R-E-V-O-L-U-T-I-O-N
– Ist doch klar, oder?

Bericht vom Luxemburg-Lenin-Liebknecht-Weekend-2010 der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO)

Die diesjährige Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration am 10. Januar in Berlin war von Schneestürmen und Minustemperaturen geprägt. Doch unser "LLL-Weekend", das am Samstag vor der Demo stattfand, war ein überraschender Erfolg. Beim Seminar über die Linke in Europa diskutierten knapp über 50 TeilnehmerInnen – aus Berlin, Dresden, Kiel, Rostock, Hamburg, Essen, Saarbrücken, Witten, Zürich, Prag, Liberec und Paris – und beim klassenkämpferischen Hiphop-Konzert im Anschluss waren mehr als 100 dabei.

Zum LLL-Weekend hatte die unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION eingeladen, aber veranstaltet wurde es von RIO (der Revolutionären Internationalistischen Organisation). Zur Namensänderung erklärte ein Aktivist von RIO Zürich bei der Eröffnung des Seminars, dass diese sowohl praktische wie theoretische Gründe hatte: “Wir sind zur Erkenntnis gekommen, dass eine komplett unabhängige Jugendorganisation in der heutigen Zeit nicht das beste Instrument im Kampf für eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnenklasse darstellt; außerdem haben wir begonnen, bei ArbeiterInnen politisch zu intervenieren (etwa bei der Mensa der FU Berlin oder bei einer Tramwerkstatt in Prag), weshalb ein Jugendname nichts mehr taugt.“

Der Schwerpunkt des Seminars lag bei kritischen, aber auch solidarischen Debatten innerhalb der marxistischen Linken, von denen es laut eines RIO-Aktivisten "viel zu wenige gibt". Entsprechend waren neben Mitgliedern von RIO aus drei Ländern auch AktivistInnen der Trotzkistischen Fraktion, der Sozialistischen ArbeiterInnenstimme, Permanent Revolution, Socialist Fight, der SAV, sowie der Linkspartei bzw. Solid dabei – eine Reihe von unorganisierten SchülerInnen, Studierenden und ArbeiterInnen nahmen ebenfalls teil

Diskussionen über die Linke in Europa

Beim ersten Block ging es um die radikale Linke in Frankreich im Allgemeinen und um die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) im Besonderen. Stefan von RIO Berlin führte in einem Eingangsreferat aus, warum die NPA trotz ihres antikapitalistischen Anspruchs nicht über ein Programm verfügt, um den Kapitalismus zu zerschlagen, was er anhand von drei Beispielen festmachte: 1) eine nicht vorwärtstreibende Politik in der Streikbewegung Anfang 2009; 2) eine große Anpassung an die Gewerkschaftsbürokratie, weil die NPA sich in die Gewerkschaften "nicht einmischen will"; 3) eine fast reformistische Politik bei den anstehenden Regionalwahlen, weil die NPA die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen nicht ablehnt. Anhand dieser Ausführungen erläuterte er die Einschätzung von RIO, dass die NPA eine zentristische Partei ist, deren Führung zwischen einem reformistischen rechten Flügel und einer linkeren Basis schwankt – wobei er auch klar machte, dass RevolutionärInnen die NPA nutzen sollten, um ihre Ideen zu verbreiten.

Juan Chingo von der Trotzkistischen Fraktion (FT) Paris, der selbst in der NPA aktiv ist, ergänzte, dass die Aufbruchsstimmung nach der Gründung der NPA vorbei ist: obwohl sich bis zu 11.000 Menschen ursprünglich einschrieben, haben sich Ende 2009 lediglich 4.500 Mitglieder an internen Abstimmungen über die Position zu den Regionalwahlen beteiligt. Er schloss seinen Vortrag mit den Worten, dass die ArbeiterInnen, die linken SchülerInnen und StudentInnen sowie die armen Jugendlichen in den Banlieues eine Partei des revolutionären Kampfes brauchen, und dass es auf dem Weg zu diesem Ziel keine "Abkürzungen" gibt. Bei der Diskussion intervenierte auch eine Vertreterin der "Fraction de Lutte Ouvriere" (F-LO), die ebenfalls in der NPA arbeitet. Daraus entstand eine Debatte unter zwei linken Strömungen innerhalb der NPA, die teilweise etwas anstrengend war (sie lief auf Deutsch, Französisch und Spanisch!), aber auch sehr erhellend: während die FT ihren Schwerpunkt auf die programmatische Klärung und den politisch-ideologischen Kampf gegen die NPA-Führung legt, setzt die F-LO stärker darauf, die Partei auf ArbeiterInnenkämpfe auszurichten – wobei beide Schwerpunkte sich nicht gegenseitig ausschließen.

