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Potsdam 30.10.
Nazis empfangen

//von Huey, ehemaliger Potsdamer //REVOLUTION Nr. 8

Am 30. Oktober organisierte der Hamburger Neonazi Christian Worch einen Aufmarsch durch Potsdam. 300-400 Nazis aus Berlin, Brandenburg und weiter weg – die Hälfte von ihnen im autonomen Stil mit schwarzen Kapuzenpullis und Sonnenbrillen – folgten dem Aufruf gegen „Hetze und Terror von links“.

Ziel der Nazis war die Potsdamer Innenstadt. Blöd für sie war, dass kurz nach elf Uhr die einzige Brücke, die vom Hauptbahnhof über die Spree führt, schon von etwa tausend AntifaschistInnen besetzt war.

D.h. Potsdam, wo Nazis regelmässig ImmigrantInnen und linke Jugendliche überfallen, bekam ein bisschen von dem „linken Terror“ zu spüren, von dem es trotz der Behauptungen der Nazis viel zu wenig gibt.

Doch der Nazi-Schutz-Verein (auch bekannt als Polizei) ging schnell an die Arbeit. Die Brücke sollte geräumt werden, dazu holten sie zwei riesige Wasserwerfer und einen Räumungspanzer. Jemand (wahrscheinlich ein Provokateur von den Bullen) hat eine Flasche geworfen, daraufhin haben die Bullen in die erste Reihe reingeknüppelt. Es folgten Steine, Knüppel, und ein chaotisches Nichts-wie-weg.

Die meisten DemonstrantInnen rannten zurück in die Breite Straße – die geplante Nazi-Route –, wo Barrikaden gebaut und Mülltonnen angezündet wurden. Bei einigen Banken wurden die Scheiben eingeschlagen; drei offensichtlich planlose Verkehrspolizisten wurden überfallen und ihr Wagen kaputt gemacht.

Laut Zeitungsberichten waren 4.000 Bullen aus vier Bundesländern und vom BGS unterwegs – und als wäre der braune Haufen damit nicht vollständig geschützt, waren auch eine Gruppe Offiziere der Bundeswehr anwesend – ein seltener Anblick auf Demos, da ein solcher Einsatz im Inneren gegen das Grundgesetz verstößt. Polizisten, die auf diesen Zustand aufmerksam gemacht wurden, antworteten, die haben „nur eine Ausbildung“ gemacht – aber eine Ausbildung für was? Zum Einsatz gegen antifaschistische Demos? Zum Verstoß gegen das Grundgesetz? Das ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie ernst der Staat seine „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ nimmt, wenn es um Repression gegen die Linke geht.

Obwohl die Brücke geräumt werden konnte, haben die Bullen auf eine laufende Straßenschlacht mit den sich in der Innenstadt aufhaltenden Antifas verzichtet. Den Nazis wurde eine neue Route in Babelsberg auf der östlichen Seite der Spree zugeteilt.

Als das bekannt wurde, rannten viele GegendemonstrantInnen Richtung Humboltbrücke, die nächste Brücke über die Spree. Auch diese wurde geräumt, so dass mehrere Stunden lang jeglicher Verkehr zwischen Potsdam West und Babelsberg blockiert war.

Am Ende des Tages ein ziemliches Desaster für die Nazis – trotz Tausenden von grünen „Freunden und Helfern“ konnten sie ihren geplanten Aufmarsch nicht durchsetzen.

Gut organisiert waren die GegendemonstrantInnen allerdings nicht. Statt einem kollektiven antifaschistischen Kampf gab es eher eine Mob-Mentalität. „Der eine hat eine Flasche geschmissen? Dann schmeiße ich einen Stein! Der rennt jetzt weg? Dann los!“

Diese Strategie des individuellen Radikalismus (Steine schmeissen, Dinge kaputt machen und immer schnell wegrennen, um selber nicht verhaftet zu werden) mag ganz gut funktionieren, um persönliche Frust abzuladen – als Strategie gegen einen Nazi-Aufmarsch taugt sie überhaupt nicht. Wenn Steine von den hinteren Reihen auf die ersteren geworfen werden, wenn Barrikaden hinter der Demo gebaut werden, so dass bei einem Angriff die Leute schlecht wegkommen – dass ist nicht nur dumm, sondern auch verdammt unsolidarisch gegenüber den Leuten, die nicht nach Potsdam gefahren sind, um sich aus Spaß mit den Bullen zu prügeln, sondern um den Nazi-Aufmarsch zu verhindern.

Unsere einzige Stärke bei einer solchen Konfrontation mit der Staatsgewalt ist unsere zahlenmässige Überlegenheit. Doch dieser Vorteil wird schnell vergeudet, wenn wir nicht kollektiv handeln und jeder nur das macht, was ihm gerade einfällt. Wir müssen im Voraus Taktiken planen und gemeinsam durchführen.

Zum Beispiel wäre es bei der Besetzung der Brücke effektiver gewesen, mit Menschenketten die Blockade zu halten. Damit hätten die Bullen Tausende menschliche Körper – Hunderttausende Kilos! – wegkriegen müssen. Stattdessen wurde die Situation sofort „eskaliert“, wobei die meisten DemonstrantInnen Angst bekommen haben und schnell von der Brücke abgehauen sind. Mit solchen Taktiken konnten wir die Brücke gerade mal 30 Sekunden halten!

Es gab noch blödere Aktionen, z.B. Knaller und sogar eine größere Rauchbombe wurden in die Menschenmasse hineingeworfen – von unserer Seite! Was damit erreicht werden sollte, blieb den meisten von uns verborgen: die DemonstrantInnen hielten den Rauch für Tränengas und haben sich in Sicherheit gebracht, während die Polizei die Wolke nutzte, um sich auf einen Angriff vorzubereiten. Und viele – viel zu viele! – DemonstrantInnen haben Bier getrunken; einige waren zu Beginn der Demo schon total besoffen. Wenn man einen Naziaufmarsch verhindern möchte, dann muss man zumindest einen klaren Kopf haben.

Eine Genossin von REVOLUTION aus Wien war erstaunt, dass weder Demoleitung noch Ord­­nerInnen zu sehen waren. Auf antifaschistischen Demos in Österreich organisiert das Demo-Bündnis eine Reihe von OrdnerInnen, die mit roten Armbanden die Demo leiten, Betrunkene und Agenten der Polizei aussperren, usw.

In Zukunft brauchen wir bei unseren Antifa-Demos eine vom Bündnis gewählte und handlungsfähige Leitung, die Angriffe sowie Ruckzüge im Kampf gegen die Nazis koordinieren kann, sowie OrdnerInnen, die unsere kleine antifaschistische Armee zusammenhalten.

Bilder aus Potsdam

* weitere Bilder //Red Media //ainfos.de //Indymedia

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