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Was ist eigentlich der...

Anarchismus?

„Anarchie“ – das bedeutet soviel wie Herrschaftslosigkeit. Kleinster gemeinsamer Nenner aller AnarchistInnen ist die radikale Ablehnung von Herrschaft und Hierarchie. Die Freiheit des Individuums steht im Mittlelpunkt ihrer Ideen, und deswegen bezeichnen sich viele AnarchistInnen auch als „libertär“ („freiheitlich“).

Die anarchistischen Grundideen erfreuen sich vor allem bei Jugendlichen großer Beliebtheit, zumal es keine einheitlichen und festgelegten Theorien gibt, sondern viele verschiedene anarchistische Strömungen, deren Versatzstücke jede/r für sich anders interpretieren kann.

Meistens geht es dabei weniger um konkrete politische Forderungen als um eine allgemeine Lebenseinstellung und die Abgrenzung gegenüber Eltern, Schule und allen Formen der Autorität.

Besonders bei Punks und autonomen Antifa-Gruppen stößt man immer wieder auf anarchistische Symbolik – das rote A, die schwarze Fahne, usw. Deshalb wird der Streit zwischen KommunistInnen und AnarchistInnen oftmals auf die Symbolik (ein roter Stern statt ein schwarzer Stern am Rücksack) und die Lautstärke der Parolen („Für den Kommunismus!“ statt „Für die Anarchie!“) reduziert.

In ihren Vorstellungen von einer zukünftigen Gesellschaft stimmen Anarchos und Kommis im Prinzip auch überein: Egal ob Kommunismus oder Anarchie – die Menschen sollen sich als freie und gleich Individuen gegenüberstehen und zusammenarbeiten, anstatt miteinander zu konkurrieren.

Die Frage, auf welchem Weg dieses Ziel erreicht werden soll, reißt jedoch tiefe Gräben zwischen beide Lager. In welchen wichtigen Punkten unterscheidet sich die anarchistische Strategie von der kommunistischen? Warum kann die anarchistische letztendlich nicht zur erwünschten freien Gesellschaft führen?

Die Ideen

Die politisch relevanteste Variante des Anarchismus ist der sog. Anarchokommunismus, der sich nach 1848 entwickelte. Durch den Erfolg des kommunistischen Manifestes innerhalb der internationalen Arbeiterschaft wurde der Anarchismus stark von Marx’ Ideen und seiner wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus beeinflusst.

Der Anarchokommunismus beruft sich auch auf die Arbeiterklasse als treibende Kraft bei der Veränderung des Systems (im Gegensatz zu früheren anarchistischen Theorien, die jede Art von Klassenkampf ablehnten). Er geht davon aus, dass sich die Arbeiter­Innen in Organisationen, die irgendwie ohne hierarchische Strukturen auskommen müssen, zusammenschließen und mit Massenaktionen, wie einem Generalstreik, die Macht von Staat und Kapital brechen.

Da wäre zum einen die sogenannte „Staatsfrage“: Der Staat ist für die Anarchisten Inbegriff aller unterdrückerischen Autorität. Er steht der Verwirklichung ihrer Utopie im Wege – seine Zerstörung gilt daher für sie als wichtigster Schritt zur Befreiung der unterdrückten Massen.

Die Anarchisten wollen daher den Staat mit einer Revolution abschaffen und unverzüglich zur neuen, herrschaftsfreien Gesellschaft übergehen. Marxisten sind dagegen der Ansicht, dass es nach der Revolution zuerst einer Übergangsphase bedarf, um die letzten Überreste der bürgerlichen Gesellschaft loszuwerden – da man den Staatsapparat mit einem Dekret nicht aus der Welt schaffen kann, da man lebenslange kapitalistische Indoktrination nicht über Nacht überwinden kann.

Diese Anstrengungen können nicht nur auf lokaler Ebene organisiert werden. Um eine Revolution gegen konterrevolutionäre Umsturzversuche von Innen und Außen zu verteidigen, aber auch um die Revolution weiter auszubreiten, braucht man zentrale Organisierung, also einen Staat der ArbeiterInnen.

Der Staat

Bisher dienten die Institutionen des Staates – das Militär, die Polizei, die Gesetze und Gerichte – zur Unterdrückung der Mehrheit durch die herrschende Minderheit.

