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Freie Uni kampfbereit

Berliner StudentInnen bereiten ein „Protestsemester“ vor

„Gemeinsam werden wir die Uni bewegen!“ Seit zwei Wochen hängen rote Plakate überall auf der Freien Universität (FU) in Berlin-Dahlem, um für den uniweiten Aktionstag am gestrigen Donnerstag zu mobilisieren. Ein breites Bündnis von StudentInnen hatten den Aktionstag organisiert, um gegen die „Ökonomisierung des Studiums“ zu protestieren. Die FU wurde letztes Jahr zur „exzellenten Universität“ gekürt, und das bedeutet für die Studierenden wachsenden Leistungsdruck. Zum Beispiel gehört die Teilnahme an unbezahlten Praktiken zur Studienordnung bei den meisten Bachelor-Studiengängen.

Die Universitätsleitung unter Präsident Dieter Lenzen treibt diese Ökonomisierung bewusst voran. Zu ihren umstrittensten Vorhaben gehört der Plan, mehrere sozialwissenschaftliche Bibliotheken mit der zentralen Universitätsbibliothek (UB) zusammenzulegen. Dafür hat die UB kaum Platz, und deswegen sollen etwa 300.000 Büchern „aussortiert“, also aus den Beständen entfernt werden.

„Katastrophale Lehrbedingungen“ haben Sara, eine Studentin der Politikwissenschaften, zum Protest bewegt: an der FU gibt es „überfüllte Seminare und Dozenten, die keine Zeit für die Betreuung der Studierenden haben.“ Durch die Umorientierung der Universität auf Forschung, zum immer größeren Teil für privatwirtschaftliche Zwecke, bleibt die Lehre zunehmend auf der Strecke.

Dezentrale Aktionen

Am Anfang des Aktionstages liefen verschiedene, subversive Mobilisierungsaktionen. Die Furcht vor Aktionen war so groß, dass mehrere Bibliotheken geschlossen und von der Berliner Polizei abgeriegelt wurden. In verschiedenen Gebäuden sassen verblüffend auffällige Zivilpolizisten, die das Geschehen beobachtet haben.

Der „Dieter-Lenzen-Fanclub“ ließ in verschiedenen Lehrveranstaltungen Luftballons steigen, um den marktwirtschaftlichen Umbau der Universität zu bejubeln. Sie trugen Porträts des unter den Studierenden eher unpopulären Universitätspräsidenten Lenzen durch die Fluren und riefen: „Hoch die Neoliberale Flexibilität!“.

Mitglieder der Revolutionären Liste sorgten für Empörung, als sie einige Dutzend Seminare unterbrachen, um im Namen der Universitätsleitung die Einführung von allgemeinen Studiengebühren bereits im kommenden Semester anzukündigen. Die Reaktionen in den verschiedenen Seminaren waren sehr unterschiedlich: manche Studierende entzifferten den Witz und jubelten, aber manche haben die Ankündigung ernst genommen und beschimpften die schick angezogenen „VertreterInnen des akademischen Senats“, als sie den Brief vorlasen. „Du brauchst dir echt nur ein Jackett anzuziehen und sie kaufen dir alles ab!“ kommentierte ein Aktivist die Aktion.

VV und Demo

Um 14 Uhr fand eine Vollversammlung mit über 400 StudentInnen statt, um einen Austausch zu ermöglichen und das weitere Vorgehen zu planen. Aber die VV musste natürlich auch mit einem Theaterstück beginnen, und so zogen junge Männer in schwarzen Anzügen – der „Dieter-Lenzen-Fanclub“ – erklärten sie die Situation auf der FU aus Sicht des Präsidiums: unter den Studierenden gäbe es nur 2% Elite, dann etwa 38% „ernsthafte Bachelor- und MasterstudentInnen“, und der Rest – satte 60% – sogenannte „TrittbrettfahrerInnen“, die möglichst schnell zu entfernen seien. Damit begründeten sie ihre programmatischen Ziele: „Für Elite, Wettbewerbsfähigkeit und den Börsengang der FU!“

Zum eigentlich Beginn der VV gab es ein offenes Forum, um die Beschwerden der Studierenden zu sammeln: Diese reichten von den kleinen, alltäglichen Sachen wie Anwesenheitslisten und überfüllten Seminaren bis zu Schliessungen von Bibliotheken und ganzen Instituten.

Alle waren sich einig, dass solche Probleme auf die Umstrukturierung der FU als „Elite-Uni“ zurückzuführen sind. Aber RednerInnen der Revolutionären Liste machten auch klar, dass die deutschen Universitäten jetzt schon nur für eine relativ kleine Elite zugänglich sind – nur nur etwa 15% der Studierenden kommen aus Arbeiterfamilien. Die Studierenden sollten deswegen nicht nur für bessere Bildung für sich selbst kämpfen, sondern für das Recht auf Bildung für alle Menschen, die aufgrund der sozialen Selektion im deutschen Bildungssystem gar nicht erst studieren dürfen.

Schliesslich ging die Diskussion vom „Was“ zum „Wie“: Das Sommersemester 2008 wurde von der überwältigenden Mehrheit zum „Protestsemester“ gekürt. Gleich am Anfang des Semesters soll eine weitere Vollversammlung stattfinden, um die Möglichkeit von Protesten einschliesslich eines Streiks zu diskutieren. Außerdem beschliessen die StudentInnen, sich mit den Beschäftigten bei Nokia in Bochum solidarisch zu erklären, deren Werk geschlossen wird.

Im Anschluss gab es eine Demonstration mit etwa 400 TeilnehmerInnen durch das Universitätsgelände in Dahlem. Auf dem Weg wurden StudentInnen, die in Seminaren am Institut für Wirtschaftswissenschaften saßen, durch die Fenster zum Mitmachen aufgefordert.

Um den Tag abzuschliessen, gab es Vokü, Getränke und Musik in einem studentischen Café. Die politischen Diskussionen liefen stundenlang, doch gegen 22 Uhr verbreitete sich die Meldung, dass die BVG-Arbeiter­Innen ab 0:00 in den Streik treten sollten. Mensch fühlte sich recht solidarisch, müsste sich aber trotzdem beeilen, um den letzten Zug zu erwischen – sonst drohte eine einsame Nacht im abgeschnittenen Dahlem.

Wie geht‘s weiter?

Der uniweite Aktionstag war insgesamt ein Erfolg. Die Vollversammlung war überraschend groß – mit 400 TeilnehmerInnen etwa doppelt so groß wie die größte VV im letzten Jahr. Noch ist es eine kleine, politisierte Minderheit von einigen hundert Studierenden, die an solchen Aktionstagen teilnimmt. Aber so bald dynamischere Kampfformen wie Streiks in Gang kommen, werden weitere Tausende zweifellos dazu kommen.

Jetzt ist es wichtig, dass die Vollversammlung im April gut vorbereitet wird. Wir brauchen mehr als eine Beschwerderunde – wir brauchen einen konkreten Aktionsplan für Widerstand innerhalb und vor allem außerhalb der Universität! Es gab viel Applaus für einen Redebeitrag, der auf die Notwendigkeit von gemeinsamen Protestaktionen von Studierenden mit SchülerInnen, Azubis, ArbeiterInnen, Arbeitslosen und MigrantInnen hinwies. Um die Forderungen der StudentInnen durchzusetzen, muss diese Perspektive der Solidarität in der Praxis umgesetzt werden.

//von Wladek, Revo Berlin //REVOLUTION Nr. 28

//Original: http://de.indymedia.org/2008/02/206959.shtml

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