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Wer wird "stärker aus
der Krise herauskommen"?

Notizen zur Klassenkampfsituation in der BRD

Die anhaltende Wirtschaftskrise hat wieder ans Licht geholt, was lange Zeit von vielen Seiten geleugnet wurde: In Deutschland wird Klassenkampf geführt. Aber was heißt das für das politische Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital? Im Folgenden soll versucht werden, diese Frage zu beantworten, denn hieraus ergibt sich auch, wie wir als Teil der revolutionären Linken agieren können. Da einige Teile dieser Analyse in der revolutionären Linken umstritten sind (v.a. in Bezug auf die Linkspartei im zweiten Teil), freuen wir uns wie immer auf Kommentare und Kritik.

Teil 1: Die schwarz-gelbe Regierung

Teil 2: Die parlamentarische Opposition

Teil 3: Die Krisenpolitik der Regierung

Teil 4: Eine Krise der Klassenherrschaft?


Teil 2: Die parlamentarische Opposition

Die parlamentarische Opposition aus SPD, Grünen und Linkspartei hat zur Politik der Regierung kein alternatives politisches Programm. Auch sie halten an der Sozialpartnerschaft fest, auch wenn sie die Interessen von einem der beiden "Partner" stärker betonen.

Vor dem Hintergrund der Regierungskrise gibt sich die SPD versöhnlich. Die Bundestagswahl 2009 war für die SPD die größte Wahlniederlage seit der Gründung der BRD. Trotzdem kam es zu keinem sonst üblichen Linksruck als Oppositionspartei: Wo sonst innerhalb der Partei Köpfe rollten und sie ihre bisherige Regierungspolitik verdammte sowie Besserung versprach, steht jetzt nahezu das gleiche politische Personal auf der Bühne wie zuvor.

Durch den Verlust einer schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat ist die SPD de facto zur Regierungspartei geworden. Parteivorsitzender Siegmar Gabriel drückte das folgendermaßen aus: "Auch ohne Große Koalition könnte man in den zentralen Fragen unseres Landes einen Pakt der Vernunft schließen." [1] Damit zeigt die SPD ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Bourgeoisie: als Regierungspartei auf Abruf.

Gleichzeitig versucht die SPD, als Opposition im Bundestag, die noch kleinen Proteste auf der Straße von vornherein für sich zu vereinnahmen. Sie kündigt beispielsweise an, die Vermögenssteuer wieder einführen zu wollen – ohne dabei zu erwähnen, dass sie gemeinsam mit der CDU die Abschaffung der Vermögenssteuer Anfang 1997 ermöglicht hatte (und in mehr als 10 Jahren an der Regierung nicht versuchte, diese wieder einzuführen). Sie will die Rente mit 67 später als geplant einführen – nachdem sie als Teil der Großen Koalition diese Reform durchsetzte. Sie kündigt erbitterten Widerstand gegen die "zu drastischen" Kürzungen an – sie schweigt aber darüber, wie sie diesen Widerstand organisieren wollen.

Die leichte Erholung bei den Umfragewerten der SPD sind (ähnlich wie der Absturz der FDP) auch Ergebnis einer Medienkampagne, die deutlich macht, dass Teile der herrschenden Klasse für die Rückkehr der Sozialdemokratie in die Regierung sind. Denn die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse gehen leichter über die Bühne, wenn ein "Genosse" wie Schröder an der Spitze der Regierung steht. Das Problem mit einer erneuten Regierungsbeteiligung der SPD ist nur, dass die Partei (ähnlich wie in der letzten Legislaturperiode) wieder zu zerfallen beginnen würde, womit sie auch ihren Nutzen für die Bourgeoisie verlieren würde [2].

Die Partei "Die Linke" ist mehr oder weniger gelähmt. Denn auch vier Jahre nach der Fusion von PDS und WASG ist die Partei gewissermassen noch zweigeteilt: Eine wirklicher programmatischer Zusammenschluss und ein einheitliches Selbstverständnis konnte noch nicht gefunden werden. Das eigentliche Parteiprogramm soll erst 2011 beschlossen werden [3].

Innerhalb der Linkspartei gibt es einen Ostteil, der den Status einer Volkspartei innehat und ein etablierter Teil des parlamentarischen Systems ist, v.a. in den ostdeutschen Kommunen. Das drückt sich auch durch ihre Regierungsbeteiligungen in den ostdeutschen Bundesländern aus. Hier dominieren deutlich die "PragmatikerInnen", die die Mobilisierung auf der Straße längst aufgegeben haben und Politik vollständig aus dem Parlament heraus machen wollen. Ihre soziale Basis besteht in erster Linie aus RentnerInnen aus der ehemaligen DDR.

