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Infokasten: Die (Un-)Bildung des Bologna-Plans Während in Deutschland die Debatte über die Lebensfähigkeit des gesamten Bildungssystems nicht neu ist und viele sich kritisch mit dem Bildungssystem als selektiv und elitär auseinandersetzen, herrschte in den Mittelschichten stets ein Konsens, der die Hochschulbildung als Ort der „intellektuellen Debatte“ und der „Selbsterkenntnis“ idealisierte. Die schreckliche Zerstörung der Produktivkräfte nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wiederaufbau des kapitalistischen Marktes in den Jahren danach führten zur Notwendigkeit, einen großen Pool von hoch qualifizierten ArbeiterInnen, TechnikerInnen und Verwaltungsangestellten auszubilden. Das war der Hintergrund der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre in der BRD. Heute geht diese Art der Universität für größere Massen nicht mehr überein mit den Interessen der Unternehmen: Es werden zwar hochspezialisierte Elitemenschen gebraucht, aber eben nicht mehr in der Masse. Die Universitäten erschaffen eine Anzahl an AbsolventInnen, die der Arbeitsmarkt einfach nicht mehr aufnehmen kann. Deshalb ist es aus Sicht der Bourgeoisie notwendig, die Spielregeln der (Un-)Bildung neu zu definieren. „Der Diskurs über die Förderung des kulturellen Austauschs zwischen den jeweiligen Ländern der Europäischen Union, der durch die Mobilität von Studierenden an europäischen Hochschulen gefördert werden solle, verdeckt die Realität. Obwohl immer noch ein Teil der Befugnisse im Bildungssektor auf nationaler [oder gar, wie im Falle Deutschlands, auf Landesebene liegt – hierbei liegt die Bildungspolitik in der Verantwortung eines jeden Bundeslandes, AdÜ] ist die Bildungs- und Ausbildungspolitik ein Schlüssel der unternehmerInnenfreundlichen Politik der EU, um die Reform des Arbeitsmarktes voranzutreiben und qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, deren Wettbewerbsfähigkeit die anderer imperialistischer Pole übersteigt. Dementsprechend formulierte Mario Monti, [ehemaliger, AdÜ.] europäischer Kommissar für den Wettbewerb, dass ‚die Wichtigkeit des Humankapitals, der Bildung und Forschung immer offensichtlicher wird‘. Die Worte Janez Potocniks, [ehemaliger, AdÜ.] europäischer Kommissar für Forschung, lassen keinen Grund zu zweifeln: ‚Die Schaffung von Wissen durch Forschung, seine Verbreitung durch Innovation, seine Vermittlung durch Bildung müssen von jetzt an die drei Pfeiler sein, auf die wir uns stützen müssen, um Europa sowohl kurz- als auch langfristig in eine dynamische und wettbewerbsfähige Gesellschaft und Wirtschaft zu verwandeln‘. Die Bildungspolitik ist eine zentrale Variante der strukturellen Reformen, die von der EU gefordert und von den verschiedenen nationalen Regierungen umgesetzt werden. Die als Bologna-Prozess (Vereinheitlichung der Hochschulreformen von LMD (Lyzeum, Master und Doktorat)) und Brügge-Kopenhagen-Prozess (Vereinheitlichung des Sektors der beruflichen Bildung) bekannten Reformen sind eng mit der Lissabon-Agenda und der ‚europäischen Beschäftigungsstrategie‘ verbunden, die in Amsterdam im Jahre 1997 definiert wurden. Diese sind Bildungsreformen, die im Zuge der verschiedenen EU-Regierungen Bildung zunehmend ‚privatisieren‘ und die Erhöhung der Studiengebühren einfordern, während elitäre Bildungszentren aufgebaut werden, die durch ein Netz von Primär- und Sekundärbildung begleitet werden, das zunehmend an den Bedürfnissen nationaler Bourgeoisien ausgerichtet ist. Neben dem offiziellen Diskurs, der die EU durch Bildungs- und Kulturaustausch zunehmend ‚zu europäisieren‘ versucht, ist das Ziel der Bologna- und Brügge-Kopenhagen-Prozesse jedoch eigentlich die Koordinierung der Bildungs- und Ausbildungspolitik für eine bessere Verknüpfung dieser mit den Bedürfnissen der Reformen des europäischen Arbeitsmarktes. Somit zielt man auf eine Erhöhung der Mobilität der Arbeitskraft durch eine stetige Weiterbildung der Lohnabhängigen entsprechend den wechselnden Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes, welcher sich wiederum in einer fortwährenden Flexibilisierung befindet.