Der zweite Block über die Linkspartei begann mit 90 Minuten Verspätung – einer der Referenten, David Schulz (alias Holger Burner) von der SAV und der Linkspartei aus Hamburg, hatte zwei Stunden lang auf den Gleisen kurz vor Berlin gestanden, wofür er die Privatisierungspolitik der Regierung verantwortlich machte. Als die Debatte losging, führte Jalava von RIO Kiel aus, warum wir es ablehnen, innerhalb der Linkspartei zu arbeiten. Ein langjähriges Engagement von MarxistInnen innerhalb von reformistischen Parteien führt dazu, dass sie ihr Programm verwässern. Bei der SAV heißt das, dass sie sich für eine "kämpferische Partei der ArbeiterInnen und Jugend" einsetzen, die auch "pluralistisch" sein soll, statt für eine revolutionäre Partei einzutreten; bei der Vorgängerorganisation der SAV in Großbritannien, "Militant", ging das soweit, dass sie propagierten, der Sozialismus könne friedlich über das Parlament eingeführt werden, was eine komplette Verneinung der marxistischen Staatstheorie bedeutet.

Als Antwort erklärte David Schulz, dass sie durch die Arbeit in der Linkspartei viele Möglichkeiten haben, die sie als eine marxistische Organisation sonst nicht hätten. Auch wenn beide Eingangsbeiträge eher abstrakt-historisch blieben, konnte in der Diskussion die konkreten Vor- und Nachteile einer Arbeit innerhalb der Linkspartei erläutert werden. Mehrere linke Mitglieder der Linkspartei, die nicht in der SAV sind, argumentierten, dass mensch bei den Debatten innerhalb der Linkspartei ein Publikum für marxistische Ideen finden könnte. Im Gegensatz dazu betonten Mitglieder von RIO (darunter ehemalige Mitglieder von Solid) und andere AktivistInnen, dass eine Mitgliedschaft in der Linkspartei eineN von jenen Schichten der ArbeiterInnen und Jugend abschneidet, die aus gutem Grund dieser Partei fernbleiben. Im Schlusswort wiederholte Jalava von RIO unseren Vorschlag an die SAV-GenossInnen, eine eigenständige, offen revolutionäre Jugendorganisation aufzubauen.

Der Rest des Weekends

Das Seminar war ein wichtiges Zeichen, dass politische Auseinandersetzungen innerhalb der revolutionären Linken nötig und auch möglich sind, ohne in komplette Polemik abzugleiten. "Es war sehr interessant, mit anderen RevolutionärInnen über das Verhältnis zur Linken zu diskutieren" meinte etwa Thiess, ein Mitglied der SAV und Solid aus Hamburg.

Das LLL-Weekend wurde dann in der Roten Insel fortgesetzt, wo Holger Burner mit seinem klassenkämpferischen Rap auftrat. Mit mehr als 100 Leuten war die kleine Kneipe zum Brechen voll: Es wurde viel getanzt, gesprungen, gesungen und Parolen gerufen; auch ein Dutzend Exemplare der neuen RIO-Broschüre zur Oktoberrevolution konnten verkauft werden.

Vor dem Auftritt erklärte Wladek von RIO Berlin, dass die LLL-Demonstration die wichtigste Tradition der radikalen Linken in Deutschland ist – obwohl eine "linke Tradition" eigentlich Unsinn ist. "Traditionen – also Sachen, die mensch macht, weil mensch sie immer schon so gemacht hat – lehnen wir ab. Wir wollen alles auf den Kopf stellen. Warum findet die LLL-Demo immer zum schlechtest denkbaren Zeitpunkt, sonntags um 10 Uhr, statt? Weil das immer so war? Wir rufen zur LLL-Demo auf, nicht weil wir Traditionen mögen, sondern weil die Kämpfe von Luxemburg und Liebknecht für uns von aktueller Bedeutung sind: wir brauchen heute wie damals eine konsequente Opposition gegen imperialistische Kriege und kompromisslosen Einsatz für den revolutionäre Sturz des Kapitalismus.“

Am Sonntag war es auf der Demonstration unheimlich kalt, aber mit offiziell 9.000 TeilnehmerInnen sehr gut besucht. RIO beteiligte sich an einem spontan zustande gekommene "TrotzkistInnenblock" am Ende der Demo mit uns, der SAS, der SAV (bzw. Teilen von Solid), der FT usw..

Insgesamt war das LLL-Weekend von RIO ein großer Erfolg. Wir waren froh, unseren neuen Namen einem so großen Publikum vorstellen zu können. Es ist klar, dass unser Übergang von einer Jugendorganisation zu einer Nicht-Nur-Jugendorganisation ein schwieriger Prozess sein wird. Aber wir beginnen sowohl mit politischen Interventionen unter Beschäftigten wie mit anspruchsvollerer programmatischer Arbeit, wie auf dem Seminar zu sehen war. Wer an dieser Arbeit teilnehmen möchte, laden wir ein, mit uns gemeinsam zu diskutieren und zu kämpfen.

//von Wladek, RIO Berlin //13.1.2010

Bilder vom LLL-Weekend auf Flickr


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