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Rassismus – hahaha?

12 Tote in Afghanistan, 11 Tote in Libyen, 45 in Nigeria. Die dänische Botschaft in Beirut abgefackelt, das Goethe-Institut in Ramallah verwüstet. Alles nur wegen ein paar Karikaturen? Geht es überhaupt um diese Zeichnungen oder eher um...

PRESSEFREIHEIT?

Am 30. September 2005 hat Dänemarks größte Tageszeitung, die Jyllands-Posten, Karikaturen von Mohammed veröffentlicht. Mohammend trägt eine Bombe als Turban, Mohammed heißt Selbstmordattentäter im Paradies willkommen – insgesamt zwölf Karikaturen, die alle Muslime mit Terroristen gleichsetzen.

Diese Provokation gegen die muslimische Bevölkerung Dänemarks ging zunächst nicht auf. Obwohl die Redakteure sich extra an die Moscheen gewendet hatten, blieben deren Proteste klein und gemäßigt. Erst als dänische Imame durch den Nahen Osten reisten und die dänische Regierung sich weigerte, mit Botschaftern aus verschiedenen arabischen Staaten zu reden, kam es zu den Massenprotesten von Muslimen rund um die Welt, die bisher mindestens 139 Tote gefordert haben.

Die Veröffentlichung der Karikaturen wird im Namen der Pressefreiheit gerechtfertigt. In den westlichen Demokratien, so lernt man es in der Schule, kann jeder Mensch alles veröffentlichen, was er will. Aber gewisse Grenzen sind nicht zu übersehen – so hat sich etwa die freiheitsliebende Jyllands-Posten geweigert, Karikaturen über Jesus zu drucken, aus Angst vor einem Aufruhr der christlichen Mehrheit im Land.

Auch in den USA ist die Pressefreiheit kein absolutes Gut. Als die rechte Tageszeitung Washington Post eine Karikatur veröffentlichte, die sich mit der Behandlung von verwundeten US-Soldaten auseinandersetzte, erhielten sie einen Protestbrief des Generalstabs; Und Fälle, wo der US-amerikanische Staat Kunstwerke, die sich über Jesus lustig machen, zu unterdrücken versucht, gibt es tausendfach. Diese Pressefreiheit der westlichen Welt ist ein besonderes Recht der wirtschaftlichen Elite, der selbstverständlich die Presse gehört.

Schon Lenin meinte, dass die bürgerliche Pressefreiheit nichts anderes sei als die Freiheit der Bürgerlichen, die Presse zu besitzen: “Was für eine Freiheit ist das? Die Freiheit, Tonnen von Papier zu kaufen und Horden von Schmierern anzustellen? Diese Pressefreiheit ist der Sklave des Kapitals!”

Als RevolutionärInnen verteidigen wir alle demokratischen Rechte in dieser Gesellschaft und lehnen jede Zensur ab. Solche rassistische Provokationen müssen politisch – durch eine antirassistische Bewegung – und nicht juristisch – durch staatliche Verbote – bekämpft werden! Wir lehnen jedes Gesetz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit ab, da solche Gesetze in der Regel gegen linke AktivistInnen zum Einsatz kommen. Man kann sich leicht vorstellen, dass ein Religionsgesetz eher gegen antikirchliche AktivistInnen als gegen den Axel-Springer-Verlag angewendet würde.

RASSISMUS?

In Dänemark wie in jedem europäischen Land sind MigrantInnen systematischer Diskriminierung ausgesetzt. Für viele von ihnen ist ihre Religion ein wichtiger Identifikationspunkt, weil sie als Muslime angegriffen werden und sich als solche zur Wehr zu setzen versuchen.

Die Jyllands-Posten, die schon in den 30er Jahren Hitler und Mussolini lobte, gehört zu den loyalsten Unterstützern der rechten dänischen Regierung und trägt zur hysterischen Stimmung gegen MigrantInnen bei. Die Regierung Rasmussen schaffte den Sprung an die Macht auch durch eine rassistische Kampagne gegen Einwanderung.

Seit Mitte der Neunziger werden die Sozialsysteme auch in Dänemark abgebaut: Aushöhlung des Kündigungsschutzes, Zwangsvermittlung für Arbeitslose, Kürzungen bei der Bildung und im Gesundheitswesen – nicht viel anders als in der BRD.

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über den Sozialabbau lenken die Herrschenden auf MigrantInnen, die angeblich für die soziale Misere verantwortlich sind. So wurde seit dem Amtsantritt der rechten Regierung 2001 die Einwanderungspolitik extrem verschärft: Wer Staatsbürger werden will, muss Integrationskurse besuchen und Loyalitätserklärungen unterschreiben, und die Sozialhilfe für Flüchtlinge wurde auf ein Minimum reduziert.

