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90 Jahre Russische Revolution: Teil 2

Die Aprilthesen

Im April beschliessen die Bolschewiki einen Fahrplan der Revolution

Die russische Revolution hatte im Februar 1917 begonnen, aber im April war nicht klar, wie sie enden würde. Sowohl die bürgerlichen Politiker als auch die reformistischen Parteien der Menschewiki und Sozialrevolutionäre wollten eine demokratische Republik, also eine kapitalistische Staatsform, als logischen nächsten Schritt nach dem Sturz der Monarchie. Doch im April stellte die revolutionäre Partei der Bolschewiki eine sozialistische Arbeiterrepublik als Ziel der Revolution auf.

Der Sturz des Zaren

Beim Aufstand im Februar, der die Diktatur des Zaren stürzte, spielten bolschewistische ArbeiterInnen eine zentrale Rolle, aber sie hatten keine festen Strukturen. Die bedeutendsten Köpfe der Partei waren im Exil, im Gefängnis oder in der Verbannung. Den Bolschewiki fehlte vor allem eine klare Perspektive für die Revolution. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre hatten die Theorie, dass auf die Monarchie zwangsläufig eine bürgerliche Demokratie folgen müsste, damit in den nächsten Jahrzehnten der Sozialismus durch Reformen eingeführt werden könnte. Deswegen verschenkten sie die Revolution im Februar an das bürgerliche Parlament.

Die Bolschewiki hatten schon erkannt, dass der Sozialismus nur durch eine weltweite proletarische Revolution entstehen könnte. Aber auch ein Großteil von ihnen hielt das rückständige Russland für unreif für den Sozialismus. Für diese Bolschewiki sollte die Revolution ebenfalls zur Schaffung einer bürgerlichen Republik führen – aber es gab großen Streit innerhalb der Partei darüber, ob diese Aufgabe der bürgerlichen Regierung überlassen werden sollte oder ob die ArbeiterInnen den Kampf für die bürgerliche Republik führen müssten.

Leo Trotzki, ein junger Revolutionär, der mit einer kleinen Gruppe vergeblich versuchte, die Menschewiki und die Bolschewiki zu versöhnen, hatte als Lehre aus der russischen Revolution von 1905 eine andere Theorie entwickelt: Weil die ArbeiterInnen die Revolution führen und am Ende selbst die Macht übernehmen müssten, könnten sie keineswegs bei einer kapitalistischen Ordnung stehen bleiben. Sie müssten ihre eigenen sozialistischen Forderungen umsetzen. Die Revolution sollte direkt von einer bürgerlichen in eine sozialistische übergehen – er nannte das eine „permanente Revolution“.

Der Grundlage der Theorie wurde bestätigt, denn die ArbeiterInnen trieben die russische Revolution voran, während die Parteien der KapitalistInnen zögerten und am Zaren hängenblieben. Aber würde es möglich sein, im Agrarland Russland eine sozialistische Ordnung aufzubauen?

Die Rückkehr Lenins

Am 3. April (nach unserem Kalender der 16. April) kam die wichtigste Führungsfigur der Bolschewiki, Wladimir Illitsch Lenin, in Petrograd an. Er kam aus dem Schweizer Exil in einem eisernen Zug, den der deutsche Generalstab zur Verfügung gestellt hatte. Die kaiserlichen Militärs hofften, die Agitation der russischen RevolutionärInnen würde die russische Armee noch schneller zusammenbrechen lassen.

Manche KritikerInnen der Bolschewiki behaupten deswegen, die ganze Oktoberrevolution sei nur ein von Kaiser Wilhelm finanzierter Putsch gewesen. Aber die russische Revolution und die von ihr inspirierten Arbeiter­aufstände in Deutschland haben letztendlich die kaiserliche Ordnung gestürzt – schliesslich schrieb der deutsche Generalstabschef in seinen Memoiren, diese Unterstützung für Lenin sei der grösste Fehler seines Lebens gewesen.

Als Lenin ankam, dachte auch die Mehrheit der bolschewistischen Führung, sie müssten die bürgerliche Revolution in Russland verteidigen, was nichts anderes hätte bedeuten können als den verheerenden Krieg gegen Deutschland fortzusetzen. Die bolschewistischen Arbeiter­Innen und Soldaten wollten weder den Krieg fortführen noch sich der Führung der kapitalistischen Parteien unterwerfen, aber sie sahen keine konkrete Alternative. Schließlich konnten sich Stalin die „alte Garde“ der Bolschewiki auf das traditionelle Parteiprogramm berufen.

