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Klassen-Kampf in Berlin-Mitte Gegen den Bildungsnotstand in der Hauptstadt traten etwa 10.000 SchülerInnen in den Streik Noch am Abend vor dem Schülerstreik gingen die OrganisatorInnen davon aus, dass 1.000 bis 2.000 SchülerInnen sich beteiligen würden. Doch am Mittwoch, den 13.9., um 10 Uhr versammelten sich rund 10.000 SchülerInnen aus ganz Berlin vor dem Roten Rathaus, um gegen Bildungsabbau zu demonstrieren. Von dort aus ging eine lautstarke Demonstration in einem Kreis durch die Innenstadt. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!” – diese Parole, die 1000fach skandiert wurde, beschrieb die Protestaktion ganz gut. Die SchülerInnen forderten aber nicht nur „Bildung für alle, und zwar umsonst!”, sondern stellten sich konkret gegen die Streichung der Lernmittelfreiheit, Stundenausfall und Lehrermangel, sowie gegen die drohende Einführung von Studiengebühren. Die Mobilisierung lief trotz unzähliger Repressionsmaßnahmen durch die Schulleitungen und -behörden. Streikwilligen SchülerInnen wurde mit unentschuldigten Fehltagen, Tadeln, Nachsitzen, ja sogar mit dem Abschliessen der Klassenzimmer gedroht. An der Schiller-Oberschule in Charlottenburg wurde die neuste Ausgabe der Schülerzeitung verboten, weil sie zum Streik aufrief. Stimmen von oben... Sich durch eine Demo während der Unterrichtszeit das Recht auf Bildung zu nehmen, ist paradox. Es deutet auf den Wahlkampf-Charakter der Veranstaltung hin. Jens Stiller, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Bildung Auch vor Verleumdungen schreckten die Schulleitungen nicht zurück: so hieß es von der Schulleitung des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums in Pankow, den Flugblättern der Schülerinitiative seien „keine erkennbaren Forderungen zu entnehmen”. Überhaupt wurde behauptet, dass es sich bei dieser angemeldeten politischen Demonstration „nicht um eine legale Handlung handelt”. Am Tag der Demonstration behaupteten oder implizierten verschiedene Schulleitungen, die Schülerdemo sei von Rechtsradikalen organisiert. Doch solche Drohungen konnten den Streik nicht aufhalten. Die Losung auf einem gelben Transparent brachte es auf den Punkt: „Was ist ein Fehltag gegen unsere Zukunft?” Die Mobilisierung Die Mobilisierung lief über spontan gebildete Strukturen an den Schulen. An vielen Schulen bildeten sich Streikkomitees, die die Mobilisierung vor Ort organisierten. Nur so erklärt sich der große Erfolg des Streiks: die Selbstorganisierung der SchülerInnen [sie Kasten]. So nahm ein Vertreter von REVOLUTION an einer Schülerversammlung am Coppi-Gymnasium in Lichtenberg teil. Die beantragte Schülerversammlung wurde untersagt, und so wurden die SchülerInnen in der Pause auf dem Hof versammelt. Alex aus der 12. Klasse sprang auf die Tischtennisplatte und rief den über hundert interessierten SchülerInnen zu: „Es geht uns nicht darum, die Schule zu schwänzen. Wir wollen zeigen, dass wir die Kürzungen an unseren Schulen nicht mehr hinnehmen werden!“ Der Revo-Aktivst erklärte, am Beispiel der Jugendproteste in Frankreich, dass Jugendproteste durchaus Wirkung haben können. Stimmen von unten... Wir haben gezeigt, dass wir den Schulbetrieb lahmlegen können. Wenn wir mit den ArbeiterInnen zusammen kämpfen, könnnen wir diese gesamte Stadt lahmlegen! Jakob, Sprecher des Streikkomitees an der John-Lennon-Schule Am Streiktag gab es mehrere Spontandemos von verschiedenen Bezirken zum Alex. Vom U-Bhf Eberswalder Straße liefen SchülerInnen aus Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee die Kastanienallee herunter – fast 800 waren dabei. Auch vom Kottbusser Tor kam eine Zufuhrdemo mit sehr vielen Haupt- und RealschülerInnen aus den Bezirken Kreuzberg und Neukölln. In den Wochen vor dem Streik wurde innerhalb des Bündnisses die Angst geäußert, dass der Ausstand zu einer „reinen Gymnasiastenveranstaltung” werden könnte – tatsächlich waren fast alle AktivistInnen GymnasialschülerInnen (bzw. ehemalige). Dass einige StreikaktivistInnen geschwänzt haben und tagelang durch Haupt- und Realschulen gezogen