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Was sind Gewerkschaften?

(Und warum brauchen wir sie überhaupt?)

//von Jim aus Stuttgart //REVOLUTION Nr. 8

Derzeit beobachten wir, dass viele Arbeiter das Vertrauen in die Gewerkschaften verlieren und die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisation nicht erkennen. Doch warum sind Gewerkschaften notwendig? Warum sollten sich gerade auch junge AbeiterInnen gewerkschaftlich organisieren?

Warum gibt es Gewerkschaften?

Im Kapitalismus gibt es zwei Hauptklassen. Die Kapitalisten, die Produktionsmittel (Maschinen, Fabriken, Banken etc.) besitzen, und die ArbeiterInnen, die keine Produktionsmittel besitzen. Letztere sind darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Der Kapitalist muss Arbeitskraft kaufen, die seine Maschinen bedient. Der Arbeiter muss – um überleben zu können – seine Arbeitskraft dem Kapitalisten anbieten, d.h. verkaufen. Natürlich liegt es im Interesse des Kapitalisten, dass der Arbeiter möglichst lange zu einem möglichst geringen Lohn arbeitet. Im Gegensatz dazu besteht das Interesse des Arbeiters darin, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel Lohn dafür zu erhalten. Der Lohnarbeiter ist im Unterschied z.B. zum Sklaven doppelt frei: frei von Eigentum an Produktionsmitteln, aber auch formal-rechtlich frei als Person.

Letztendlich entscheidet der Klassenkampf darüber, wie Löhne, Arbeitszeiten usw. aussehen. Doch früh wurde dem Arbeiter klar, dass er als Individuum recht machtlos gegenüber dem Kapitalisten dasteht. Die beste Waffe der Kapitalisten besteht somit darin, die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen zu schüren. Der billigste Arbeiter wird genommen. Daraus folgt, dass die beste Waffe des Arbeiters darin besteht, diese Konkurrenz zu überwinden und gemeinsam mit Gleichgesinnten seine Rechte einzufordern.

Aus dieser Einsicht folgte das Bedürfnis der ArbeiterInnen, sich zu organisieren und schließlich die Gründung von Gewerkschaften. Zunächst sind Gewerkschaften also Instrumente, mit denen die Lohnabhängigen gemeinsam dafür kämpfen, den Preis ihrer Arbeitskraft – die sie ja als Ware dem Kapitalisten verkaufen – möglichst hoch zu halten.
Erfolge der Gewerkschaften.

Seit ihrer Entstehung haben die Gewerkschaften bedeutende Fortschritte für die Arbeiterklasse erzielt. Die Sozialversicherungen, welche die Arbeiter vor dem Absturz ins soziale Elend bewahren, sind auf Druck der Arbeiterbewegung eingeführt worden. 35-Stunden Woche, höhere Löhne, Lohnfortzahlung bei Krankheit, mindestens 24 Tage Urlaub im Jahr, Arbeitsschutzbestimmungen, Schichtzuschläge, Verbot von Kinderarbeit, Recht auf Fortbildung, Kündigungsschutz, Recht auf Betriebsräte – all das sind Errungenschaften der organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland. Jeder, der schon einmal im Betrieb war, weiß, dass es absolut naiv ist zu glauben, man könnte solche Sachen genauso auf Betriebsebene oder gar individuell aushandeln. Allein deshalb sollte jeder Arbeiter die Gewerkschaften unterstützen.

Arbeiteraristokratie

Heute jedoch stecken die Gewerkschaften in einer Legitimationskrise. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sie von hauptamtlichen Funktionären geführt werden, die mit dem täglichen Kampf des einfachen Arbeiters wenig am Hut haben. Auch scheinen sich die Gewerkschaften nur um die Rechte der etwas besser gestellten ArbeiterInnen zu kümmern.

Die privilegierten hauptamtlichen FunktionärInnen (die Arbeiterbürokratie) und ihr bürokratischer Apparat beherrschen und kontrollieren die Gewerkschaften. Sie stützen sich dabei vor allem auf die besser bezahlten ArbeiterInnen (die Arbeiteraristokratie).

Das Kapital war von der Gewerkschaftsbewegung und deren Macht beunruhigt. Die Kapitalisten mussten Maßnahmen ergreifen, wenn sie ihre wirtschaftliche und politische Macht nicht an die Arbeiterklasse verlieren wollten. Also zeigten sie sich „wohlwollend“ gegenüber den Gewerkschaften und ihren Führern. Sie gestanden den organisierten ArbeiterInnen einige Rechte zu.

So wurden die Gewerkschaftsführer plötzlich zu „angesehenen“ Leuten. Alle diese Maßnahmen zielten darauf ab, der Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Arbeiterklasse zu spalten. So wurde z.B. in England 1867 der Reform Act verabschiedet, welcher der oberen Schicht der Arbeiterklasse das Wahlrecht gab, während die meisten männlichen Arbeiter und alle Frauen weiterhin nicht wählen durften. Solche Maßnahmen beeinflussen die Gewerkschaften bis heute. So kämpfen die Gewerkschaftsführer in den Tarifrunden bewusst nur in den Großbetrieben (z.B. bei Daimler& Co.), während sie sich um weniger organisierte Betriebe kaum kümmern.