Der Westteil der Linkspartei dagegen hat sehr viel weniger Mitglieder als die ostdeutschen Landesverbände (von insgesamt 78.000 Mitgliedern in ganz Deutschland gehören den westdeutschen Landesverbänden knapp 29.000 Menschen an und den ostdeutschen etwa 48.500 [4]) und wirkt in vieler Hinsicht "linker". Das liegt in erster Linie daran, dass bisher kein westdeutscher Landesverband an einer Regierung beteiligt war (obwohl sie auch im Westen immer wieder nach Regierungsbeteiligung streben).

Im Westen sammeln sich viele radikale Linke in der Linkspartei, darunter mehrere trotzkistische Gruppen [5]. Doch die wichtigste soziale Basis der Partei im Westen ist der untere bis mittlere Teil der Gewerkschaftsbürokratie, die ihre historische Verbindung zur SPD vor ihren Mitgliedern nicht mehr rechtfertigen konnte. Exemplarisch hierfür steht Klaus Ernst: als ein Regionalfürst der IG Metall, der es jedoch nicht in den Gewerkschaftsvorstand schaffte, trat er mit der WASG aus der SPD aus und ist nun Vorsitzender der Linkspartei. Aber auch wenn der Anteil der GewerkschaftlerInnen in der Linkspartei stetig zunimmt, ist der Gewerkschaftsapparat größtenteils noch fest in Händen der SPD.

Die Linkspartei erweckt immer wieder den Eindruck, als sehne sie sich zur SPD der 70er Jahre zurück. Parteivorsitzender Gregor Gysi argumentiert, sie wollen die SPD "resozialdemokratisieren", und Oskar Lafontaine beruft sich auf Willy Brandt. Ihre Analyse der Krise besteht darin, Ratschläge für eine Erneuerung der "sozialen Marktwirtschaft" zu geben und damit die langfristige Entwicklung des Kapitalismus zu sichern. Sie wollen eben "das Casino schließen". Damit trennen sie Finanzwirtschaft von der "realen", "produktiven" Wirtschaft, und übersehen dabei, dass Finanz- und Industriekapital seit etwa hundert Jahren komplett verschmolzen sind (z.B. machen die meisten großen Autokonzerne genauso viele Profite mit Finanzgeschäften wie mit der Produktion von Autos).

Auch wenn der ehemalige Vorsitzende Lafontaine immer wieder politische Streiks forderte, taucht dieser Begriff bei den aktuellen politischen Vorschlägen der Linkspartei praktisch nicht mehr auf. So schrieb ihr Vorstand zur Krise: "Im Unterschied zur Regierung haben wir ein konkretes Programm, mit dem die Finanz- und Wirtschaftskrise tatsächlich und dauerhaft überwunden werden kann, weil es ihre Ursachen bekämpft." [6] In anderen Worten: ein krisenfreier Kapitalismus sei möglich.

Der wesentliche Unterschied zwischen der Linkspartei und der SPD besteht darin, dass erstere eine Ausweitung der Ausgaben fordern, während letztere sich darauf beschränken, "gerechtere" Kürzungen zu fordern. Die Linkspartei drängt auf weitere höhere Konjunkturpakete, also für mehr Staatsintervention und mehr Staatsquote. Aber beide Parteien wollen grundsätzlich die Krise mittels keynesianistischer Staatsinterventionen bekämpfen – die Linkspartei zielt genauso wenig wie die SPD darauf, "die Krise des kapitalistischen Systems durch den revolutionären Sturz desselben zu beenden." [7]

So kann die Linkspartei diese Situation der Krise nicht wirklich nutzen. Große Teile von ihr wollen unbedingt rot-rot-grün als Regierungskoalition etablieren, aber die Partei wird zurzeit noch stiefmütterlich von der SPD und den Grünen behandelt – das haben zuletzt die extrem kurzen Koalitionsverhandlungen mit ihr in NRW gezeigt. Für die Bourgeoisie gibt es noch wenig Grund für den Versuch, die Linkspartei in das politische System in Westdeutschland zu integrieren, da sie nicht genug Protestpotential verkörpert, dass sich ihre Integration (und die damit verbundene Lähmung dieses Potentials) lohnen würde [8].