Eine Revolution in Permanenz

Direkt nach seiner Ankunft stellte Lenin eine ganze andere Perspektive und eine radikale Änderung des Parteiprogramms auf. Seine Thesen über „die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution” erklärten den Sozialismus zum Ziel. Die aufständischen Massen durften die bürgerliche Regierung und ihren desaströsen Raubkrieg nicht unterstützen. Der Krieg war ein Produkt des kapitalistischen Systems und konnte nur durch den Sturz des Kapitalismus beendet werden.

Die Aufgaben einer bürgerlichen Revolution (etwa die Abschaffung des Adels, die Trennung von Staat und Kirche, die Verteilung des Landes an die Bauern/Bäuerinnen, ein Parlament, eine Verfassung, bürgerliche Freiheiten usw. usf. – das sind alles Aufgaben, die die Bourgeoisie selbst erfüllen sollte, wie in der französischen Revolution) konnten nicht von der russischen Bourgeoisie durchgesetzt werden. Sie wusste: wenn sie eine revolutionäre Bewegung vom Zaun brechen würde, wäre ihre eigene Herrschaft bald in Gefahr.

Um die Revolution fortzuführen, mussten die Arbeiter- und Bauernräte (auf Russisch: Sowjets) ihre eigene Herrschaft in Form einer Arbeiterrepublik mit Rätedemokratie durchsetzen. Zentral in Lenins Thesen war die „Abschaffung der Polizei, der Armee, des Beamtentums, d.h. Ersetzung des stehenden Heeres durch die allgemeine Bewaffnung des Volkes“. Die Sowjets sollten nicht den bestehenden Staat beeinflussen, kontrollieren, oder übernehmen, sondern zerschlagen und einen Arbeiterstaat nach dem Vorbild der Pariser Kommune aufbauen.

Das Problem, dass Russland so rückständig war, konnte dadurch überwunden werden, dass die sozialistische Revolution sich rasch (oder: permanent) auf Industrieländer wie Deutschland ausdehnen würde. „Das russische Proletariat darf nicht vergessen, dass seine Revolution Teil einer weltweiten revolutionären Bewegung ist“ erklärte Lenin dazu.

Diese Thesen wurden auf einer Konferenz Anfang April debattiert und schließlich beschlossen. Damit hatten die Bolschewiki weitgehend Trotzkis Theorie der permanenten Revolution übernommen und die Grundlage für eine Fusion mit seiner Gruppe war gegeben.

Das Funktionieren der Bolschewiki

Diese Änderung der Perspektive der Bolschewiki macht ihre Funktionsweise als revolutionäre Partei klar. Die Partei wurde nicht einfach von Lenin herumbefohlen, sondern er musste für eine Mehrheit für seine Politik kämpfen. Er konnte diese Abstimmung gewinnen, weil seine Perspektive den Erfahrungen der bolschewistischen ArbeiterInnen entsprach.

Die Bolschewiki blieben also nicht bei einer „unfehlbaren” Parteilinie, sondern waren auch bereit, drastische Änderungen vorzunehmen, als der Klassenkampf sie vor neue Herausforderungen stellte. Sie hatten keine allmächtige Führung, sondern die Basis konnte die Politik der Partei bestimmen. Deswegen waren die Bolschewiki in der Lage, später eine führende Rolle in der Revolution zu spielen.

Aber noch waren sie eine kleine Partei ohne nennenswerten Einfluss in den Sowjets. Sie hatten nun das Ziel der Rätemacht, aber um das zu verwirklichen, mussten sie die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen. Dazu waren langwierige Überzeugungsarbeit, eigene Erfahrungen der Massen und auch harte Rückschläge der Reaktion nötig. Es sollte rund sechs Monate dauern. Denn die Aprilthesen zeigten lediglich den Weg – es dauerte bis Oktober, bis dieser Weg eingeschlagen werden konnte.

//von Wladek aus Kreuzberg //REVOLUTION Nr. 24

//die Revolution ging nach April weiter – diese Serie auch

//„Die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution“

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