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Lasst den Irak frei!

eine Deutsche wird von Aufständischen entführt:
"ein Verbrechen"


viele IrakerInnen werden von Besatzern entführt:
"eine Sicherheitsmaßnahme"

Alle rufen zur Befreiung der entführten deutschen Archäologin Susanne Osthoff auf. Aber was ist mit den unzähligen IrakerInnen, die jeden Tag von den Besatzungsmächten entführt werden?

Der Irak sorgt wieder für Schlagzeilen. Die deutsche Archäologin Susanne Osthoff und ihr irakischer Fahrer wurden am 25. November von Aufständischen im Nordirak entführt. Diese fordern in einem Video, das der ARD übermittelt wurde, dass die deutsche Regierung die Zusammenarbeit mit der von den USA installierten Regierung in Bagdad beendet und jegliche Unterstützung der Besatzung einstellt. Die ARD weigert sich bisher, dieses Video auszustrahlen.

Es ist von einer „nationalen Tragödie“ die Rede; der Staatsapparat zeigt sich in Kriegsstimmung; die bürgerliche Presse ist noch aufgeregter. Die BZ fordert ihre LeserInnen mit einer Riesenüberschrift auf: „Betet für sie!“ Aber für die über Hunderttausend IrakerInnen, die seit dem Beginn des Krieges gestorben sind, hat die BZ noch nie gebetet. Das sind ja nur IrakerInnen, aber jetzt geht es um eine Deutsche!

Politiker wie Außenminister Steinmeier flüstern den Medien zu: „Es geht nur um Lösegeld.“ Aber die Entführer sind unbestreitbar politisch motitviert. Warum haben sie etwas gegen die deutsche Regierung? Es wird von den wenigsten Menschen hierzulande wahrgenommen, aber Deutschland tut einiges, um die Besatzung des Iraks aufrecht zu halten. Zum Beispiel bildet das Bundeskriminalamt seit Mitte 2004 irakische Polizisten aus, um die Besatzungsarmeen zu entlasten. Und während des Krieges waren Luftbasen in der BRD ein zentraler Zwischenstopp für die Angriffstruppen.

Die Berliner Zeitung behauptet am 30.11.: „Das Kidnapping .... hat aus dem Kriegsgegner Deutschland plötzlich einen Kombattenten gemacht.“ Das klingt beim ersten Mal Lesen lächerlich, denn die indirekte Beteiligung Deutschlands an der Besatzung des Iraks begann schon vor Jahren. Aber beim zweiten Mal Lesen ergibt sich der Sinn: in den Augen der Berliner Zeitung wird Deutschland jetzt zu einem Kombattenten. Den LeserInnen soll jetzt klar gemacht werden, warum Deutschland da mitspielen musste.

Vom Establishment der BRD hört es sich so an: „Wir haben versucht, uns aus dem Angriffskrieg rauszuhalten. Jetzt ist der Krieg zu uns gekommen“ (ebenfalls Berliner Zeitung). Nachdem die deutsche Regierung unverzichtbare Beihilfe zum Angriffskrieg geleistet hat, behauptet sie jetzt, erst die kleine Gruppe von Entführern hätte Deutschland in den Konflikt hineingezogen. Damit wird das Publikum darauf vorbereitet, dass die deutsche „Aufbauhilfe“ (sprich: Besatzungsarbeit) ausgeweitet wird.

Die Kriegsgegner

Die Anti-Kriegs-Rhetorik von Schröder und Chirac wurde von der bürgerlichen Presse, ja von den meisten Menschen in Europa positiv aufgenommen. Selbst vielen IrakerInnen wurde die Illusion von den „Kriegsgegner Deutschland, Frankreich und Russland“ reingedrängt. Aber die Tatsache ist, dass diese Staaten gute wirtschaftliche Beziehungen zu Saddams Irak hatten. Wegen der Konkurrenz zu USA um das irakische Öl – nicht wegen einer prinzipiellen Ablehnung von Krieg und Besatzung! – sind sie der „Koalition der Willigen“ fernblieben. Wenn es in ihrem Interesse liegt, sind diese „Kriegsgegner“ genauso schnell bereit, ein fremdes Land zu unterwerfen: siehe den Krieg gegen Jugoslawien, die Besatzung Afghanistans usw.