Die Arbeiterbürokratie genießt eine privilegierte, abgehobene Stellung in der Gesellschaft. Somit verbinden sich ihre Interessen mit denen des Kapitalismus (ihnen geht es ja gut). Heute besteht die Arbeiteraristokratie aus den Herren Sommer & Co. in den Gewerkschaften selbst, sowie aus den Herren Klemm (Betriebsratsvorsitzender bei DaimlerChrysler) & Co. im Betrieb.

Die Gewerkschaftsbürokratie, die Mehrheit der Hauptamtlichen und der Betriebsräte, betreiben eine Politik der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Interessen des Kapitals. Das erfolgt z.B. unter Slogans wie „Standortsicherung“ oder „Kostendämpfung“. Zu dieser Logik gehören Verhandlungen und manchmal – als Druckmittel – auch Streiks. Doch dabei geht es der Bürokratie immer darum, zu verhindern, dass ein Kampf die Grundlagen des Kapitalismus (Privateigentum, Geschäftsgeheimnis usw.) in Gefahr bringt.

Warum wir Gewerkschaften trotzdem brauchen

Die bremsende und verräterische Arbeiterbürokratie und deren Vorstellung von der Alternativlosigkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft führen dazu, dass sich die Gewerkschaften heute in einer Krise befinden und die Mitgliederzahlen sinken. Viele Kollegen und Kolleginnen empfinden es als unnötig, der Gewerkschaft beizutreten und auch noch Beitrag zu zahlen (1% vom Brutto-Gehalt).

Doch die Alternative zu den bürokratischen Gewerkschaften und ihrer Führung ist nicht, sich von der Gewerkschaft fern zu halten. Es gibt ein böses Erwachen, wenn das Kapital zum Generalangriff bläst. Letztendlich werden die Löhne gesenkt und ein Rundumschlag auf alle unsere Errungenschaften gestartet, der dann aufgrund der schwachen Organisierung wohl nicht mehr zurückgeschlagen werden kann. Die gewerkschaftliche Organisation ist und bleibt im Kapitalismus ein wichtiges Mittel für Arbeiter, sich gegen Angriffe zu wehren und seinen Lebensstandard zu verteidigen.

Der Kampf fur revolutionäre Gewerkschaften

Auch für uns Revolutionäre sind Gewerkschaften wichtig. Wenn wir die Arbeiterklasse zum Kampf gegen den Kapitalismus führen wollen, können wir deren tägliche Kämpfe um bessere Bedingungen nicht ignorieren. Für den Arbeiter ist es enorm wichtig, aus seiner Ohnmacht gegenüber dem Kapital aufzuwachen und seine Stärke zu spüren. Diese Stärke entwickelt er in der Organisation. Wenn alle ArbeiterInnen organisiert wären, könnten wir alle Räder von heute auf morgen lahm legen. Deshalb werden die Gewerkschaften auch logischerweise zur machtvollsten Organisation innerhalb des Kapitalismus. Im täglichen Kampf entwickelt der einfache Arbeiter ein Bewusstsein für diese Gegebenheit. Die Arbeiterklasse braucht kollektive Kampferfahrung. Während so für den Arbeiter die Gewerkschaften ein Mittel darstellen, um seine Lebensverhältnisse zu verbessern, sind sie für uns Revolutionäre „Kriegsschulen der Arbeiter“.

Durch den täglichen Kampf lernen die ArbeiterInnen erst, sich gegen die herrschende Ordnung aufzulehnen und sie letztendlich in Frage zu stellen. Außerdem werden sie bei ihren Forderungen schnell feststellen, dass unsere Wirtschaftsordnung nicht in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und Sicherheit für alle zu bieten.

Doch das geht nur, wenn wir kämpferische Gewerkschaften haben, die die Arbeiterklasse mobilisieren. Doch davon sind wir momentan weit entfernt. Momentan sind die Gewerkschaften fest im Griff der Bürokratie. Deshalb müssen wir eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften aufbauen, welche sich über die Disziplin der verräterischen Führungen hinwegsetzt und die Gewerkschaften wieder für die Arbeiterklasse zurückgewinnt. Die Gewerkschaften müssen der politischen und organisatorischen Kontrolle der Bürokraten entrissen werden. Alles, was in der Gewerkschaft passiert, jeder Kampf, jede Verhandlung muss der vollen Kontrolle der Basis unterliegen! Die Gewerkschaften können und müssen sich von Handlangern des Kapitals über „Kriegsschulen“ bis hin zur revolutionären Kraft entwickeln.

Dafür sollten wir mit aller Macht kämpfen.

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