nazis zu jagen, führt zu nichts anderem als Bandenkrieg. Wir wollen aber die gesellschaftlichen Strukturen, die Rassismus und Faschismus hervorbringen, abschaffen. Dazu braucht es ein bisschen mehr als einen schwarzen Pulli und einen Stein in der Hand – dazu braucht man ein antikapitalistisches Programm und eine revolutionäre Strategie. In dem Sinne arbeitet REVO in vielen Ländern. //von Natalie aus Prag und Peo aus Stockholm //REVOLUTION Nr. 15 |
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