“ [1] Die Aus- und Weiterbildung sowie die Arbeitsmarktpolitik mit den Bedürfnissen der Wirtschaft auf europäischer Ebene zu verbinden, war notwendig, um den Hindernissen, die mit nationalen Vorschriften verbunden sein könnten, ein Ende zu setzen. So wurden Dienstleistungsliberalisierungen vereinbart, um Verordnungen, die den Handel mit diesen Waren behindern, zu beseitigen. Diese Liberalisierungen sind im „Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS, General Agreement on Trade in Services) und im Vertrag der „Welthandelsorganisation“ (WTO, World Trade Organization) festgelegt. „Im Jahr 2000 begann die Neuverhandlung des GATS. Neben der grenzüberschreitenden Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen im privaten Sektor erstrecken sich die Vollmachten mittlerweile auf Dienstleistungen, die bis vor kurzem noch Staatseigentum waren, wie Gesundheit und Bildung. Nach dem Grundsatz der ‚offenen Märkte‘ sind die BildungsanbieterInnen dafür verantwortlich, ihre Dienstleistungen ohne Barrieren jeder Art anzubieten, Gründung von Firmen und Niederlassungen in anderen Ländern eingeschlossen. Den Unternehmen, sowohl inländischen als auch ausländischen, werden die gleichen Rechte gewährt, so dass staatliche Zuschüsse nur gestattet sind, wenn sie für alle AnbieterInnen angeboten werden, unabhängig davon, ob es sich um ein transnationales Bildungsunternehmen oder eine Dorfschule handelt. Es wird kaum noch Bildungseinrichtungen geben, die nicht nach Profit handeln, während diese Unternehmen nur ihrem eigenen Gewinn und nicht einem sozialen Nutzen verpflichtet sind.“ [2] So wird dies die soziale Auslese im Bildungssystem verstärken, was bedeutet: ein Minimum an Schulunterricht für Kinder der (ausländischen) ArbeiterInnen auf der einen Seite und die Förderung von Elite-Kindern der Bourgeoisie und der wohlhabenden Mittelschicht auf der anderen Seite. In diesem Sinne bedeutet die Vereinheitlichung der akademischen Qualifikationen letztendlich den ersten Schritt für die Entstehung eines europäischen Bildungsmarktes, in dem auch andere imperialistische Mächte wie die USA mit ihren Produkten beteiligt werden können. So wird auch versucht, den direkten Zugang von (Groß-)Unternehmen zum Bildungswesen zu gewährleisten – mit anderen Worten, es zu einem Objekt der Kapitalverwertung zu machen. Kein Wunder, dass es in den letzten Jahren einen regelrechten Boom im privaten Bildungssektor gab: Elite-Kindergärten, Frühförderung, Elite-Internate, Privatschulen und -universitäten usw. Und da wo die Marktlogik herrscht, müssen die Lohnabhängigen für die Zeche zahlen. So sind an deutschen Hochschulen befristete Arbeitsverträge für die meisten nicht-professoralen WissenschaftlerInnen die Regel. Die überwältigende Mehrheit der Stellen an Universitäten wird auf Teilzeit- bzw. Honorarvertragsbasis beschäftigt. Dabei besteht logischerweise kein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder auf Urlaub. Den bei Festanstellungen üblichen Anteil an der Sozialversicherung seitens des Unternehmens (bzw. der Universität) gibt es für sie nicht. Honorarkräfte müssen außerdem eine unentgeltliche Vorbereitung von Seminaren, Korrekturen von Hausarbeiten, Beratungsgespräche mit StudentInnen, organisatorische Arbeiten und sogar Prüfungen ableisten. Mit anderen Worten, rund die Hälfte der Arbeitszeit wird nicht bezahlt. Auch das Schulwesen muss sich der Verwertungslogik unterwerfen: „Seit 1996 ist die Zahl privater Schulen unter den allgemein bildenden Schulen von 2.200 auf über 3.000 gestiegen. An ihnen werden jetzt fünf Prozent der Schüler unterrichtet, eine Zunahme um 40 Prozent verglichen mit einem Rückgang um neun Prozent an den öffentlichen Schulen. Zu den privaten Schulen zählen sowohl konfessionell gebundene Gymnasien, die in diesem Bereich den Großteil der Privatschüler aufnehmen, als auch gemeinnützige Einrichtungen wie die Waldorfschulen. In den letzten Jahren sind dann zunehmend (mehr oder minder teure) Internate sowie erstmals auch auf Gewinn ausgerichtete Bildungsinstitutionen wie die PHORMS-Kette dazugekommen.