Bündnis 90/Die Grünen wird in den nächsten Jahren an Bedeutung zunehmen, denn laut aktueller Umfragewerte ist die Partei auf einem historischem Höhepunkt. Aus den Wahlen in Berlin und Baden-Württemberg könnte sie mit fast 30% der Stimmen als größte Gewinnerin hervorgehen [9]. Die Grünen können als eine "soziale" bürgerliche Partei bezeichnet werden: ihre Basis besteht aus gut verdienenden ArbeiterInnen, KleinunternehmerInnen oder sonstigen "BildungsbürgerInnen", d.h. dem Kleinbürgertum (also jene Schichten der Gesellschaft, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwanken).

Diese soziale Basis erklärt auch das politische Profil der Grünen: Ihre Schwerpunkte liegen bei der Umwelt und der Bildung, um die Mittelschicht und v.a. "grüne" KapitalistInnen zu fördern. Mit Regierungsbeteiligungen auf Landesebene zusammen mit der CDU in Hamburg und im Saarland (neben der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zusammen mit der SPD zwischen 1998 und 2005) können sich die Grünen zunehmend als attraktive Option für die Bourgeoisie präsentieren, die im Vergleich zur CDU in der Regel pragmatischer wirkt [10].

Die Grünen gelten wie SPD und Linkspartei als irgendwie "links", doch im Gegensatz zu den letzten beiden sind sie nicht strukturell von der ArbeiterInnenbewegung abhängig. Sie haben einen gewissen Bezug zur ArbeiterInnenbewegung (ver.di-Chef Frank-Bsirske z.B. ist Mitglied), jedoch ist dies nicht ihre wichtigste Basis. Wenn man das Verhältnis zu den Gewerkschaften an der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder in den Bundestagsfraktionen misst, sind die Grünen deutlich hinter der SPD (73%) und der Linkspartei (65%), aber mit 27% trotzdem deutlich vor CDU/CSU (4%) und FDP (2%) [11]. Bei der Bundestagswahl 2009 wurden die Grünen von Gewerkschaftsmitgliedern nicht besonders viel gewählt (wie die SPD und die Linke), aber auch nicht besonders wenig gewählt (wie die CDU/CSU und die FDP): Ihr Ergebnis unter den Gewerkschaftsmitgliedern entspricht ungefähr dem unter allen WählerInnen [12].

//von Alex Lehmann, RIO, Berlin //17. September 2010
//Teil 3 erscheint in den nächsten Tagen

 

Fußnoten

1. Handelsblatt: "Die SPD ist zur Kooperation bereit".

2. Wir gehen von der These aus, dass die SPD immer noch eine "bürgerliche ArbeiterInnenpartei" ist, obwohl diese Kategorisierung von einigen trotzkistischen Gruppen abgelehnt wird. Dazu werden wir in nächster Zeit eine besondere Analyse vorlegen.

3. Rosa-Luxemburg-Stiftung: Zur Programmdiskussion der Partei DIE LINKE.

4. Linkspartei: Mitgliederzahlen Dezember 2009.

5. Siehe Abschnitt zur radikalen Linken im vierten Teil des Artikels.

6. Linkspartei: Beschluss des Parteivorstandes vom 3. Juli 2010.

7. RIO: Für einen europäischen Generalstreik!

8. Im Osten sieht das natürlich anders aus. Nach den Abgeordnetenhauswahlen im September 2006 in Berlin wurde viel Wert darauf gelegt, die Linkspartei in die Regierung zu holen. Dazu schrieben wir: "Es hieß aus dem einflussreichen Pankower Bezirksverband der SPD, man möchte vermeiden, ‘dass der Osten der Stadt in die Opposition geht’. Im Klartext: Die (immer noch) Hunderttausende PDS-WählerInnen werden eher von sozialen Protesten fernbleiben, wenn ‘ihre’ Partei den Sozialabbau mitgestaltet." Das Wahlvolk spricht... und gähnt....

9. Gereon Asmuth: "Grüne und SPD gleichauf".

10. So hielt die CDU lange Zeit an der aus Sicht der Erfordernisse des deutschen Imperialismus völlig sinnfreien Wehrpflicht fest, aufgrund von "Tradition" und "Werten". Die Grünen dagegen sind nur dann für den Militarismus, wenn er dem deutschen Kapital wirklich hilft, und nicht einfach aus Prinzip.

11. Beispiel 16. Deutscher Bundestag.

12. Anne Seibring: Die Gewerkschaften im Fünf Parteiensystem. In: Gewerkschaften. ApuZ 13-14.

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