Die EU-Staaten sind für die Verhältnisse im Irak mitverantwortlich. Was Osthoff erlebt ist zweifellos schrecklich, aber schrecklichere Dinge passieren unzähligen IrakerInnen jeden Tag: ein Mann wird von der Polizei verschleppt, monatelang in einem geheimen Gefängnis gehalten und gefoltert, bevor er komplett verschwindet; ein Kind wird durch Phosphor-Bomben der US-Luftwaffe lebendig verbrannt; Dutzende Menschen werden durch ein Bombenattentat auf einem öffentlichen Markt in die Luft gesprengt; mehrere Familien auf einer Hochzeitsfeier werden mit tonnenschweren Bomben getötet; ganze Städte wie Falludscha werden dem Erdboden gleichgemacht. Das ist alles Produkt der Besatzung. Selbst der von den Besatzungsmächten installierte und dann wieder gestürzte Premierminister Allawi gibt mittlerweile zu, das was Folter, Entführungen und Hinrichtungen angeht, dieses Regime das von Saddam ein- und überholt.

Die Entführer behaupten, Osthoff wäre an dem Schmuggel irakischer Kunstgüter aus dem Land beteiligt. Es ist natürlich schwer zu sagen, was irgendein Mensch im Irak macht. Den Besatzungssoldaten wird „humanitäre Arbeit“ zugeschrieben und schwer bewaffnete Söldner werden „zivile Auftragsnehmer“ genannt. In dem Kontext verbreitet sich das Gerücht, dass Osthoff eine Agentin des deutschen Geheimdienstes BND gewesen sei. Aber es scheint, als ob die Frau erst verschleppt, und die politische Rechtfertigung mit dem Schmuggel erst im Nachhinein erfunden wurde. Ihre Familie berichtet, wie sie sich über Plünderungen antiker Stätte und historischer Museen, und über die Untätigkeit der Besatzungsmächte demgegenüber, aufregte. Darüber hinaus hat sie Hilfsgüter für die Menschen im Irak gesammelt, und die Geldgier deutscher Unternehmen angeprangert: „Die Unternehmen wollen hier dicke Geschäfte machen.“

Osthof war wahrscheinlich nicht an der Besatzung beteiligt. Wahrscheinlich kann sie sogar als eine Gegnerin von dieser gezählt werden.

Die Widerstandskämpfer

Über 200.000 IrakerInnen kämpfen gegen die Besatzung. Der irakische Widerstand kämpft für das elementarste demokratische Prinzip, ohne Fremdherrschaft zu leben. Das Recht, sich mit allen möglichen Mitteln gegen die Besatzung zu wehren, muss von der Linken in allen Ländern verteidigt werden, auch wenn deshalb nicht jede einzelne Aktion verteidigt werden muss. Denn die Tötung von ZivilistInnen, die nicht in die Besatzung verstrickt sind – egal ob die Verschleppung von westlichen JournalistInnen FriedensaktivistInnen, oder Bombenattentate auf öffentlichen Plätzen – ist kontraproduktiv, weil sie die irakische Bevölkerung weiter spaltet und die Bevölkerung in den imperialistischen Ländern gegen die Aufständischen wendet.

Der deutsche Imperialismus und seine Medien arbeiten genau in diesem Sinn: die Entführung wird als Beweis angeführt, um Deutschlands Hilfe für die Besatzung nachträglich zu rechtfertigen. Auch die hier lebenden AraberInnen und Moslime werden rassistischem Druck ausgesetzt, ihre Organisationen zur Verurteilung des irakischen Widerstandes aufgefordert. Es ist daher auch die Pflicht der Linken und der Arbeiterbewegung hierzulande, nicht auf solche Propaganda reinzufallen. Es sind die imperialistischen Mächten und die US-geführte Besatzung, die letztlich für alle Gräueltaten im Land verantwortlich sind. Ohne den Abzug der Besatzungsheere kann und wird es nie Selbstbestimmung und Gerechtigkeit geben, und damit kann es auch keinen Frieden geben.

Der irakische Widerstand muss versuchen, die Unterstützung der ArbeiterInnen und Jugendliche in allen imperialistischen Ländern zu gewinnen. Wenn es große Demonstrationen gegen die Besatzung in den reichen Metropolen gibt, wird es allen IrakerInnen klar, dass nicht „die Amis“ oder „die Deutschen“ ihre Feinde sind, sondern die herrschende Klasse dieser Staaten. Damit wird den WiderstandskämpferInnen gezeigt, dass sie einen wichtigen Verbündeten im Herzen des Imperiums haben. Weil internationale Solidarität für den Irak aufgebaut werden muss, sind die Entführungen von ZivilistInnen abzulehnen.