Zu all diesen Maßnahmen lieferte die Jyllands-Posten die Begeleitmusik: unglaubliche Artikel über „kriminelle Ausländer“, erfundene Statistiken über EinwandererInnen, die „den Dänen die Arbeitsplätze wegnehmen“ usw.

Die wahren Hintergründe lieferte der Kulturredakteur der Jyllands-Posten: “Die Leute sind nicht mehr bereit, Steuern zu zahlen, um jemand namens Ali, der aus einem Land mit einer anderen Sprache und Kultur von 5.000 Meilen entfernt kommt, zu unterstützen.” Die Karikaturen sind also da, um Stimmung gegen diesen Ali ohne Nachnamen zu machen.

Auch international betreibt die dänische Regierung eine Politik, die gegen Nicht-EuropäerInnen gerichtet ist. Dieses ach so friedliche, liberale Land stellt rund 550 Besatzungssoldaten im Irak.

In Afghanistan kam es zu Protesten vor Militärbasen der Besatzerkoalition ISAF, zu denen auch norwegische Soldaten gehören. Dass norwegische Truppen überhaupt in Afghanistan präsent sind, zeigt, dass die rassistische Politik der norwegischen Regierung vor der Veröffentlichung der Karikaturen in einer Osloer Zeitung existierte.

Auch ein provokativer Fernsehauftritt des italienischen Reformministers, bei dem er ein Shirt mit Karikaturen trug, hat Proteste ausgelöst. Dass diese ausgerechnet in Lybien stattfanden (und nicht etwa in Malaysia) ist durch die blutige Kolonialgeschichte Italiens in der Region zu erklären.

RELIGION?

Die Proteste wurden verursacht durch verschiedene Provokationen: Rassismus, Krieg, Besatzung. Aber sie wurden von religiösen Konzepten ausgelöst und muslimische Geistliche angeführt.

Die Islamisten konnten in vielen Teilen der Welt die Führung von antiimperialistischen Kämpfen an sich reißen. Mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und der stalinistischen Parteien in der „Dritten Welt“ war für viele nationale Befreiungsbewegungen jeder Ansatz von Internationalismus, jede Hoffnung auf Sozialismus vom Tisch. An deren Stelle traten in vielen Ländern Vorstellungen von Nationalstaaten und theokratische Diktatur.

Religion ist ein Geschöpf der Hoffnungslosigkeit. Die Versprechen vom ewigen Leben im Paradies klingen v.a. für jene gut, die vom „Diesseits“ nichts zu erwarten haben. „Religion ist der Seufzer der unterdrückten Geschöpfe, das Herz einer herzlosen Welt und die Seele in seelenlosen Bedingungen“, schreib dazu einst Karl Marx.

Ein zentrales Anliegen der revolutionären Bewegung in aller Welt ist es, den Einfluss der Religion auf die Unterdrückten zurückzudrängen. Ein Mensch, der alles in Gottes Händen lässt, kann nicht gut für die eigene Befreiung kämpfen.

Aber Religion kann man nicht allein durch Aufklärung – und schon gar nicht durch beleidigende Karikaturen – zurückdrängen und überwinden. Diese bewirken genau das Gegenteil: sie stärken den Zusammenhalt religiöser Minderheiten, binden die Gläubigen an ihre Geistlichen und damit die Unterdrückten an ihre Herrscher.

Nur die Überwindung der Unterdrückung, dieser „seelenlosen Bedingungen“, wird den religiösen Wahn aus der Welt verbannen.

Der amerikanische wie der EU-Imperialismus sind nicht aufgrund der christlichen Religion oder „westlicher Werte“ in der Welt vorherrschend. Ihre Überlegenheit basiert auf wirtschaftlicher Stärke, die es ihnen ermöglicht hat, seit Jahrhunderten die Länder der „Dritten Welt“, darunter fast die gesamte muslimische Welt, ausplündern. Die herrschenden Klassen dieser Länder sind in dieses System integriert und spielen bei der imperialistischen Ausplünderung eine Vermittlerrolle. Ihre Politik, ob religiös oder nationalistisch verpackt, kann nicht aus der Abhängigkeit vom Imperialismus herausführen.

Denn der Imperialismus kann nicht durch den „wahren Propheten“ gestürzt werden – das vermag nur der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnen und Unterdrückten in den muslimischen wie in den westlichen Ländern. Religion und Nationalismus trennen die Unterdrückten und ArbeiterInnen untereinander - aber Sozialismus verbindet!

//von Huey aus Kreuzberg //REVOLUTION Nr. 16

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