Stolz auf Deutschland?

Ein Kommentar gegen den Nationalstolz bei der WM

„...tschland, tschland, Do-heutsch-laaaaaaaand!“

Na, schon das Kotzen bekommen?

Ja? Dann ist ja alles gut.

Nein? Dann solltest du unbedingt weiter lesen.

Zur Zeit haben wir das große Glück, vor lauter Schwarz-Rot-Gold Augenflimmern zu bekommen und von grölenden Fußballfans sowie diversen Tröten um den Schlaf gebracht zu werden.

Oh, du meinst, ich bin eine Spaßbremse? Nein, ganz und gar nicht. Klar, mensch kann an einem Fußballturnier wie der WM großen Spaß haben. Aber, ohne jetzt groß auf die fast schon unverschämte Offenlegung und Ausnutzung sozialer Missstände bei einer solchen sau-teuren Veranstaltung in einem armen Land wie Südafrika einzugehen, wollen wir uns doch einmal eines der grundlegenden Probleme der heutigen kapitalistischen Gesellschaft anschauen, die die WM zutage fördert: die Nation, beziehungsweise die gedanken- und kritiklose Identifikation damit.

Die Nation ist eine relativ junge Erscheinung, die erst mit der Industrialisierung und den damit einhergehenden Konflikten zwischen feudalen bzw. absolutistischen HerrscherInnen auf der einen und der aufstrebenden Bourgeoisie auf der anderen Seite entstand. Der Nationalismus war dabei eine ganz besondere und wichtige Ideologie, die dazu diente, eine gemeinsame Kampfgrundlage des Dritten Standes zu schaffen, die nicht nur sagen konnte: „Wir haben einen gemeinsamen Feind!“, sondern auch: „Wir haben eine gemeinsame Herkunft!“, und die wie jede andere soziale Formation auch eine reale Grundlage hatte: in diesem Fall die gemeinsame Sprache, die Herkunft von einem bestimmten Areal und die Teilnahme an einem gemeinsamen Markt.

Gerade in Deutschland war es ganz besonders wichtig, eine gemeinsame Basis zu haben, um die in vielen kleinen einzelnen Fürstentümern herrschenden FeudalherrscherInnen zu bekämpfen und eine bürgerliche Republik schaffen zu können. Denn der Nationalstaat bot im Vergleich zur Kleinstaaterei einen großen Markt an, der die kapitalistische Produktionsweise aufblühen ließ. In diesem speziellen Fall (viele deutsche Einzelgruppen, die Sudeten-, Karpaten- oder Wolgadeutschen zum Beispiel lebten weit zerstreut) musste eine ganz besondere Identifikationsgrundlage her, die später ganz verheerende Wirkungen hatte und es auch heute noch vergleichsweise schwierig macht, EinwandererInnen zu akzeptieren: das Blutrecht. Durch die Abstammung von deutschen Eltern wurde und wird einE neueR ErdenbürgerIn DeutscheR. Das ist in anderen bürgerlichen Staaten wie Frankreich und den USA, wo das sogenannte “Bodenrecht” oder Geburtsrecht herrscht, grundlegend anders.

Nun wurde ich gefragt, warum ich denn nicht stolz sei, Deutscher zu sein, gerade im Hinblick auf die WM. Nun, es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich mit Deutschland zu identifizieren und auf deren Grundlage mensch vielleicht so etwas wie Stolz empfinden könnte. Zum ersten wäre da die deutsche Sprache. Ich muss gestehen, dass ich sie als äußerst ästhetisch und angenehm empfinde. Allerdings kommt das im Wesentlichen daher, dass es diejenige Sprache ist, mit der ich aufgewachsen bin und in der ich naturgemäß die meisten Ausdrucksmöglichkeiten besitze. Dass ich andere Sprachen vielleicht nicht so angenehm finde, liegt im Hauptsächlichen daran, dass ich sie aufgrund des Nicht-Beherrschens nicht als derart vielfältig empfinden kann wie meine eigene Muttersprache. Grundlegend ist aber eine Sprache „nur“ ein Werkzeug, dass den jeweiligen Bedingungen angepasst ist,weshalb keine qualitativen Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen gibt. Zudem bin ich in erster Linie Nutzer, und nicht Schöpfer dieses Werkzeuges, mein kreativer Anteil ist meist nur sehr gering, also nichts zu finden, worauf ich stolz sein könnte.

Eine zweite Möglichkeit der Identifikation wäre die Herkunft, nach dem Motto: „Ich stamme von Deutschen ab, also bin ich Deutscher“. Nun, jedem, der im Geschichtsunterricht halbwegs aufgepasst hat, sind die schrecklichen Folgen eines darauf begründeten Stolzes bekannt. Aber darüber hinaus muss mensch sich fragen, woher da Stolz kommen soll. Ich habe nicht das Geringste getan, um Deutscher zu sein, und an den völlig interessanten und beachtungswürdigen historischen Entwicklungen hatte ich keinen Anteil. Natürlich ist es nicht im Geringsten falsch, sich mit dem Leben unserer Vorfahren zu beschäftigen – ganz im Gegenteil, und wer sogar Elemente, die er dort vorfindet, in sein heutiges Leben integrieren will, soll das tun, wenn er seinen Heidenspaß daran hat. Ich lerne gern aus der Geschichte der revolutionären ArbeiterInnenbewegung in Deutschland – aber das Gleiche gilt für revolutionäre Bewegungen in allen Teilen der Welt. Also auch hier: nichts, was einen stolz machen kann, außer mensch möchte einen Stolz auf „das Recht, von diesen Leuten abstammen zu dürfen“ konstruieren.

Und die dritte Möglichkeit: die Staatsangehörigkeit der BRD. Autsch, das tut weh! Stolz darauf, einer fast schon austauschbaren bürokratischen Maschinerie untergeordnet zu sein, in der sich die absolut positiven demokratischen und humanistischen Ideale in einer verknöcherten und unbeweglichen Struktur zur Beherrschung von Menschen verfahren haben? Nein, danke! Ich möchte nicht dem deutschen Staat angehören, ich kann mich nicht damit identifizieren, und ich möchte auch nicht irgend einem anderen Staat, gleichwohl welcher Form, angehören. An der Stelle bleibe ich bei Karl Marx: “Die Arbeiter haben kein Vaterland.”

Was ich möchte, ist Mitglied zu sein in einer freien Assoziation der ProduzentInnen auf dem Boden der jetzigen BRD (oder sonst wo auf der Erde), die auf den Grundlagen der Rätedemokratie, der Selbstverwaltung und des demokratischen Zentralismus, also der demokratischen Zusammenarbeit freier Individuen um gemeinsame wirtschaftliche Grundlagen zu schaffen, basiert. Das ist meine Vision, und ich wäre unglaublich stolz auf unser gemeinsames revolutionäres Werk (und auch durchaus auf mich), wenn wir dies zu Stande brächten, und an der Möglichkeit (wie Notwendigkeit) zweifle ich nicht im Geringsten.

Freude am Fußball und dem gemeinsamen Feiern wie Wettbewerb ist nicht im Geringsten falsch oder gar schädlich, solange wir dabei nicht in fehlerhafte Schemata und Ideologien verfallen und das letztendliche Ziel einer freien, demokratischen, gerechten und solidarischen Gesellschaft weltweit vergessen. WM und Freude? Gerne! Ausbeutung und jedwede Nationalgefühle? Nein, Danke! Dafür müssen wir stehen.

//von Alexandrowitsch, Hamburg, für RIO


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