Die Bombenattentate

Attentate gegen die schiitische Mehrheit im Land sind noch destruktiver als die Entführungen von Journalisten. Denn so lange die verschiedenen ethnischen Gruppen im Irak gegeneinander kämpfen, haben die Besatzungsmächte keine Sorgen – durch das Prinzip „Teile und Herrsche“ konnten imperialistische Mächte ein ganzes Jahrhundert lang den Irak in Abhängigkeit halten. Nur eine vereinte Widerstandsbewegung von Schiiten, Sunniten und Kurden kann die mächtigste Armee der Welt besiegen. Wenn die WiderstandskämpferInnen Unschuldige umbringen, spielt das Bush und Blair in die Hände, die permanent bemüht sind, den irakischen Widerstand als „Terroristen, die Freiheit hassen“ darzustellen.

Es gibt andere Formen des Widerstandeskampfes, über die weniger berichtet wird als die Bombenattentate: Arbeitsniederlegungen im Öl-Sektor gegen den Angriff auf Falludscha, Frauendemos im Herzen Bagdads gegen die Festschreibung von Frauenunterdrückung in der Verfassung usw. Die Bombenattentate und Entführungen gibt es nur deshalb, weil so viele andere Formen des politischen Protestes permanent unterdrückt werden.

Merkel versichert, sie wird „alles mögliche“ tun, um das Leben der Frau zu retten. Deshalb wird in der bürgerlichen Presse debattiert, ob man fürs Lösegeld aufkommen soll, wie die Regierung Berlusconis für einige italienische Geiseln gemacht hat. Nicht erwähnt wird die Möglichkeit, dass die deutsche Regierung tatsächlich jegliche Unterstützung für das Besatzungsregime einstellt.

Denn der Verzicht auf Besatzung liegt für diese Regierung jenseits des Denkbaren. Deutschland ist ein imperialistischer Staat, dessen Existenz von der Ausplünderung fremder Länder abhängt. Deutsche Konzerne brauchen ungehinderten Zugang zu Rohstoffquellen und Absatzmärkten überall auf der Welt. Deshalb wird die Bundeswehr zu einer professionellen Interventionsarmee umgebaut: um die „deutschen Interessen am Hindukusch“ (in Afghanistan) durchzusetzen. Besatzung gehört zu diesem Wirtschaftssystem wie das Wasser zum Meer. Deshalb muss der Kampf gegen die Besatzung Iraks und Afghanistans mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden.

Das Beispiel Spanien zeigt, dass eine Masenbewegung von Millionen ArbeiterInnen und Jugendlichen, eine Besatzungsmacht zum Rückzug zwingen kann. Nachdem über 90% der Bevölkerung sich gegen den Irak-Krieg geäußert hat und 20% sich an Protesten auf der Straße beteiligte, musste die spanische Armee aus dem Irak abziehen.

Die Perspektiven

Wir rufen dazu auf, den irakischen Widerstand zu unterstützen. Um gegen die Besatzung vorzugehen, kann man sich nicht auf die „Anti-Kriegs-Haltung“ von Schröder und schon gar nicht von Merkel verlassen. Es ist notwendig, die Menschen, die von der Besatzung betroffen sind und sich dagegen wehren, zu unterstützen. Dazu muss man nicht jede Tat gutheißen, und auf keinen Fall die politischen Strategien der Widerstandsgruppen billigen.

Diese haben in der Regel religiöse oder nationalistische Ideologien, die reaktionär sind und den Kampf zurückhalten. Nur wenn der irakische Widerstand von einer internationalistischen, kommunistischen Arbeiterpartei geleitet wird, können die verschiedenen ethnischen Gruppen, die Frauen, die Ölarbeiter, die Arbeitslose vereinigt werden. Nur mit einer sozialistischen Perspektive kann die Macht der internationalen und einheimischen Kapitalisten, die den Irak ausplündern, gebrochen werden. Wir können dazu beitragen, dass so eine antikapitalistische Bewegung entsteht, wenn wir jetzt den irakischen Widerstand kritisch gegen die Besatzung und „unsere“ Regierung unterstützen.

Nur der Kampf gegen den amerikanischen und den deutschen Imperialismus kann die Besatzung beenden. Nur wenn die Besatzung beendet ist, müssen ArchäologInnen aus Deutschland oder ZivilistInnen aus dem Irak nicht mehr leiden.

//Stellungnahme von REVOLUTION //5. Dezember 2005//als PDF

//abgedruckt in gekürzter Form in REVOLUTION Nr. 15

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