Jedoch wenn die ArbeiterInnen, die Mehrheit die alte Staatsmacht zerschlagen und eine neuartige schaffen, so müssen sie diese einsetzen, um nun ihrerseits die kapitalistische Minderheit zu unterdrücken. Sie müssen die Produktionsmittel verstaatlichen d.h. das gesamte Eigentum, auf dem die Macht der Kapitalisten beruht, unter Kontrolle der Arbeiter stellen.

Durch ihre Enteignung gehen die Kapitalisten nach und nach in die Arbeiterklasse über, da sie ohne private Produktionsmittel keine ökonomische Macht mehr ausüben können. Im Laufe von diesem Prozess und die Aufgabe des Arbeiterstaates erfüllt ist, wird er nach und nach üerflüssig und macht endgültig der kommunistischen Gesellschaft Platz.

Da sich Anarchisten als Feinde jeder Art von Herrschaft sehen, lehnen sie schon aus Prinzip auch den Arbeiterstaat ab. In einer revolutionären Situation, in der die gestürzten Herrscher mit allen Mitteln und mit Hilfe anderer, immer noch kapitalistischer Staaten versuchen, ihre Macht zurückzuerlangen, ist es jedoch unerlässlich, dass sich die ArbeiterInnen mit Hilfe ihres eigenen Staates verteidigen.

Ebenso wie der Staat ist für Anarchisten auch eine Partei in jedem Fall ein autoritäres und undemokratisches Gebilde. Aber jede Organisation der Arbeiterbewegung (auch solche, die sich auf anarchistische Ideen berufen) brauchen “Autorität”, um eigene Aktionen durchzuführen. Möchte man einen Streik organisieren, so müssen die Beschlüsse der Mehrheit (dass man in den Streik tritt) gegen den Willen der Minderheit (dass man weiterarbeiten will) durchgesetzt werden. Eine Revolution an sich ist autoritär, weil man damit den Willen einer Mehrheit gegen die Minderheit durchsetzt.

Die Planwirtschaft

Ein weiterer Unterschied zwischen der anarchistischen und kommunistischen Strategie liegt in der Art und Weise, wie die Produktion in der der zukünftigen Gesellschaft organisiert sein soll. Während Kommunisten eine zentralisierte Großproduktion anstreben, schwebt den meisten Anarchos eine dezentralisierte Kleinproduktion vor.

Die Überwindung der bestehenden Gesellschaft soll jedoch nicht nur das unterdrückerische Verhältniss zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter abschaffen, sondern auch die wirtschaftliche Produktivität der Gesellschaft steigern, um die notwendige Arbeitszeit für jeden Einzelnen auf ein Minimum zu reduzieren. Eine solche Produktivitätssteigerung ist nur durch demokratisch kontrollierte, planmäßige und zentralisierte Großproduktion denkbar.

Die Anarchisten befürchten, dass die Zentralisation der Wirtschaft wiederum zu einer Konzentration von ökonomischer Macht führt, welche missbraucht werden kann. Deswegen streben sie meist eine Kommunenwirtschaft an, in der freie Kleinproduzenten durch Verträge und Vereinbarungen miteinander verbunden sind. Diese ist aber keinesfalls fortschrittlicher als das bisherige kapitalistische Wirtschaftssystem – Die kapitalistische Gesellschaft hat durch die internationale Arbeitsteilung und -planung ihre Produktion schon geradezu zentralisiert, um wirtschaftlich effizienter zu sein.

Zum einen ist diese Kommunenwirtschaft wohl eher unproduktiver als die heutige Gesellschaft, zum anderen stehen sich in ihr die einzelnen ProduzentInnen auch wieder als KonkurrentInen gegenüber. Die diesem Punkt aus wäre die Restauration des Kapitalismus nur einen kleinen Schritt entfernt.

Dieses A-Zeichen bedeutet eine radikale Ablehnung der herrschenden Verhältnisse und der reformistischen Parteien und des Stalinismus. Aber um ein globales System zu überwinden, braucht man eine Strategie und nicht nur ein solches Zeichen.

//von Tom aus Bernau //REVOLUTION Nr. 16

//Abschnitt im Revo-Manifest zu Anarchismus

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