“ [3] Aber auch das Outsourcing von Arbeitsbereichen wie Mensen, Reinigung oder Gebäudeschutz ist zu beobachten. Letzteres hat auch zu globaler Spekulation geführt, wie am Beispiel der Universitäten Stanford, Yale und Harvard, die Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisteten, deutlich wird, die in der Finanzkrise schwer durch den Verlust von rund einem Drittel ihres Kapitals getroffen wurden. Für die bürgerlichen IdeologInnen und WortführerInnen Deutschlands ist das Problem, dass „deutsche Universitäten (...) sich zu wenig dem Wettbewerb [stellen], zu selten unternehmerisch geführt [werden]. Gegenüber Partnern aus der Wirtschaft gibt es an den deutschen Hochschulen in der Regel noch immer viele Berührungsängste. Selbstverständlich gilt es, Unabhängigkeit und Forschungsfreiheit zu bewahren. Doch würde niemand der Stanford-Universität unterstellen, diese Werte zu gefährden, nur weil die Hochschule Partnerschaften dort eingeht, wo sie sie finden kann.“ [4] „Dies bedeutet nicht, dass diese Politik der Koordinierung der Bildungsstrategien, der Ausbildung und Forschung nicht mit strukturellen Widersprüchen konfrontiert ist. Die zunehmende Entfremdung der staatlichen Bildungssysteme – und die damit verbundene Verringerung der Zahl der BeamtInnen, LehrerInnen und des Nicht-Lehrpersonals, die Verschlechterung der Bedingungen für die Studierenden, usw. – widerspricht den Empfehlungen der Kommission zu einem stärkeren Engagement in Bezug auf den Staatshaushalt im Bereich der Ausbildung, Forschung und Entwicklung, die wiederum Konflikte mit den Maastricht-Kriterien für öffentliche Defizite bedeuten. Das Gleiche gilt im Bereich der Wirtschaft bei dem Versuch, hochkonzentrierte Industriezonen mit hoher Konkurrenzfähigkeit zu erschaffen. Die EU-KommissarInnen selbst, HüterInnen der Maastrichter Orthodoxie, merken jedoch, dass es im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung an staatlichen Investitionen fehlt. Dies ist nur einer von vielen Widersprüchen, die in den Ländern der Europäischen Union und ihrer strengen Sparpolitik auftreten, welche die VertreterInnen der Bourgeoisie selbst anprangern, um eine Rückkehr zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik zu fordern.“ [5] Der Bologna-Plan findet also als Teil eines großangelegten Angriffs des Kapitals gegen die Arbeit zur Senkung von Produktionskosten statt – durch die Ausbildung einer Masse von qualifizierten aber billigen Arbeitskräften (die Bachelor-AbsolventInnen). Studiengebühren und unbezahlte Pflichtpraktika sind in diesem Sinne nur der Anfang. Zusätzlich führt der massive Leistungsdruck auch zu einer Abnahme von politischer Aktivität – wenn auch vielleicht nicht direkt beabsichtigt, ist das zumindest ein nettes Nebenprodukt für die herrschende Klasse. „Durch die Privatisierungswelle offenbart sich die wahre Funktion der Universität im Kapitalismus: ein Ort der sozialen Anhäufung von Wissen, ähnlich wie Unternehmen, die die Akkumulation des gesellschaftlichen Reichtums sind. Dieser Reichtum, auch hinsichtlich der Produktion von Wissen, umfasst nicht diejenigen, die ihn erschaffen, sondern nur eine kleine Minderheit der KapitalistInnen gegen die breite Masse der ArbeiterInnen oder Studierenden. Dies bedeutet, dass das, was an den Universitäten gelehrt wird, nicht im Interesse der Studierenden gelernt und zur Verfügung gestellt wird, und auch nicht im Interesse derer, die die Gesellschaft erhalten, der ArbeiterInnenklasse.“ [6] //aus der Broschüre "Der Bildungsstreik"
Fußnoten 1. La Unidad de Europa y los marxistas revolucionarios. La lucha por los Estados Unidos Socialistas de Europa. Revista Estrategia Internacional Nr. 22 vom November 2005. S. 141-142. Eigene Übersetzung. 2. Wir zahlen nicht für Eure Krise – Auf zum Bildungstreik 2009! Aufruf der Trotzkistischen Fraktion und unabhängigen Studierenden. 18. Juni 2009. 3. Michael Hartmann: Soziale Spaltung der Gesellschaft wächst. Erziehung und Wissenschaft 7-8/2009. 4. Die innovative Gesellschaft. FAZ-Archiv. 8. Januar 2004. 5. La Unidad de Europa. S. 141-142 6. Ebd. |
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