sind, um dort für den Streik zu werben, hat offenbar Wirkung gezeigt. Die Haupt- und Realschulen Zu den Forderungen des Bündnisses gehörte eben die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Viele GymnasiastInnen, die sich im allgemein gegen Bildungsabbau ausgesprochen haben, wandten sich entschieden gegen diese Forderung – auch Schulleitungen haben die Schülerinitiative so darstellt, als wollten sie „das Gymnasium abschaffen und euch alle auf die Hauptschule schicken”, um SchülerInnen vom Streik abzuhalten. Doch auf der Demonstration selbst konnte das gemeinsame Interesse aller SchülerInnen an der Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems gezeigt werden. Diese Überwindung tiefgehender Spaltungen war etwas wirklich Wunderbares an der Aktion: denn der Kapitalismus kann den zukünftigen BildungsbürgerInnen vom Gymnasium eine gewisse Integration anbieten – für HauptschülerInnen kann das System weder einen Ausbildungsplatz noch einen Job noch überhaupt eine Perspektive vorweisen. Wenn diese sich zu organisieren beginnen, ist das für die Herrschenden wirklich gefährlich. Die Demonstration Die Demonstration lief zwei Stunden durch den Bezirk Mitte – die Sonne schien und die Stimmung war sehr kämpferisch. Zwischendurch gab es drei Festnahmen, weil SchülerInnen die Wahlplakate der rechtsextremen NPD (aber auch von Parteien, die direkt für Bildungsabbau verantwortlich sind) entfernt haben. Der Demozug kam wieder an dem Roten Rathaus an, wo es Auftritte vom trotzkistischen MC aus Hamburg Holger Burner und der Latinska-Band aus Berlin Juanimashi sowie eine Solidaritätsdelegation der streikenden ArbeiterInnen an der Charité gab. Gegen 17 Uhr stellte die Polizei willkürlich fest, dass die Kundgebung keine politische Veranstaltung sei – und das trotz der vielen Redebeiträge, Transparente, Schilder, usw. „Sie wollen unsere Forderungen nicht hören, deshalb tun sie so, als hätten wir keine!” rief ein Organisator aus Protest. Doch als die Polizei mit der gewaltsamen Auflösung der Demo drohte – die berühmtberüchtigen Prügeleinheiten 22 und 23 standen schon bereit –, musste der groß angekündigte Auftritt der Skaband Tiefenrausch abgesagt werden. Danach wurde versucht, eine Spontandemo gegen diese Einschränkung des Demonstrationsrechts an der Weltzeituhr durchzuführen. Die Versammlung mit 70 Personen wurde mit äußerster Brutalität von der Polizei aufgelöst.
Wie konnte das passieren?!? Die Größe des Schülerstreiks hat die Polizei genauso überrascht wie die Schülerinitiative. Also wie kam es dazu? Der Aufruf zum Streik wurde von der Schülerinitiative „Bildungsblockaden einreißen“ aufgestellt, zu der [‘solid], JugenddemokratInnen/Junge Linke, Jugend-Antia Berlin, REVOLUTION und vor allem sehr viele unorganisierte SchülerInnen gehörten. Am Tag vor dem Streik wurde der „Landesschulsprecher von Berlin“, Jan Hambura, in einer großen Berliner Tageszeitung zitiert: er unterstütze den Streik nicht, weil „kommunistische Gruppen dahinter stecken.” * Tatsächlich haben AktivistInnen von der unabhängigen kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION seit Monaten in der Initiative mitgearbeitet. Revo-Leute haben die Demonstration mitorganisiert, Pressemitteilungen und Flyer geschrieben, Interviews gegeben und Reden gehalten usw. Auf der Demonstration selbst war REVOLUTION mit einem beliebten Transparent dabei (“Klassen-Kampf”) und hielten bei der Auftaktskundgebung die erste Rede, in der sie von Schülerproteste in anderen Ländern wie Frankreich, Chile und den USA berichteten. Die Parteien Bildungsenator Böger versuchte noch die riesige Protestaktion als „Wahlkampfveranstaltung” zu denunzieren. Es war aber nicht klar, für welche Partei der Wahlkampf gemacht wurde. Viele AktivistInnen vom Linkspartei-nahen Jugendverband [‘solid] waren dabei, aber der Streik richtete sich eindeutig gegen eine Regierung, an der die Linkspartei beteiligt ist. Im Nachhinein haben alle Parteien – von der Linkspartei bis zur CDU – versucht, die Proteste zu loben und damit zu instrumentalisieren. So nannte mancher CDUler eine Aktion, die die Abschaffung des dreigliedrigens Schulsystems (der heiligen Kuh der Konservativen!) forderte, „eine Supersache”! Doch die Tatsache, dass die SchülerInnen auf die Straße gegangen sind, zeigt, dass sie keine Lösungen ihrer Probleme von irgendeiner Partei im Abgeordnetenhaus erwarten. Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich angeblich auch über das Engagement der SchülerInnen freute, wurde vor dem Roten Rathaus von der Schülerdemo entdeckt und musste fliehen, als Hunderte SchülerInnen auf die Absperrgitter zurannten und ihm Parolen zuriefen. Die überraschend hohe Beteiligung macht klar, was für eine große Unzufriedenheit in Berlins Schulen herrscht. Doch diese Unzufriedenheit muss mit einer politischen Perspektive verbunden werden. Wie REVOLUTION in einem Flugblatt auf der Demo klar gemacht hat: „Der Streik ist nicht das Ende – er ist gerade der Anfang.” Die Schülerproteste müssen nicht nur weitergeführt, sondern mit anderen Kämpfen gegen Sozialabbau verbunden werden. In diesem Sinne haben AktivistInnen von REVOLUTION Solidaritäts-Delegationen organisiert für den Streik der PflegerInnen an der Charité sowie für die Demonstration der LehrerInnen für Arbeitszeitverkürzung am Tag nach dem Streik. Denn nur wenn alle vom Sozialabbau Betroffene gemeinsam auf die Straße gehen, können wir unsere Forderungen durchsetzen. Die Organisierung Die Ablehnung der Proteste durch den offiziellen Landesschülerausschuss und die beschränkte Handlungsfähigkeit der Landesschülervertretung machen klar, dass Berliner SchülerInnen besser organisiert werden müssen. Nicht das Vertrauen in irgendeiner Partei, sondern die Organisierung der Basis kann dem Sozialabbau-Programm der Berliner Regierung Paroli bieten – deshalb haben wir ständig daran gearbeitet, dass die aktiven SchülerInnen sich organisierenund vernetzen. So veranstalteten wir eine Aktionskonferenz am Sonntag vor dem Streik, an dem rund 70 AktivistInnen aus über 20 Schulen teilnahmen. Die offiziellen, staatlich anerkannten Schülervertretungen (auch Bezirkschülerausschüsse usw.) blieben mit wenigen Ausnahmen inaktiv, und die Unterstützung durch die Gewerkschaften oder die linken Parteien war ziemlich spärlich. Nur durch die eigenständige Aktivität der SchülerInnen an der Basis – die angeblich so unpolitisch sind –, konnte der Streik zu Stande kommen. Deshalb sind Schritte hin zu einer unabhängigen Schülergewerkschaft oder einer ähnlichen Organisation für die kommenden Monate möglich und nötig. Aber letztendlich braucht man eine revolutionäre, antikapitalistische Perspektive, um den Kampf gegen Bildungsabbau siegreich zu führen. Man muss die von den Herrschenden erzwungenen defensiven Kämpfe zu einem offensiven Kampf gegen die Herrschenden verbinden. Um in diese Richtung zu arbeiten, brauchen wir keine „Jungpartei”, die einer der Parteien im Abgeordnetenhaus untergeordnet ist und zwischendurch ein bisschen linke Kritik übt – wir brauchen eine revolutionäre Jugendbewegung, die jeden Sachzwang der kapitalistischen Gesellschaft ablehnt, eine sozialistische Gesellschaftsordnung anstrebt und entsprechende Kämpfe anzustoßen und auszuweiten versucht. Die Schule, wie wir sie kennen, die repressive Lernfabrik, ist Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft. Nur durch die Abschaffung dieses Systems wird sich die Bildung wesentlich ändern. Wie SchülerInnen aus Pankow auf einem Transpi klar gemacht haben: „Schulreform ohne Gesellschaftsreform ist ein Unding” (Tucholsky).
* siehe “Schülerprotest gegen Lehrermangel”, Tagesspiegel vom 13.9.06.. Hambura bestreitet er diese Aussage – er hätte sich nur persönlich von den kommunistischen Gruppen, die hinter dem Aufruf stehen, distanziert. Die Tatsache, dass er gar nicht Landesschülersprecher, sondern Vorstandsmitglied in der Landesschülervertretung ist, bekräftigt die Annahme, dass er falsch zitiert worden ist. Allerdings steht auch fest, dass er Mitglied der CDU ist und schon mal für die rechtsextreme „Junge Freiheit“ geschrieben. hat! //von Wladek aus Kreuzberg //REVOLUTION Nr. 20 |
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