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Eilig entscheiden, gemächlich bereuen

Erwiderung zur Charakterisierung der PSUV

Für Permanent Revolution erklärt Stuart King, wir sollten nicht vorschnell über die Natur der PSUV urteilen (eine Antwort auf den vorigen Artikel)

Wir stimmen mit einem Großteil der Analyse des Genossen Flakin über die Natur der Regierung von Hugo Chávez überein. Doch Probleme tauchen auf, wenn der Genosse von dieser Analyse wegkommt und eine politische Charakterisierung der PSUV vornimmt. „Eine Anaylse der PSUV ist, im Gegensatz zu den meisten neuen Parteien, erstaunlich leicht: die PSUV wird unüblicherweise als Regierungspartei gegründet. Insofern muss mensch nicht darüber spekulieren, welche Politik diese Partei an der Macht betreiben würde...“

Die Annahme, dass eine Partei, die gerade eben gegründet wurde, für die sich sechs Millionen UnterstutzerInnen eingeschrieben haben, die in den letzten sechs Monaten mehr als eine Million Mitglieder in ihre Aktivitäten einbezogen hat, eine fertig geformte „Volksfront-Partei“ sei, ist extrem übereilig. Erst jetzt trifft sie sich für ihren ersten Kongress, um das Programm, die Strukturen und die Führung zu diskutieren, und es ist ein vorschnelles Urteil wenn mensch sagt, dass sie bereits der Verteidigung des Kapitalismus und der gemischten Wirtschaft verpflichtet ist.

Die PSUV wird auf der Basis überwältigend „plebejisch“ sein. Ihre organisiertesten und klassenbewusstesten Teile werden die organisierten ArbeiterInnen (UNT) und Bauern/Bäuerinnen sein, es wird tausende KooperativistInnen und KleinhändlerInnen (KleinbürgerInnen) und natürlich auch kleine und nicht so kleine UnternehmerInnen (Bourgeoise) Mitglieder werden. Politisch wollen die „ChavistInnen“ und ihre stalinistische MitläuferInnen, die die Partei dominieren werden, sicherlich dass sie eine „Volksfront-Partei“ wie die Aprista Partei oder die PRI wird. Aber es wird auch Menschen geben, die dagegen kämpfen – Teile der UNT zum Beispiel.

Es gibt drei mögliche Richtungen, wie die PSUV sich entwickeln könnte, keine davon ist festgeschrieben, alle sind vom Einfluss des Klassenkampfs und vom aktiven Eingreifen von RevolutionärInnen abhängig. Die PSUV könnte eine revolutionäre Arbeiterpartei, eine reformistische bürgerliche Arbeiterpartei (wie die brasilianische PT) oder eine radikal-nationalistische Partei (wie die Partei der mexikanischen Revolution – PRM, später PRI – in den 30er Jahren) werden.

Die unwahrscheinlichste Option ist die erste, wegen der Schwäche der revolutionären Linken und des Opportunismus gegenüber Chávez, den einige Teile der extremen Linken in Venezuela wie die IMT/El Militante verteten. Die wahrscheinlichste Entwicklung, angesichts der überwältigenden politischen Dominanz von Chávez, ist die dritte.

Der historische Kontext, in dem sich eine Partei entwickelt, ist wichtig, weshalb wir die argentinischen PeronistInnen nicht als bürgerliche Arbeiterpartei charakterisieren, obwohl sie eine Basis in der Arbeiterklasse haben und Gewerkschaften ihrer Partei angeschlossen sind. In Venezuela konnten wir eine beachtliche Periode von zugespitzten Klassenkämpfen beobachten: die vorrevolutionäre Situation um den Putsch herum, der Kampf gegen die Aussperrung durch die Bosse und der Wachstum einer neuen, massenhaften Gewerkschaftsbewegung – der UNT. Unter diesem Druck bewegte sich Chávez nach links und hat sich öffentlich zum Sozialist erklärt. Er hat entschieden, er braucht eine Massenpartei mit einer Basis in der Arbeiterklasse, die bewusst antiimperialistisch ist. Eine solche Partei wird gebraucht, um die Bevölkerung gegen Bedrohungen von innen zu mobilisieren – gegen die pro-imperialistischen und neoliberalen Oppositionsparteien – und von außen – gegen Interventionen vom US-Imperialismus und seinen AgentInnen. Er hat entschieden, dass seine eigenen Partei (die MVR) und die anderen bolivarianischen Koalitionsparteien (alle klein, und oft korrupt) diesen notwendigen Schritt nach links nicht widerspiegelten, und hat begonnen, eine neue Partei aufzubauen.

Wie interveniert mensch in diese Entwicklung? Ich würde sagen, dass alle RevolutionärInnen in Venezuela die Chance ergreifen sollten, um sich mit den Massen auseinanderzusetzen, die dieser neuen Partei beitreten und über ihr Programm und die Zukunft Venezuelas diskutieren. Wir würden sagen: „Es ist wunderbar, dass Präsident Chávez sich zum Sozialist erklärt hat, aber welche Art von Sozialismus wollen wir? Soll die neue Partei einen Kapitalismus mit gemischter Wirtschaft verteidigen, mitsamt der Ausbeutung und der Ungleichheit, die dazu gehören?“ Warum haben wir AusbeuterInnen in dieser Partei? Wir sollen für das Ende des Kapitalismus, der Ungleichheit kämpfen.“ Solche Argumente würden zweifellos auf Wiederhall an der Basis der neuen Partei stossen.

Sicherlich wurde die PSUV, im Gegensatz zur britischen Labour Party oder zur brasilianischen PT, die von unten durch SozialistInnen und GewerkschafterInnen gebildet wurden, von oben durch die Regierung initiiert, und deswegen ist es wahrscheinlicher, dass die Partei sich in die Richtung einer mexikanischen PRI oder einer an den Peronismus angelehnten Partei entwickelt. Doch das ist wieder eine Frage des Kampfes. RevolutionärInnen sollen den ArbeiterInnen in der PSUV erklären, warum das Arbeitsministerium dem Befehl der Partei und nicht die Partei dem Befehl der StaatsbürokratInnen unterliegen sollte.

Sie sollen versuchen, BefehlshaberInnen und OffizierInnen aus der Partei zu halten und stattdessen für eine Partei mit Wurzeln in den Betrieben und Stadtvierteln kämpfen – eine demokratische, Bottom-Up-Partei und keine Top-Down-Partei. Und es gibt guten Grund zu glauben, dass solche Argumente mit Wohlwollen aufgenommen würden, da die überwältigende Mehrheit der Mitglieder aus den arbeitenden Massen stammt – viele mit Erfahrungen des Kampfes gegen StaatsbürokratInnen.

Doch was ist, wenn die PSUV schnell das Programm der Chávez-Regierung übernimmt, ein Programm, das einen Kapitalismus mit gemischter Wirtschaft verteidigt, allerdings mit einem Wohlfahrtssystem der Umverteilung? Chávez wird sich bemühen, „patriotische UnternehmerInnen“ reinzuholen, die bereit sind, ein solches Programm mit zu tragen, und wird ihnen einen wichtigen Platz in der Partei zuweisen – egal ob sie sich „sozialistische KapitalistInnen“ nennen oder nicht.

Können RevolutionärInnen in einer solchen „Volksfront-Partei“ bleiben? Offensichtlich hat Trotzki keinen prinzipiellen Grund gesehen, nicht in solchen Parteien zu arbeiten, wo es möglich ist, einen Kampf zu führen, um ArbeiterInnen von solcher Klassenzusammenarbeit zu brechen – wie seine Unterstützung für den Aufbau eines „revolutionären Kerns“ in der APRA zeigt. Was er vollständig ablehnte war die opportunistische Politik, die unabhängige Tätigkeit einer kommunistischen Partei innerhalb von Volksfront-Parteien, wie Sinowjew und Stalin ab 1923 der chinesischen Partei befahlen.

Er hat die politische Logik hinter dieser Entscheidung ganz klar abgelehnt, nämlich die Idee, dass ein Chiang Kai-shek (oder ein Hugo Chávez) eine Partei anführte, in der sich alle Klassen zusammen schließen könnten um den Imperialismus zu schlagen – eine Idee, die zum Massaker an den chinesischen KommunistInnen durch die KMT im Jahr 1927 führte.

Wie wir auf unserer Website erklärt haben, waren wir gegen den Beitritt der UNT zur Partei. Orlando Chirino lag absolut richtig mit der Aussage, die UNT soll sich davor hüten, in eine staatliche gesponserte Partei einbezogen zu werden, wo der Präsident sich bereits gegen die „Autonomie“ der Gewerkschaften ausgesprochen hat. Gewerkschaften sind keine politischen Parteien und können deshalb keine politischen Kämpfe aufnehmen, die notwendigerweise von kurzer Dauer sein könnten und in Ausschlüssen münden müssten.

Nichtsdestotrotz hat die UNT im September beschlossen, der PSUV beizutreten, was Chirino in der Frage isoliert ließ. Das bedeutet, dass die große Mehrheit der militanten ArbeiterInnen und ihre Organisationen jetzt Teil der PSUV sind. Das macht es noch wichtiger, dass RevolutionärInnen neben ihnen innerhalb der Partei kämpfen. Und wie der Genosse Flakin erwähnt, ist es möglich im Moment, lose Plattformen um Zeitschriften innerhalb der PSUV zu bilden, wie die Gruppe um Stálin Pérez Borges zeigt. Wie lange dieser demokratische Raum offen bleibt, ist eine andere Frage.

Es gibt zwei Gefahren für die Linke in Venezuela: die Hauptgefahr besteht darin, in Opportunismus zu fallen, der PSUV beizutreten, sie zu einem Instrument für den Sozialismus zu erklären und zu glauben, Hugo Chávez sei der „stumpfe Gegenstand“, der mit etwas Druck von links die Massen zur Revolution führen kann. Die IMT/El Militante und die DSP (und ihre Zeitung Green Left in Australien) repräsentieren diese Tendenz.

Die zweite Gefahr ist die des Linksradikalismus, der aus der Isolation der winzigen Propagandagruppen von der Arbeiterbewegung stammt. Viele dieser Gruppen in Venezuela, die sich als AnhängerInnen Trotzkis darstellen, stehen lieber abseits der PSUV, treten mit ihren Füßen und lassen Beschimpfungen über Chávez und seine Partei los. Sie sind unfähig, Taktiken bzw. die Mitteln zu entwickeln, um die ArbeiterInnen zu erreichen, die unter dem Einfluss von Chávez stehen und glauben, dass er eine Partei aufbaut, die ein besseres Leben für arbeitende Menschen in Venezuela schaffen kann. Eine Gruppe, die diese ArbeiterInnen mittels der Einheitsfront (innerhalb und außerhalb der PSUV) nicht erreichen kann, wird für die Venezolanische Arbeiterklasse nutzlos sein.

//von Stuart King, Permanent Revolution

//Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in englischer Sprache im Journal „Permanent Revolution“, Nr. 7, Winter 2007 //Übersetzung: Revo Berlin

//aus der Broschüre "Wohin geht Venezuela?"

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